In der Natur spielen, toben und die Umwelt erkunden - für die Kinder des Waldkindergartens "Die kleinen Dachse" in Gartow ist das selbstverständlich. Diese Woche eroberten die Kleinen das Elbufer bei Vietze.
Normalerweise liegt der Heidberg an der Westseite des Höhbecks in entspannter Ruhe. Doch in dieser Woche übernahmen Kids am Elbufer das Kommando.
Morgens um acht ging es los. Im Minutentakt trafen die Kinder ein, gebracht von Müttern oder Vätern - ein Szenario wie es um diese Uhrzeit in jedem Kindergarten zu beobachten ist. Doch die Kids des Waldkindergartens werden nicht in einem Gebäude abgegeben, sondern in freier Landschaft.
Es gehört zum Konzept der Elterninitiative "Bildung für Nachhaltige Entwicklung", dass die Kinder, denen sie eine Tagesbetreuung anbieten, sich fast ausschließlich in der Natur bewegen. In ihrem Domizil in Gartow gibt es lediglich einen Bauwagen, in den Kinder und Betreuerinnen sich zum Frühstück zurückziehen oder zu besonderen Gelegenheiten.
Ansonsten spielen die Kinder ob im Sommer oder im Winter an der freien Luft, erkunden die Umgebung oder erfinden Spielzeug aus den Dingen, die sie am Wegesrand finden. Abgebrochene Äste, Blätter oder Lianen aus Faserpflanzen - dies und noch vieles mehr können Materialien für neues Spielzeug sein.
Diese Woche war die "Vietze-Woche" angesagt. Jeden Morgen ging es hinaus auf die Wiese unter dem Heidberg. Schnell wurde breite Sandweg am Hang zum Spielplatz und die Wiese zum Erkundungsplatz. Einige ganz Mutige eroberten in Blitzesschnelle einen alten Baum oben am Hang während andere unten am Ufer die mitgebrachten Wolldecken zu Gespensterumhängen umfunktionierten.
Regen? Kälte? Für die Waldkinder-Kids kein Problem. Sie sind warm angezogen, mit Regenzeug ausgestattet und wenn einem Kind doch einmal kalt wird, bekommt es den altbekannten Tipp, doch schnell den Hügel hinaufzulaufen. "Dann wird dir bestimmt warm" ermuntert Betreuerin Stefanie Neues und gibt gleich ein gutes Beispiel, indem sie selbst den Hang erklimmt - gefolgt von (fast) allen Kindern der Gruppe.
Bewegung, Spaß und Lernen in der Natur
Seit 2015 gibt es einen festen Ort für den Waldkindergarten. In Gartow fand der Verein ein Domizil, auf dessen Gelände die Kinder genug Raum für Toben, Spielen und Erkunden der Natur finden. Ein eigener Garten bietet vielfältige Spielmöglichkeiten und eine Pferdewiese, der Gartower See, der Wald oder das Wildgatter sind auch nicht weit entfernt. Ausflüge in die Umgebung gehören dabei ebenfalls zum Programm - wie aktuell die "Vietze-Woche".
Inzwischen ist die Gruppe mit 15 Kindern gut gefüllt. Ihre Eltern sind Förster, Hausfrauen, Handwerker, Selbständige oder Angestellte. Das Vorurteil, dass der Waldkindergarten nur etwas für "Elite"-Kinder sei, erweist sich bei genauerer Betrachtung der Elternstruktur als haltlos. Die Beiträge sind einkommensabhängig gestaffelt - der niedrigste Satz liegt bei rund 170 Euro im Monat, der höchste bei 274 Euro.
