Drei Jahre lang arbeiteten Arbeitsteams von drei Universitäten daran, Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für das Gelingen der energetischen Selbstversorgung einer Region auszuloten. Am Mittwoch Abend stellten sie in Lüchow ihre Arbeitsergebnisse vor.
Im Rahmen eines Workshops, zu dem neben Bürgermeistern und Vertretern der Energieagenturen auch Landwirte und Unternehmen der Erneuerbaren-Energie-Wirtschaft eingeladen waren, sollten die Ergebnisse mit regional Aktiven diskutiert werden. Während der vergangenen drei Jahre hatten WissenschaftlerInnen des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), des Zentrums für Erneuerbare Energien an der Alberts-Ludwig-Universität in Freiburg sowie des Instituts für Landschafts- und Pflanzenökologie an der Universität Hohenheim gemeinsam in drei Regionen (Marbach, Schwäbisch Hall und Lüchow-Dannenberg) was den gesellschaftlichen Umbau auf die Nutzung Erneuerbarer Energien befördert und was sie behindert.
Die Frage, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, damit regionale Selbstversorgung mit Erfolg funktioniert, interessierte allerdings am Mittwoch im Lüchower Katerberg nur rund 10 Akteure, die in ihrer Funktion als Wirtschaftsförderer, Regionalentwickler oder Angestellte einschlägiger Projekte an dem Treffen teilnahmen.
Die Ökonomie alleine wird nach Erkenntnissen der WissenschaftlerInnen in keiner Region zu einer erfolgreichen Energiewende führen, die sich zu 100 % aus eigenen Energiequellen produziert. Soziale und ökologische Rahmenbedingungen müssen bei der Umstellung ebenso berücksichtigt werden wie ökonomische und technische Faktoren. Die WissenschaftlerInnen orteten fünf Bereiche, die "beackert" werden wollen, soll die Selbstversorgung auf Dauer funktionieren.
Regionale Wertschöpfung - Werte geben / Werte erheben
Anhaltende Diskussionen löste in dem Workshop die Berechnung der ökonomischen Erfolge im Bereich Erneuerbare Energien aus. Die WissenschaftlerInnen hatten errechnet, dass der gesamte Bereich EE im Landkreis insgesamt lediglich 6,4 Mio. Euro Plus jährlich in die Kassen spült. Eine Million davon wird zusätzlich an Steuern gezahlt, eine weitere Million wird an Einkommen erzielt und 4,4 Millionen Euro bleiben als Gewinn bei den Unternehmen. Glaubt man den Berechnungen der WissenschaftlerInnen so sind durch den EE-Bereich im Landkreis in den letzten Jahren lediglich 77 Arbeitsplätze zusätzlich entstanden.
Die Grundlagen für die Berechnung blieb allerdings im Workshop weitgehend im Dunkeln. Lediglich die Daten der “reinen Produktion” hätten Eingang in die Berechnung gefunden, so Dr. Astrid Aretz, Elektrotechnikerin und Mathematikerin. Die gesteigerte Auftragslage regionaler Handwerker durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien wie Solar- und Photovoltaikanlagen, Pelletsheizungen oder Blockheizkraftwerke, fand in die Berechnung ebenso wenig Berücksichtigung wie erhöhte Umsätze von Landwirten, die auf Energiepflanzen umgestellt haben sowie Lohndienstleistern aus dem landwirtschaftlichen Bereich.
Die finanzielle Wertschöpfung ist jedoch nach Ansicht der WissenschaftlerInnen nicht die einzige Voraussetzung, wie regionale energetische Selbstversorgung zum Erfolgsprojekt wird.
Akzeptanz bei der Bevölkerung: St.-Floriansprinzip oder reale Befürchtungen?
"Gemeinsam Schaffen" ist das Stichwort für den sozialen Erfolg einer regionalen Selbstversorgung. Dabei ist die Akzeptanz bei der Bevölkerung eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Energiewende - vor allem hier sind die Kommunen bei Aufklärung, Vermittlung und Beratung gefragt, so ein Arbeitsergebnis der WissenschaftlerInnen.
Eine Umfrage bei über 700 Lüchow-Dannenbergern ergab, dass über 90 % einem Umbau auf Energieversorgung durch EE grundsätzlich sehr positiv gegenüber stehen. Schaut man jedoch auf die verschiedenen Produktionsverfahren, so sieht die Zustimmung sehr unterschiedlich aus. Lediglich 40 % der Befragten stehen der Biogas-Produktion positiv gegenüber, während Energieversorgung durch Dachsolaranlagen von über 80 % befürwortet wird. Erstaunlicherweise liegt nach der Untersuchung der WissenschaftlerInnen die Akzeptanz von Windkraft bei rund 70 %, nur 25 % der Gegner befürchten eine Bedrohung der Vogelwelt.
Viel stärker sind dagegen die Vorbehalte gegen Biogasanlagen: neben Angst vor Geruchsbelästigung, negativem Einfluss auf die Artenvielfal befürchten die Gegner der Biogas-Technologie auch den Verlust von Agrarflächen für die Nahrungsmittelproduktion. Im Grundsatz lässt sich sagen, dass die Akzeptanz für Erneuerbare Energien abnimmt, je mehr die Produktionsverfahren in Landschaft und Natur sicht- und spürbar sind.
Deutlich wurde bei der Befragung allerdings auch, dass die frühzeitige Einbindung der Bevölkerung für den Erfolg von größeren Maßnahmen zwingend notwendig ist, wollen die Projektplaner nicht riskieren, dass die Vorhaben durch jahrelange Auseinandersetzungen blockiert werden. Nach den Umfragen fühlen sich lediglich 32 % der BürgerInnen ausreichend in die Planungsprozesse eingebunden.
