Ende des 19. Jahrhunderts, am 10. Oktober 1899, dem zweiten Sonntag des Monats, fand der letzte Kartoffelweitwurfwettbewerb in Kröte {{tpl:GMap |ort=kröte }} statt.
Geschichtliche Exkursion von Roland Albrecht, Direktor des Museum der unerhörten Dinge
Es war das fünfzehnte Mal, dass dieser Wettbewerb am zweiten Sonntag des Oktober stattfand. Entstanden ist dieser Brauch, mehr zufällig als geplant, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Zuvor gab es kein Kartoffelwerfen und dieser Brauch konnte sich auch nicht ins 20. Jahrhundert retten, durfte nicht ins neue Jahrhundert mit genommen werden.
Erzählt wird, dass die ersten Kartoffeln bei der Einweihung des Hofes Nr. 1 in Kröte geworfen wurden.
Die Mitte des 19. Jahrhunderts war für das Wendland eine gute Zeit, die Landwirtschaft prosperierte, die wachsenden Städte mussten mit immer mehr Lebensmitteln versorgt werden. Die Folgen der vor hundert Jahren eingeführten Kartoffeln machten sich bemerkbar, sie wuchs und wächst hier besonders gut: die Schafzucht wurde reduziert und durch die Schweinemast mit gekochten Kartoffeln ersetzt. Der anfallende Mist konnte auf die Felder gebracht werden, was wiederum die Erträge steigerte. Was in den Jahrhunderten zuvor nur schwer möglich war geschah, die landwirtschaftlichen Erträge wurden bedeutend größer als der eigene Verbrauch. Die Subsistenzwirtschaft verlor ihre Bedeutung. Ein zunehmender Wohlstand zog in die Häuser ein. Dies führte dazu, dass allerorts gebaut wurde. So auch in Kröte. Fast sämtliche Häuser wurden renoviert, um- und ausgebaut, aber auch neue Bauernhäuser entstanden wie hier das Haus Kröte 1, erbaut um die Mitte des Jahrhunderts von Johann Heinrich Tiedemann.
Johann Heinrich Tiedemann liess zur Einweihung seines neugebauten Hauses ein großes Fest ausrichten. Die genaue Jahreszahl ist nicht bekannt. Es muss aber nach den Einschätzungen der Chronisten kurz nach der Mitte des Jahrhunderts gewesen sein.
Es wird von einem großen ausschweifenden Fest berichtet. Es ging so hoch her, dass man noch Jahre später davon erzählte, wie beim Tiedemann gefeiert wurde. Das Fest wurde zur Legende. Johann Heinrich Tiedemann soll ein guter, geschäftstüchtiger Bauer gewesen sein, aber auch für jeden Scherz und Unsinn bereit, besonders wenn Alkohol mit im Spiel war. Es wurde gesungen und getanzt, gegessen, ausgiebig getrunken und manch derbe Späße gemacht, als plötzlich gegen frühen Abend Tiedemann anwies, alle sollten still sein, er hätte etwas zu sagen, er wolle ein Rede halten.
Die meisten Männer, nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, grölten und Tiedemann hielt seine Rede, seine Stimme versuchte feierlich und offiziell zu klingen: „Jetzt wollen wir den Dorfweg frei machen und uns alle hier oben versammeln. Jeder der anwesenden Männer bekommt eine Kartoffel und wer die Kartoffel am weitesten ins Dorf schmeißt wird König, König des Dorfes, König von Kröte, Krötenkönig. Dieser König soll mit Kartoffelkraut gekrönt werden, eine Kartoffelharke als Zepter und eine Kartoffel als Reichsapfel sollen Ausdruck seiner Macht sein. Wir werden dann dem Krötenkönig unsere Huldigungen darbringen.“ Ein großes Gegröle brach aus, Tische und Bänke wurden zur Seite geräumt, die Männer versammelten sich, die Frauen standen im Halbkreis um sie herum und feuerten ihre Männer an.
Auf Grund der Tatsache, dass Herr Tiedemann schon Kartoffeln eingelagert hatte, darf angenommen werden, dass dieses Fest schon im zweiten Jahr nach dem Einzug ins neue Haus stattfand. Es könnte 1852 gewesen sein.
Wer damals König von Kröte, Krötenkönig, wurde ist nicht überliefert. Die nächsten Jahre, Jahrzehnte kam es aber immer wieder, ungeplant, bei Festen zu solchem Kartoffelwerfen.
