Was ist eigentlich "Heimat"? Dieser jahrzehntelang verpönte Begriff erlebt in Zeiten wachsender Orientierungslosigkeit eine Renaissance. Heimat, das ist nicht nur ein Ort, sondern auch Gerüche, Klänge, Menschen oder, oder, oder. wnet befragte die Textilkünstlerin Elke Kuhagen nach ihrer Vorstellung von Heimat.
Elke Kuhagen ist eine der wenigen KunsthandwerkerInnen in Lüchow-Dannenberg, die hier geboren und aufgewachsen sind. Nur kurze Zeit hat die heute 63-jährige nicht im Landkreis gelebt. Zunächst schien es ihr noch aufregend, eine neue Welt zu entdecken, das Zuhause in Lüchow-Dannenberg erschien ihr uncool. Doch schon während der Lehr- und Schulzeit in Lüneburg und Bremen war ihr klar, dass sie wieder nach Hause wollte. „Ich hatte einfach Heimweh,“ erzählt die Textilkünstlerin.
Als 1977 Gorleben als Standort für ein Atommüll-Endlager benannt wurde, war es ihr außerordentlich wichtig, dies zu verhindern. „Es ging um mein Zuhause,“ erzählt sie. „Ich habe sehr in der Natur gelebt, viel draußen geschlafen und war immer im Wald unterwegs. Dass da jetzt so eine Industrieanlage hingebaut werden sollte, fand ich unglaublich bedrohlich.“
Ein Grund mehr, zurück ins Wendland zu ziehen – auch wenn sie nicht dem gängigen Klischee „brav, bürgerlich, verheiratet“ entsprach. Wegen ihres Engagements musste sie zahlreiche Konflikte aushalten. Dennoch blieb sie immer ein Teil des Dorfes. „Auch wenn das Leben im Dorf kein Bullerbü war - es gab erbitterte Konflikte und eine starke soziale Kontrolle – es war trotzdem gut zu wissen, mit wem ich es zu tun habe,“ erinnert sie sich. „In der Anonymität der Stadt wollte ich nicht leben.“
Dass sie alle kennt, die hier auf dem Friedhof liegen, ist ein Teil der tiefen Verbundenheit mit ihrem Heimatort. Das kommt nicht von ungefähr: Schon die 13-jährige trug die Post aus und half den Eltern im Dorfladen seit sie laufen konnte. So kannte sie bald alle Menschen im Dorf und aus den Orten ringsum.
Ein Dorfkind war damals meist auch ein Kind aller Bewohner. „Im Haushalt der Freunde war ich immer willkommen,“ so Elke Kuhagen. „Ebenso war es umgekehrt. Irgendwie waren wir wie eine einzige große Familie.“ Die Bussauerin ist bis heute davon überzeugt, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind aufzuziehen.
Leben im Heimatdorf bedeutet Elke Kuhagen auch Sicherheit. „Ich bin überzeugt, dass mir niemand aus dem Dorf etwas tut,“ sagt sie. Auch die Möglichkeit der Selbstversorgung ist ihr wichtig. „Ich weiß, wie Handwerk, Tierhaltung, Gemüsegarten usw. funktionieren. Und dass ich als Textilkünstlerin in einer großen Wohnung mit einem 6000 qm Garten leben kann, ist ein großes Geschenk.“ Heimat – das bedeutet für sie auch, den Schlüssel fürs Schwimmbad zu haben oder Pakete einfach vor der Tür ablegen zu können.
Für
Elke Kuhagen ist es spannend, als ältere Erwachsene wieder an den
Ort der Kindheit zurückzukehren – auch wenn das mit Wehmut
verbunden ist: „Es ist schmerzhaft, dass das was mir so vertraut
ist, verschwindet, auch wenn ich weiß, dass Älterwerden auch
bedeutet, sich anzupassen.“
Trotzdem: das Dorf in dem sie schon als Kind lebte, ist und bleibt ihr Zuhause.
Foto | Angelika Blank: Obst und Gemüse im eigenen Garten ernten zu können, ist für Elke Kuhagen ein wichtiger Teil ihres Heimatgefühls.