Die Eltern, die ihre Kinder in den Waldkindergarten schicken, wissen warum. Sie wünschen sich für ihre Kinder ein naturpädagogisches und nachhaltiges Konzept. "Die Betreuung ist individuell auf die Kinder abgestimmt und die flexiblen Angebote begeistern die Kinder," so Elena Bethge aus Gartow. Sie hatte ihren Sohn vorher in einem "normalen" Kindergarten und ihn dort wieder abgemeldet, weil der Knirps mit den starren Zeiten und dem Spielen in geschlossenen Räumen nicht zurecht kam. "Er braucht Bewegung, persönliche Ansprache und die zahlreichen Anreize durch die Natur. Das passte mit den standardisierten Betreuungsformen in anderen Kindergärten nicht zusammen," erzählt die Mutter. Lediglich eine Stunde am Vormittag seien die Kinder dort an der Luft gewesen, die Abläufe seien streng standardisiert und hätten keine kreativen Anregungen zugelassen.
Bewusster Umgang mit der Natur
Hier im Waldkindergarten ist ihr Sohn weniger aggressiv, tobt sich aus und ist wesentlich zugänglicher als früher. Eine Beobachtung, die die beiden Betreuerinnen Dorothea Fabel und Stefanie Neues öfters machen. Beide Betreuerinnen sind überzeugt davon, dass Kinder den Umgang mit ihrer Umgebung am besten direkt in der Natur lernen. "Ganz nebenbei lernen sie draußen, wie ein Vogel singt, welcher es ist oder welche Pflanzen da draußen wachsen," so Neues. "Es ist für die Kinder ein Spaß, etwas über Tiere, Pflanzen und Natur zu erfahren und keine abstrakte Lernarbeit."
Ihre Kollegin Dorothea Fabel hat in ihrer Ausbildung zur "Reggio"-Fachkraft unter anderem gelernt, wie den Kindern eine umweltorientierte Haltung vermittelt werden kann oder wie sie Spielzeug aus Alltagsmaterialien herstellen.
Beide arbeiten so ganz im Sinne der Elterninitiative, die ganz bewusst einen Waldkindergarten gründen wollte, um "ihren" Kindern einen bewussten Umgang mit der Natur zu vermitteln. Die Mitglieder des Vereins, allesamt Eltern von Kindern im Kindergarten- oder Vorschulalter, sind überzeugt davon, dass die Umgebung, die Natur, die Kinder ebenso in hohem Maße erzieht wie die Erwachsenen. Vieles wird der "pädagogischen Wirkungskraft der Natur" (Zitat aus dem Konzept des Vereins ) überlassen. Die Betreuerinnen greifen allenfalls motivierend, hilfestellend und nur falls notwendig regulierend ein.
Elterneinsatz? Aber gerne!
Die Eltern sind zwar im Waldkindergarten mehr gefordert als in einem "normalen" Kindergarten, sie sehen dies aber nicht als Last sondern als Lust. "In dem anderen Kindergarten hatten wir als Eltern keinerlei Einflussmöglichkeiten, die meisten Ideen wurden ignoriert," berichtet Elena Bethge. "Hier sind die Betreuerinnen außerordentlich motiviert und immer wieder für neue Anregungen offen."
Eine andere Mutter, Försterin von Beruf, hat ihr zweites Kind ebenfalls in den Waldkindergarten gebracht, weil sie möchte, dass ihre Tochter möglichst naturnah aufwächst. Das andere Kind hat sie allerdings in einem traditionellen Kindergarten gelassen weil es dort schon so lange vertraut ist.
Auch in diesem Punkt ist die Elterninitiative nicht ideologisch. "Wir würden uns wesentlich mehr Kooperation mit anderen Kindergärten wünschen," so Stefanie Neues. "Es ist überhaupt nicht in unserem Sinne, Konkurrenzen zu pflegen oder den Eltern nahe zu legen, ihre Kinder aus anderen Kindergärten herauszunehmen."
Den Kids, die sich diese Woche am Vietzer Heidberg tummelten, war denn auch anzumerken, dass sie sich trotz Kälte und Nieselwetter am Elbufer pudelwohl fühlten.
Fotos / Angelika Blank