Ein Bauer möchte in Klein Heide eine Mast-Anlage für 5000 Schweine bauen, um „das Überleben des Hofes“ zu sichern. Die Reaktion der Nachbarn reicht von Angst um Ruhe und gute Luft über Verständnis für die wirtschaftlichen Nöte des Landwirts bis zu mehr oder weniger verdeckten Giftigkeiten gegen „Zugereiste“, die für einige Alteingesessene bloß „Luftschnapper“ sind, die sich gefälligst aus den dörflichen Belangen rauszuhalten haben.
Mal abgesehen davon, daß besagter Bauer meiner bescheidenen (städtischen) Meinung nach aufs falsche Pferd setzt, weil in den letzten Jahren die so ziemlich einzigen stabilen Zuwächse in der Landwirtschaft im Bio-Landbau erzielt wurden, tut sich hier ein grundsätzlicher Konflikt auf. Es geht um die existentielle Frage: Was soll aus Lüchow-Dannenberg werden?
Für den Großteil der klassischen Bevölkerung stellt sich diese Frage entweder nicht, oder sie wissen auch keine Antwort. Die einen bewirtschaften ihre Höfe, arbeiten in den wenigen Betrieben, sozialen Einrichtungen oder im öffentlichen Dienst und sehen ratlos zu, wie junge Leute auf der Suche nach Arbeit und Leben abwandern. Die anderen haben sich auf Rente, Arbeitslosigkeit und/oder Minijobs eingestellt und können hier vergleichsweise günstig (über)leben. Was aus Landkreisen wird, deren Bevölkerung sich so zusammensetzt, kann in Mecklenburg-Vorpommern studiert werden: Schöne Gegend, fast menschenleere Dörfer, kaum junge Leute, alkoholisierte Depression und rechtsradikale Ausbrüche einiger Jungmänner, die nicht wissen, wohin mit sich und ihrer unbenötigten Kraft.
Bunte Vögel sehen nicht alle gern
Daß es in Lüchow-Dannenberg bisher nicht so gekommen ist, liegt vor allem am Konflikt um Gorleben – ein Streit der die Region immerhin in Bewegung und damit lebendig hält. Und daran, daß es hier viele, meist zugereiste, bunte Vögel gibt, die sich in einem der großen, preiswerten, weil kaum verkäuflichen Resthöfe angesiedelt haben und nun das Rückgrat der lebendigen Kulturszene des Landkreises bilden. Doch derartiger Bevölkerungszuwachs wird nicht von allen begrüßt: Klaus Wohler, CDU-Fraktionschef im Kreistag, meint, daß Lüchow-Dannenberg durch ein Endlager in Gorleben wirtschaftliche Stärke mit entsprechendem Zuzug Betuchter erreichen würde – stattdessen, so beklagte er, „kommen Hartz-IV-Empfänger und Künstler!“ Diese Einlassung offenbart eine, selbst für Provinzpolitiker der CDU, bemerkenswerte Ignoranz: Er wettert öffentlich gegen die einzige Bevölkerungsgruppe (Hartz-IV-Empfänger), die wohl oder übel ihr gesamtes Einkommen sofort in den Konsum bei hiesigen Händlern steckt – was begüterte Schichten derzeit verweigern. Und er macht Stimmung gegen „die Künstler“, die ihrerseits für die nicht nur wirtschaftlich wichtigsten „Events“ des Kreises verantwortlich sind, etwa die Kulturelle Landpartie, die Sommerlichen Musiktage, neuerdings ein Marionettenfestival und vieles mehr – und damit deutlich mehr für ein positives Image der Region tun (und damit Touristen und ihr Geld anlocken), als alle hiesigen Schützenfeste, Stadtjubiläen oder CDU-Grünkohlessen zusammen.
Tatsächlich macht sich Klaus Wohler mit seinen nur überschaubar kompetenten Äußerungen zum Sprachrohr derer, die eine Art „Arbeiter- und Bauernstaat“ als Zukunftsvision für diesen Landkreis anpeilen. Nur ist das mit den Arbeitern weitgehend ausgereizt. Neue Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern werden sich hüten, in einen dünn besiedelten Landstrich mit ungünstiger Altersstruktur zu kommen, und konventionelle Landwirtschaft mit Zukunft in Verbindung zu bringen, ist mindestens mutig. Zunächst einmal gibt es weder hier noch sonstwo im Lande einen Bauern, der ausschließlich vom Verkauf seiner Erzeugnisse lebt. Das ist nicht die Schuld der Landwirte, sondern Auswuchs einer jahrzehntelangen verfehlten Agrarpolitik. So zahlte die EU im Jahr 2008 rund 55 Milliarden Euro für die Agrarpolitik; hauptsächlich als Subventionen. Dazu kommen diverse nationale Förderungen, zum Beispiel aus dem 5,8 Milliarden-Etat des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in 2008, sowie Steuererleichterungen etwa für „Agrar-Diesel“, Preisgarantien, Exportsubventionen, Ausbau ländlicher „Wirtschaftswege“ usw. usf.