Beispiele aus anderen Regionen zeigen, dass eine gute Vernetzung von Bürgern untereinander die besten Chancen bietet, eine gemeinsame Energieversorgung zu organisieren - ganz nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stark".
Nicht zuletzt gilt es allerding auch, den Energieverbrauch zu reduzieren. Auch hier sind wieder die Kommunen gefragt, mit Beratungs- und Förderangeboten niedrigeren Energieverbrauch zu erreichen.
Strom vernetzen / Energie wandeln
Wichtig für eine erfolgreiche Umsetzung der 100-%-Idee ist natürlich auch, dass die produzierte Energie vertrieben, sprich, über gut verknüpfte Stromnetze dorthin gebracht werden kann, wo sie gefragt ist. Vor diesem Hintergrund wurde am Rande der Veranstaltung die aktuell verkündete Übernahme des Stromnetzes im Dannenberger Raum skeptisch diskutiert. Die Anwesenden befürchten, dass es zu Transportumwegen kommen könnte, wenn sich die Region nicht auf ein gemeinsames Stromnetz einigen kann.
Auch die Auswahl der geeigneten Technologie/n muss auf die jeweilige Region angepasst sein. In den Bergen oder auf See wird Windkraft z. B. eine wesentlich größere Rolle spielen als im Binnenland. Auch Speichertechnologien und Kraft-/Wärmekopplungen müssen noch weiter entwickelt werden.
Regionale Räume neu gestalten - Klassische Konflikte lösen
Auch Klassische Konflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, Waldnutzung und Erholungsbedürfnis oder Verkehr und Naturschutz behindern eine effektive Nutzung erneuerbarer Energien. Sie sind nur aufzulösen, wenn alle Interessensgruppen sich über eine zukunftsfähige Raumgestaltung verständigen. Dabei bietet nach Ansicht des Soziologen Michael Kreß gerade Lüchow-Dannenberg mit seiner geringen Bevölkerungsdichte und weitläufigen Landschaftsflächen hervorragende Voraussetzungen dafür, sich selbst zu versorgen und sogar noch Waren und/oder Energie zu verkaufen.
Nach seinen Vorstellungen wäre eine profitable Erhöhung der Strom- und Wärmeproduktion ohne Ausweitung der Anbauflächen für Energiepflanzen möglich, wenn weitere Potenziale aus der Biomasse stärker genutzt würden - wie holzige Biomasse, Waldenergieholz, Alt- und Industrieholz, Grünschnitt, Landschaftspflegeholz oder Bioabfälle. Einhellig war man in der Runde allerdings der Meinung, dass die Nutzung dieser Biomasse-Potenziale derzeit äußerst schwierig zu realisieren sind - mindestens Logistikprobleme stehen dem entgegen.
Andererseits ist Kreß der Ansicht, dass in Lüchow-Dannenberg noch "viel Luft" herrscht, was verfügbare Flächen für die Energieproduktion angeht. Der Anteil der Energiepflanzen an der gesamten Anbaufläche liegt nach aktuellen Zahlen bei unter 20 %. "Allerdings häuft sich der Energiepflanzen-Anbau in der nahen Umgebung von Biogasanlagen," so Kreß. "Das lässt die Bürger subjektiv den Eindruck gewinnen, dass 'überall im Landkreis der Mais überhand' nimmt."
Es gilt also, Strategien zur Verhinderung von "Cluster"-Bildungen im Umfeld von Biogasanlagen zu entwickeln. Gute Chancen sieht Kreß auch der Agrarreform der EU, die ab 2013 greifen wird: 70 % der der Direktzahlungen an die Landwirte werden weiterhin als Direkthilfe gewährt (sofern die Einhaltung von Umweltstandards gewährleistet ist). Die restlichen 30 % der "Beihilfezahlungen" durch die EU sind ab 2013 allerdings an sogenanntes "Greening" gebunden, so sollen z.B. 7 % der Ackerflächen ökologische Vorrangflächen sein (z.B. Ackerrand- oder Blühstreifen), drei verschiedene Kulturen müssen auf dem Ackerland angebaut werden, wobei keine weniger als 7 % und keine mehr als 70 % umfassen darf. Und Dauergrünland darf nicht umgebrochen werden.
Resümee: Blühende Landschaften und erfolgreiches Wirtschaften sind kein Widerspruch
Noch ist der Abschlussbericht der WissenschaftlerInnen nicht fertig, aber deutlich wurde in Lüchow, dass eine erfolgreiche Energiewende vor Ort nur gelingt, wenn alle Beteiligten - Bürger, Kommunen, Landwirte und Unternehmer - wirklich "Ja!" zur hundertprozentigen Eigenversorgung mit Erneuerbaren Energien sagen und gemeinsam Konzepte entwickeln, wie die verschiedenen Konfliktfelder gelöst und technische Mankos oder fehlende Strukturen entwickelt werden können.
Gelingt allerdings dieser gemeinsame Prozess, der soziales Leben, Wirtschaften, Landschaftsgestaltung und Technologieeinsatz optimal miteinander vernetzt, dann leuchtet am Horizont die Vision von vielfältig bewirtschafteten Flächen in einer naturnahen Landschaft, in der die Menschen sich nicht nur mit regional hergestellter Erneuerbarer Energie selber versorgen, sondern Überschüsse produzieren, die nach außen verkauft werden können - mit Landwirten, die ihr Auskommen auch in der Lebensmittelproduktion haben und so zur Ernährungssicherung beitragen können.
Am 5. März werden die WissenschaftlerInnen in Berlin übrigens den Abschlussbericht ihres Projektes "Sozialökologie der Selbstversorgung" vorstellen. Es bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse der dreijährigen Arbeit dann hierzulande in einer wesentlich breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden als vergangene Woche in Lüchow.