Öko oder Welternährung?

Befürchtungen vor einer Versorgungskrise wegen des Krieges Russlands gegen die Ukraine, nutzen nicht nur der Bauernverband und das Landwirtschaftsministerium als Argument, die Ökologisierung der Landwirtschaft aufzuhalten.  

Deutschland kann sich selbst mit Weizen versorgen. Soweit die gute Nachricht. Es muss also niemand Mehl horten. Allein in Lüchow-Dannenberg wird auf über 20000 ha Getreide angebaut.

Der deutschlandweite Selbstversorgungsgrad liegt allerdings so knapp um 100 %, dass nur noch wenig exportiert werden kann. Nach Ansicht von Thorsten Riggert, Vorsitzender des Bauernverbandes Nordost-Niedersachsen (BVNON), kann Deutschland seiner Mitverantwortung für die Welternährung nicht mehr gerecht werden, wenn die Anbauflächen für Weizen nicht ausgeweitet werden.

"Wir sind versorgt, wir können den anderen wegkaufen. Es sind die armen Länder, die unter den Lieferausfällen und den damit verbundenen massiven Preissteigerungen am meisten leiden werden," so Riggert. "Die Menschen dort müssen jetzt schon 60 bis 70 % ihrer Einkommen für Ernährung ausgeben. Weizen wird für sie dann nicht mehr bezahlbar."

Das in der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) vorgeschriebene Greening ist Riggert dabei ein Dorn im Auge. Er fordert, Ackerflächen von im Greening vorgeschriebenen Zwangsstilllegungen zu befreien. "Wenn die Landwirte wieder mehr Flächen beackern können, könnten 18 Millionen Menschen in den ärmeren Ländern zusätzlich ernährt werden," ist Riggert überzeugt.

Hintergrund: Seit 2015 sind direkte EU-Zahlungen für Landwirte an Greening-Maßnahmen gekoppelt. Dazu gehört, dass ein bestimmter Anteil der betrieblichen Flächen stillgelegt, sprich, nicht mehr beackert werden darf. Ziel der EU-Agrarpolitik ist, mehr ökologische Vorrangflächen und weniger intensive Bewirtschaftung zu erreichen.

Ökologische Schwerpunkte aufgeben

Für Riggert sollten ökologische Schwerpunkte wie Blüh- und Brachflächen in der EU-Agrarpolitik aufgegeben werden. Die Entscheidungen für eine Änderung der Agrarpolitik müssten allerdings schnell getroffen werden. "Jetzt sind die Brachflächen noch da. Jetzt ist noch die Möglichkeit, Anbau zu starten." Die Entscheidung von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Stilllegungsbefreiungen lediglich für den Anbau von Nutztier-Futter zu erteilen, hält Riggert für ungenügend.

Mit seiner Forderung steht Riggert nicht allein da. Auch Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast will die gesamte Agrarpolitik auf den Prüfstand stellen. Sie fand dafür Verbündete bei den LandwirtschaftsministerInnen der  Unions-geführten Länder Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, die gemeinsam am Wochenende mit der "Burg Warberger Erklärung " ihre Vorstellungen einer veränderten Agrarpolitik formuliert haben. Diese Erklärung wurde ausdrücklich an den Bund, die EU und die Wirtschaft gerichtet.

"Ökologische Aspekte sind wichtig, sie müssen aber jetzt für die nötige Zeit ein Stück zurücktreten. Produktionseinschränkende Maßnahmen sollten zurückgefahren werden, denn wir tragen auch Verantwortung für die Versorgung außerhalb der Grenzen Deutschlands und Europas," heißt es darin.

Und an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gerichtet: "Wir fordern den Bund auf, ebenfalls seine agrarpolitischen Handlungsspielräume im Interesse der kurzfristigen Abmilderung der Krisenfolgen zu nutzen. Hierzu sollte unter anderem ... die vorübergehende Aussetzung von Verpflichtungen zur Flächenstilllegung ermöglicht werden.

Bioland: Green Deal ist zentral für ein neues Ernährungssystem

Für Bioland, einer der größten ökologischen Anbauverbände,  muss es gerade jetzt in Zeiten der Krise im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft die Aufgabe sein "alle künftigen Risiken in unsere Systeme einzupreisen. "Wer anlässlich des Krieges in der Ukraine fordert, den EU Green Deal auszusetzen, verkennt, dass wir uns aktuell auch inmitten einer Klima- und Artenvielfaltskrise befinden," heißt es in einer Bioland-Erklärung. "Die Erreichung der europäischen Ziele aus dem Green Deal – und der nationalen Öko-Ziele – ist zentral für den Aufbau eines neuen Ernährungssystems, das uns mehr Sicherheit und mehr Stabilität bringt."

Die Fortschreibung alter Fehler hingegen werde dabei nicht helfen.

Symbolfoto | pixabay:




2022-03-15 ; von Angelika Blank (text),
in Hannover, Deutschland

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