Faktisch sind Bauern längst Staatsangestellte. Und damit wäre der Steuerzahler, also auch der neue Nachbar aus der Stadt, „Arbeitgeber“, was den Streit über die Frage, wer welche Rechte im Dorf hat, schnell verschärfen könnte. Indes kommt von den vielen Milliarden nur ein geringer Teil bei den Landwirten an. Der große Rest geht an Molkereien, Zuckerfabriken, Zwischenhändler usw., kurz: an einen Wasserkopf aus Firmen und Organisationen, deren Wirken für die Landwirtschaft durchaus umstritten ist.
Masse statt Klasse
Und dann noch dies: Der „Living Planet Index“ des WWF konstatierte im Mai 2008, daß die Artenvielfalt auf der Erde zwischen 1970 und 2005 um 27 Prozent gesunken ist. Hauptursache zu Lande: Die moderne Landwirtschaft mit Pflanzen„schutz“mitteln, schweren Landmaschinen, Gülle sowie Biotopvernichtung, Zerschneidung und Versiegelung der Landschaft und Umwandlung in bewirtschaftete Monokulturen. Der Grundwasserspiegel, auch hier, sinkt – auch als Folge landwirtschaftlicher Be- und Entwässerung, die Wasserqualität wird durch Pestizide und Düngemittel nicht besser.
Dabei sind Bauern selten Herr auf dem eigenen Hof: Einerseits, weil sie den neuen Traktor oder gar den schönen neuen Maststall nicht ohne Kredite finanzieren können, andererseits, weil Hersteller, Behörden und EU direkt, ständig und massiv in Betriebsabläufe eingreifen. Nutzpflanzen und Tiere werden patentiert; kaum jemand kann noch selbst entscheiden, was gesät, geerntet oder gezüchtet wird. Konzerne wie „Monsanto“ drücken gentechnisch verändertes Saatgut in den Markt, beliebte Kartoffelsorten wie „Linda“ verschwinden, weil Lizenzen ablaufen. Auch schreibt die EU Standards vor; unvergessen die Zeit nach der Wiedervereinigung, als nicht nur in Brandenburg, von der EU gefördert, Millionen Apfelbäume gefällt wurden, weil die Früchte nicht in das EU-Raster passten. Ein paar Jahre später gab es dann wieder EU-Geld, diesmal für die Anpflanzung alter (zuvor abgeholzter) Obstsorten.
Jahrzehntelang wurde nach dem Prinzip „Masse statt Klasse“ gefördert – und damit nebenbei durch subventionierte Exporte der Überschüsse fast die gesamte Landwirtschaft in Entwicklungsländern ruiniert. Erst in den letzten Jahren wird, wenn auch zaghaft und gegen den Widerstand starker Lobbyverbände, umgesteuert, so werden etwa die Summen pro Hof gedeckelt. Trotzdem heißt die Devise nach wie vor: Wachse oder weiche, was aus der Sicht einzelner Bauern durchaus logisch erscheint. Teure, große Maschinen brauchen große, geradlinige Schläge. Und deshalb verschwindet mit den Jahren so mancher Weg, manche Hecke unterm Pflug, werden Felder zusammengelegt usw... Und wer sich dagegen ausspricht, ist eben bloß ein Luftschnapper, einer, der keine Ahnung hat, der den Bauern an die Existenz will und am besten dahin verschwindet, wo er hergekommen ist. Der Konflikt zwischen denen, die Landschaft nutzen, und denen, die sie genießen, scheint schwer lösbar zu sein.
Was also tun?
Zunächst einmal wäre eine ehrliche Bestandsaufnahme lokaler Gegebenheiten nötig: Was sind die hiesigen Trümpfe, was die Nieten? Was hält den Landkreis wirklich am Leben, was bremst, was verbaut Zukunftschancen? Die Landwirtschaft ist - ähnlich wie der Bergbau - ein hauptsächlich durch Subventionen in Gang gehaltener Wirtschaftszweig. Dagegen ist nichts zu sagen, solange dadurch nicht andere mögliche und nötige Entwicklungen behindert oder gar abgewürgt werden. Wenn die Schweinemastanlage in Klein Heide steht, werden bald andere Bauern kommen, die auch wollen, und dann dauert es nicht mehr lange, bis es hier so aussieht und so riecht wie im „Schweinegürtel“ rund um Vechta. Wenn die Region aber auf „sanften, naturnahen Tourismus“ setzen will, sind solche Anlagen nichts als kontraproduktiv. Das gilt auch für große Felder mit Monokulturen – genau wie für ein Übermaß an Windkraftanlagen.
