Walter Mossmann hat Februar 2009 ein Buch über die 60er und 70er Jahre vorgelegt: «realistisch sein: das unmögliche verlangen». Damit kommt er am 21.Mai zu einer Lesung nach Salderatzen, im Anschluss daran ein Gespräch mit der Europaabgeordneten Rebecca Harms - unter anderem über "Chancen und Risken" von außerparlamentarischer Opposition und grüner Parteipolitik.
Wer im Internet «das Gorlebenlied» sucht, findet bei YouTube unter dem Titel Lied vom Lebensvogel eine Live-Aufnahme aus dem Jahr 1979. Mossmanns Song war in den 80er Jahren ein Klassiker der Anti-AKW-Bewegung, zunächst geschrieben für den Gorlebentreck nach Hannover, dann in allen deutschsprachigen Ländern verbreitet, und noch im Jahr 2002 haben ihn Antje Lutz und die Gorleben-Singers für ihre CD Singendes Wendland gecovert.
In seinem neuen Buch beschreibt Mossmann analytisch und witzig, präzise und "wahrheitsgetreu gefälscht" die Anfänge der Bürgerinitiativen und der grünen Partei. Aber auch die Mondlandung, "unzensierte Knie" und Aufstände der Nazikinder sind Themen von "realistisch sein - das unmögliche verlangen" - neben jeder Menge ultimativer Erzählung und Enthüllung. Angelika Blank unterhielt sich mit Walter Mossmann.
Walter Mossmann, wann kamen Sie erstmals nach Lüchow-Dannenberg?
Ich kam am 12. März 1977 zur ersten Gorleben-Demo im verbrannten Wald, zwar mit Gitarre, aber auch als Sprecher der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen. Wir hatten 1975 durch Platzbesetzungen in Wyhl und Kaiseraugst schon den Bau von zwei AKW verhindert und großes Interesse, uns mit den Initiativen an anderen Standorten zu vernetzen. Damals lernte ich auch Rebecca Harms und Marianne Fritzen kennen, und ich war sehr beeindruckt von der Klugheit, mit der hier die unterschiedlichen Interessen und Temperamente von einheimischer Bevölkerung und Aktivisten aus den Städten ausbalanciert wurden.
Sie sind zwar auch ein 68er, aber anscheinend war für Sie das Jahr 1973 noch wichtiger.
1973 war ich erstmals auf dem Larzac und in Wyhl, und von da an sah ich die Bürgerinitiativen als Erben der Apo an und habe mich dort eingeklinkt. In meinen Erzählungen wollte ich beschreiben, wie sich das neue ökologisch orientierte Denken vom äußersten Rand nach und nach in die Mitte der Gesellschaft vorgearbeitet hat.
Was damals neu und noch marginal war, ist heute Mainstream. Alle Welt setzt inzwischen auf erneuerbare Energie ...?
Und trotzdem versucht die Atomindustrie derzeit ein Comeback. Es ist zwar wider alle Vernunft, aber ich traue ihnen jede Unvernunft zu. Die Atomstromverkäufer sind aus demselben Holz geschnitzt wie die Hypothekenhändler. Sie betreiben völlig verantwortungslos ihr Geschäft für den kurzfristigen Profit. Ich erinnere nur daran, wie lange sie die lebensnotwendige Entwicklung erneuerbarer Energie blockiert und ausgebremst haben. Wer die Hypo Real Estate verstanden hat, versteht auch die Atomindustrie.
Haben Sie das Buch nur für «Genossen Ihres Alters» geschrieben, oder wollen Sie auch Jüngere ansprechen?
Ich habe keine Zielgruppe. Ich habe die Geschichten so erzählt, dass sie mir gefallen. Aber zu Ihrer Frage fällt mir eine gewisse Analogie ein: Den Heutigen sind die 60er, 70er Jahre etwa so fern wie uns beispielsweise 1968 die 20er Jahre waren. Ich habe damals jede Menge Erzählungen aus dieser Zeit gelesen, weil mir die üblichen Stereotype darüber zu dumm waren. Es könnte ja sein, dass es junge Leute gibt, denen die Stereotype über die 60er, 70er Jahre nicht ausreichen (Langhans, RAF, K-Gruppen, lila Latzhosen), die könnten wahrscheinlich in meinem Buch allerlei vom Klischee abweichende Einzelheiten finden.
Am 21. Mai um 15.00 Uhr liest Walter Mossmann im Herrenhaus Salderatzen aus seinem Buch - im Anschluß Diskussion gemeinsam mit Rebecca Harms. Eintritt frei, doch wegen begrenzter Plätze bitte Anmeldung unter Tel. 05849-971018.
Foto: Sully Roecken. Dieses Foto zeigt einen Moment des Beginns, eine Situation auf dem besetzten Platz im elsässischen Marckolsheim im Oktober 1974, auf die sich in der Folge die gesamte westdeutsche Anti-AKW-Bewegung bezogen hat.