Zum dritten Mal haben sich in den vergangenen zwei Wochen in Gartow junge KünstlerInnen aus mehreren osteuropäischen Ländern und Deutschland zu einem Art Camp getroffen - die Ergebnisse sind am Wochenende in einer Ausstellung zu sehen.
Das Motto des diesjährigen Art.Camps - erstmalig im Kulturraum Herbsthausen - "These Roots are made for walking" lässt schon ahnen, dass die beiden Begriffe "Heimat" und "Identität" nicht feststehend sind, sondern eher ein Gefühl beschreiben -für jede/n unterschiedlich und wandelbar.
Zwei Wochen lang haben sich 50 KünstlerInnen mit den beiden Begriffen auseinandergesetzt und ausgetauscht. Sie kommen aus der Ukraine, Belarus und Serbien - alles Länder, deren BürgerInnen in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten große Umbrüche zu verkraften hatten. Aus unterschiedlichen Gründen haben die jungen Menschen die Sicherheit, eine Heimat zu haben, verloren. Manche haben Belarus verlassen, weil sie dort verfolgt wurden, andere müssen fürchten, dass ihr Land, die Ukraine, von einem Aggressor überrollt wird und in Serbien leiden Menschen immer noch unter den Erlebnissen der Kriege in den 90er Jahren. Brüchige Heimaten, in denen es schwierig ist, eine eigene Identität zu entwickeln.
Die deutschen TeilnehmerInnen leben zwar in einem wohlhabenden und demokratischen Land, müssen aber in Zeiten von Rechtsruck, Militarisierungsdiskussionen und unsicheren politischen Verhältnissen eigene Positionen entwickeln.
Im Art Camp in Herbsthausen gab es nun für die KünstlerInnen die Möglichkeit, sich auszutauschen und an ihren eigenen Werken (weiter)zu arbeiten. Internationale Begegnungen mit jungen Menschen aus diesen Ländern führt schon seit Jahren der Verein Janun aus Hannover durch. In Zusammenarbeit mit diesem Verein entwickelten Camillo Ritter und Chenxi Zhong das Art Camp. In diesem Jahr findet es bereits zum dritten Mal statt - dieses Jahr das erste Mal in Herbsthausen.
Insbesondere angesichts der aktuellen Situation, vor allem in der Ukraine und Belarus, ist es eine große Frage, welche Rolle Heimat für politisch Verfolgte hat. Und welche hat sie für diejenigen, deren Heimat gerade durch einen Krieg zerstört wird.
Für Liza Yelyzaveta aus der Ukraine steht an erster Stelle die Familie, wenn sie an Heimat denkt, dann aber auch die Kultur ihres Landes. Ulyana hat Belarus verlassen. Aber sie fühlt sich immer noch verbunden mit ihrem Land, auch wenn sie dort vom Regime verfolgt wird - Kindheitserinnerungen und ihre Familie sind für sie -"Heimat". Andrea aus Serbien fühlt sich seinem Land gegenüber nicht sehr verbunden - aber das Gefühl von Verlorenheit lässt ihn nicht los.
Alle drei finden es spannend, sich während des Art Camps untereinander über Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiedlichkeiten auszutauschen. Voneinander lernen wollen sie und neue Perspektiven entwickeln.
Camillo Ritter erzählt, dass bei früheren Camps allein die Teilnahme schon Konsequenzen hatte. "Teilweise sind sie deswegen nach Deutschland gezogen oder haben den Mut gefunden, für die eigenen Wege einzustehen".
Warum bei einem Gespräch über Heimat und Identität plötzlich das Thema Korruption dominant wurde, ist wohl nur aus den Lebenserfahrungen der KünstlerInnen zu erklären. Interessant war es, wie unterschiedlich Korruption im eigenen Land wahrgenommen wird.
Für Liza aus der Ukraine ist es ganz selbstverständlich, bei verschiedenen Dienstleistungen etwas mehr zu zahlen, weil damit eine gute Leistung gewürdigt wird. Sie sieht es wie ein Trinkgeld. Für Andrea geht es weniger um Korruption als um Solidarität - zumindest im Gesundheitssystem. "Man gibt Extrageld, weil man weiß, dass die Ärzte schlecht bezahlt werden und dass überall heilloser Mangel an Material herrscht". In Belarus wiederum läuft die Korruption heimlich ab, sagt Ulyana. Es seien die Herrschenden, die Geld unter sich aufteilten, für den eigenen Luxus ausgäben und es dem Landeshaushalt entziehen. Aber das laufe heimlich ab. Zwischen den Bürgern sei Korruption nicht sonderlich verbreitet.
Ist der Umgang mit Korruption identitätsbildend? Vielleicht ist es nur ein Beispiel für die Unterschiedlichkeiten, vielleicht aber auch Teil eines Erfahrungsgefüges, aus dem Identität erwächst. Ein Erfahrungsgefüge, welches sich stetig ändert. Wie Wanderdünen, die laufend ihre Position verändern, aber als Wanderdüne erkennbar bleiben.
Wie nach zwei Wochen Austausch und Auseinandersetzung "Heimat" und "Identität" in den künstlerischen Werken Ausdruck finden, wird am Wochenende zu sehen sein - in Bildern, Installationen, Objekten und Theaterinszenierungen.
Eröffnung der Ausstellung in Herbsthausen: Samstag, 24. 8, 14 Uhr. Am Sonntag ist sie noch einmal von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Foto | Angelika Blank: Das weitläufige Gelände in Herbsthausen bietet hervorragende Möglichkeiten - auch für das gemeinsame Essen von über 50 KünstlerInnen.