Im Zuge der nationalen Erweckung in Deutschland, wo Gedenksteine errichtet wurden, Bismarck Türme erbaute, Traditionsspiele wiederentdeckt oder neu erfunden wurden, erinnerte sich der Dorflehrer Hubert Hitzighammer an das Kartoffelwerfen und initiierte am 12. Oktober 1884 den ersten großen offiziellen Krötener Kartoffelweitwurfwettbewerb.
Die ersten Male durften nur männliche Einwohner aus Kröte mitwerfen, aber bereits 1887 konnten sich schon Männer aus anderen Dörfern beteiligen, denn es wird berichtet, dass ein Hans Bülcher aus Wadeweitz in diesem Jahr als Krötenkönig die Huldigungen entgegen nahm.
Nun wurde jedes Jahr am zweiten Sonntag im Oktober der Krötener Kartoffelweitwurfwettbewerb abgehalten, verbunden mit einem Dorffest. Nach dem Kirchgang versammelte man sich gemeinsam auf der Dorfstraße von Kröte, es waren Tische und Bänke aufgestellt, es kamen viele Menschen aus den nachbarschaftlichen Gemeinden, denn es sprach sich schnell herum, dass in Kröte Kartoffeln geworfen werden. Selbst Stadtbürger aus Clenze, Lüchow, Dannenberg, ja sogar aus dem fernen Ülzen wurden gesichtet. Um fünf Uhr nachmittags wurden die Tische abgeräumt und die Dorfstraße frei gegeben.
Vor dem Haus Kröte 1 versammelten sich die angemeldeten Kartoffelwerfer, hinter dem Haus 4 versteckten sich männliche Jugendliche, die jeweils wenn eine Kartoffel geflogen war an die Aufschlagstelle hinrannten, um dort, wo die zerplatzte Kartoffel lag, ein Fähnchen mit dem Namen des Werfers in den Boden zu stecken.
War der Gewinner ermittelt worden, bekam er einen grün-braunen Umhang und eine silberne Kette umgehängt, die er ein Jahr behalten durfte, um sie dann an den neuen Krötenkönig abzugeben. Alle Anwesenden marschierten an ihm vorbei und riefen ihm, jubelnd mit einem mehrfachen Hurra, Huldigungen zu. Dann löste sich das Fest auf.
1895 wurde die Pfarrerstelle neu besetzt. Der neue Pfarrer, ein ganz frommer Pietist, predigte von Anfang an gegen Ausschweifungen und besonders gegen das Kartoffelwerfen. In den nächsten Jahren wurden immer mehr Dorfbewohner verunsichert und blieben dem Fest fern. Der Pastor predigte, dass es eine Versündigung sei, eine Kartoffel, eine Gabe Gottes, einfach wegzuwerfen, zur Belustigung zu verwenden, es sei ein Frevel, ein Gottloses Gebärden, eine Einflüsterung des Teufels.
Der Bürgermeister, der das Fest immer sehr mochte und selbst in jungen Jahren Krötenkönig war, verhielt sich neutral, erlaubte das Fest, nahm aber selbst nicht mehr teil, weil er es sich mit der geistigen Macht auch nicht verderben wollte.
Die letzten Jahre nahmen immer weniger an dem Fest teil. Der Pfarrer verbot in seinen Predigten die Teilnahme und drohte den Werfern und deren Angehörigen Höllenqualen an. Dem Bürgermeister war der Streit inzwischen einfach nur noch lästig.
Als am zweiten Sonntag des Oktobers 1899 wieder Kartoffeln geworfen wurden, traf eine der Kartoffeln den gerade aus seinem Haus tretenden Bürgermeister an der Schulter. Er verbot das Fest auf der Stelle. Der Kartoffelweitwurfwettbewerb fand nie mehr statt, ja er wurde selbst vergessen und nur mehr ganz alte Menschen erinnern sich an die Erzählungen ihrer Eltern, die noch von diesem Fest berichten konnten.
Literatur:
H. Kollerer, Die Kartoffel in Spiel und Ernährung, Hamburg, 1988
K. H. Seifert, Kröte, Chronik eines Dorfes, Kröte 1996
B. Busserl, Eine Knollenfrucht im Fluge, Frankfurt, 2002
W. Ixtage, Das Wendland in Spiel und Sport, Stuttgart, 2007
Foto: Roland Albrecht, Direktor des Museum der unerhörten Dinge, beim Vortrag in Kröte
Foto2: Kröter Wurfkartoffel aus dem Museum der unerhörten Dinge