Dagegen ist eine vielfältige Landschaft mit Wegen, Hecken, Wäldern und entsprechender Tierwelt ein Pfund, mit dem sich (übrigens auch für Landwirte) wuchern ließe, weil Bodenerosion verhindert, die Boden- und Wasserqualität verbessert würden. Eine solche Landschaft braucht natürlich auch Bauern, allerdings welche, die nicht intensiv sondern nachhaltig und nach Möglichkeit ökologisch wirtschaften. Ihr Lebensunterhalt wäre zum Teil durch Direktvermarktung gesunder Produkte, zum Teil durch Landschaftspflege zu sichern. Warum soll in Lüchow-Dannenberg nicht gehen, was, zum Beispiel, in Bergregionen schon lange prima läuft? Warum kann man nicht hiesigen Landwirten ausreichend Geld dafür geben, daß sie aufforsten, Hecken anlegen, Bäche renaturieren, Brachen und Moore pflegen? Auch Biogasan-lagen, die nicht nur Strom und Wärme, sondern daneben auch geruchsneu-tralen und hochwirksamen Dünger produzieren, passen da ins Bild.
Tradition und Moderne könnten zusammenwachsen, erst recht, wenn die zahlreichen leerstehenden Häuser in den Dörfern neue Bewohner hätten, die von der Landschaft, der Kultur, von guter Luft und guten Schulen für die Kinder sowie funktionierenden schnellen Internetverbindungen ( ein Muß für Freiberufler) angelockt, neues Leben (und damit auch Steuergeld) in schon jetzt oft überalterte Dörfer bringen würden. Das paßt zur gern beschworenen Metropolregion Hamburg. Dazu braucht es aber, unter anderem, endlich eine attraktive Bahnverbindung sowie einen öffentlichen Personennahverkehr, der diesen Namen verdient (siehe auch Seite 25 in diesem Heft: „Alle für die Wendlandbahn“).
Aber vor allem braucht es ein Umdenken in den Spitzen von Landvolk und Bauernverband sowie der Politik bis hinunter in jedes Dorf. Wie weit wir davon noch entfernt sind, zeigt etwa die Ratsmehrheit in Clenze, die gegen jegliche Vernunft und ohne Rücksicht auf nachhaltige Entwicklung oder auch das Stadtbild den Bau eines dritten Supermarktes in einer Gemeinde mit knapp 2300 Einwohnern für eine prima Sache hält. Mehr Beton, mehr Verkehr, „effektive“ Gestaltung der Landschaft – das sind Konzepte aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, nichts für die Zukunft.
Chancen verpasst?
Auch größere Bildungsträger kommen nicht hierher – es sei denn für Themen, die die Region selbst als Stärken herausstellt. Beispiel: die „Akademie für Erneuerbare Energien“. Es wäre möglich, zum Beispiel in Kooperation mit Unis, ähnliche Einrichtungen, etwa für den Umbau der Land(wirt)schaft, mit dem Ziel, Arbeit, Leben und Umwelt zu vereinen. Hier im Wendland nisten Kraniche, hier leben Biber, vielleicht sogar schon Wölfe, hier gibt es seltene, anderswo längst ausgestorbene Pflanzen – das eröffnet Chancen für wissenschaftliche Begleitung, für Tourismus und ein positives Image der Region. Die Grundlagen für all das hätte man schon vor zehn Jahren mit einem „Nationalpark Elbtalaue“ legen können, doch der wurde durch Behördensturheit und die „Weitsicht“ einiger Bewohner verhindert. Was in so einem Nationalpark für Möglichkeiten stecken, läßt sich, zum Beispiel, in Schottland rund um Loch Lomond, etwas nördlich von Glasgow gelegen, studieren: Eine ganze Region lebt für den Landschaftsschutz – auch die Bauern. Der Lohn sind rund 150 000 Wandertouristen (Spaziergänger und Luftschnapper!), die über fünf Millionen Euro jährlich in die Kassen örtlicher Händler, Restaurants und Pensionen bringen. Warum soll das links und rechts der Elbe nicht ähnlich funktionieren?
Aber anstatt solche Strategien öffentlich zu diskutieren, versuchen Politiker hierzulande seit Jahrzehnten mit Zonenrandförderung, Bedarfszuweisungen, diversen anderen Subventionen oder aktuell mit Konjunkturpaketen (also mit dem Geld anderer Leute und eben nicht aus der eigenen Kraft heraus) diesen Landkreis zu erhalten und zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein wirtschaftlich nicht überlebensfähiger Flickenteppich aus Natur hier und Naturzerstörung dort, aus gut gemeinten Einzelmaßnahmen und hirnrissigen Großprojekten wie Autobahnen und Elbbrücken. Höchste Zeit also für eine landkreisweite Diskussion, ähnlich wie in Sachen Schulentwicklung, wohin die Reise dieses Landkreises gehen soll.
Um unseren Teil zu dieser Diskussion beizutragen und um das Thema, das immer wieder angerissen wird, dann aber doch wieder versandet, voranzutreiben, lädt „zero“ zu Dienstag, den 6. Mai, um 20 Uhr nach Platenlaase zu einer Podiumsdiskussion. Aufs Podium eingeladen werden all jene aus Verwaltung, Touristik, Kultur, Landwirtschaft und Politik, die an entscheidender Stelle sitzen.
Text: zero/Stefan Buchenau
Foto: Angelika Blank
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