In einer rund einstündigen Regierungserklärung skizzierte der frisch gebackene Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Montag die Leitlinien der Landespolitik für die nächsten fünf Jahre. In der Zeit sollen die Weichen gestellt werden, dass die Niedersachsen sicher und "mit Aussicht auf eine gute Zukunft in allen Teilen unseres Landes" leben können.
Vor allem im demographischen Wandel sieht Weil eine der größten Herausforderungen für die Zukunft. Den unterschiedlichen Folgen der Veränderungen der Bevölkerung zu begegnen, das "ist die herausragende gesellschaftspolitische Aufgabe, die sich uns in den nächsten Jahren und auch Jahrzehnten stellen wird." Und diese Herausforderung sei so groß, dass die Politik alleine die notwendige Anpassung kaum schaffen könne und dafür viele Partner in der Gesellschaft brauche.
Weg von quantitativem hin zu qualitativem Wachstum
Dieses Motto soll die Finanzpolitik ebenso prägen wie die Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Energie- und Bildungspolitik. "Das Modell eines reinen quantitativen Wachstums stößt immer deutlicher an seine Grenzen und ist dennoch unverändert die Grundlage unseres derzeitigen Wohlstands. Die Landespolitik wird zunehmend mit diesem Spannungsverhältnis konfrontiert und muss Beiträge dazu leisten, verstärkt auch qualitatives Wachstum möglich zu machen," so Weil.
Im Einzelnen skizzierte Weil, was er damit meint:
FINANZEN
Weil bekennt sich zur Schuldenbremse - dennoch sollen dringend notwendige Zukunftsinvestitionen, insbesondere in der Bildung, gewährleistet werden. Dafür Spielräume zu schaffen, betrachtet Weil als "Kernaufgabe".
Zunächst sollen die Ausgaben des Landes einer intensiven Prüfung unterzogen werden. Unter anderem soll geprüft werden, welche Aufgaben an Kommunen delegiert werden können.
Ansonsten:
- die Landesregierung lehnt das Betreuungsgeld ab und wird beim Bund darauf dringen, dass diese Leistung wieder abgeschafft wird. Dieses Geld soll in frühkindliche Förderung gesteckt werden.
- gerechte Steuerpolitik: Schaffung von hundert neuen Stellen bei den Finanzämtern im Bereich der Betriebsprüfungen, um "den Vollzug bestehender Gesetze zu sichern".
- Einführung eines höheren Spitzensteuersatzes
FAMILIE UND BILDUNG ...
widmete Weil einen Großteil seiner Rede, denn: "wir müssen unsere Anstrengungen für ein familienfreundliches Niedersachsen erhöhen," so Weils Ankündigung einer veränderten Bildungs- und Familienpolitik. "Ob junge Menschen eine Familie gründen, das geht den Staat nichts an. Dafür günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, ist aber sehr wohl eine staatliche Verpflichtung. "
- zum 1. August soll der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz bedarfsgerecht erfüllt werden
- je nach Möglichkeit soll die frühkindliche Förderung verbessert werden
- Geschlechtergleichstellung soll weiter befördert werden
"Bildung entscheidet ganz wesentlich darüber, ob gut ausgebildete, qualifizierte junge Menschen selbstbewusst ihren Platz in der Gesellschaft finden können oder sich von Kindheit an auf der Verliererseite wiederfinden. Bildungspolitik ist gleichzeitig Wirtschaftsförderung pur. In immer mehr Unternehmen herrscht längst Klarheit darüber, dass der Fachkräftebedarf zur zentralen Herausforderung für die weitere Entwicklung wird. Das beste, was wir für Niedersachsens Wirtschaft in der Zukunft tun können, ist eine fundierte Bildung und Ausbildung aller jungen Leute, bevor sie in den Arbeitsmarkt eintreten," so Weils Überzeugung.
Deswegen soll/en
- Streitigkeiten über Schulstrukturen beendet werden. Es wird keine neue Schulform eingeführt, aber auch keine bestehende Schulform abgeschafft.
- Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass vor Ort diejenigen Schulen angeboten werden, die Eltern und Kommunen tatsächlich wollen.
- Diskriminierung der Gesamtschulen beendet werden, insbesondere soll die Fünf-Zügigkeit abgeschafft werden. Gesamtschulen werden wieder Ganztagsschulen sein.
- Abitur nach neun Jahren möglich sein
- grundsätzlich: mehr Qualität im Bildungswesen; Bildungserfolg einer Ganztagsschule ist höher als in einer Halbtagsschule, auch Grundschulen als Ganztagsschulen befördern.
- Möglichkeiten geprüft werden, wie Schulalltag entkrampft werden kann
- Weg der Inklusion intensiv verfolgt werden
- Studiengebühren abgeschafft werden
WIRTSCHAFT
Leitmotto: "Eine erfolgreiche Wirtschaft ist die Basis unseres Wohlstands, aber auch die Basis unseres Sozialstaats. Ihre Zukunft zu sichern, muss ein Kernthema der niedersächsischen Landesregierung sein. "
- notwendige Infrastruktur bereitstsellen, vor allem übrigens mit Blick auf die Möglichkeiten der maritimen Wirtschaft und ihre notwendige Hinterlandanbindung. Das gilt für Straße, Schiene und Wasserwege gleichermaßen.
- ausreichende Datennetze überall im Flächenstaat Niedersachsen gewährleisten - vor allem im ländlichen Raum, wo "die Perspektiven vieler Unternehmen im Ergebnis auch abhängig sind von einer ungestörten elektronischen Kommunikation."
- gerechte Verteilung des Erfolges: "Öffentlichen Aufträgen des Landes und der Kommunen soll in Zukunft ein Mindestlohn zugrunde liegen. Dafür werden wir sorgen und zugeich auf Bundesebene für einen gesetzlich geregelten Mindestlohn kämpfen."
- integrierte Regionalpolitik: gemeinsam mit den regionalen Akteuren Stärken und Schwächen, Risiken und Potenziale herausarbeiten und auf dieser Grundlage gemeinsam regionale Entwicklungskonzepte erarbeiten.
- EU-Fördermittel bündeln und so einsetzen, dass der größtmögliche und nachhaltige Effekt für die Regionen erreicht werden kann; Einrichtung von vier Landesbeauftragten, die dafür sorgen sollen, dass die Landespolitik in den Regionen mit einer Stimme und als verlässlicher Partner auftreten wird.
ENERGIE
Leitmotto: "Niedersachsen hat das Potenzial dazu, das Energieland Nummer 1 zu werden. Niedersachsen hat die Chance, überall im Land Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Rahmen der Energiewende zu schaffen. Das gilt für die Windenergie, On- und Offshore ebenso wie für andere erneuerbare Energien und die Maßnahmen zur Energieeffizienz, die vor allem für unser Handwerk nachhaltige Wachstumsimpulse versprechen. Wir können in dieser Hinsicht Technologieführer werden ."
- Energiewende soll ein Erfolg werden; Landesregierung wird sich mit Nachdruck für zügigen Ausbau der Energienetze einsetzen.
- aber: schlüssiges Gesamtkonzept muss her; dafür wird sich die Landesregierung bei der Bundesregierung einsetzen. "Aus dem derzeitigen Energie-Chaos soll tatsächlich die versprochene Energiewende werden."
GORLEBEN im O-Ton:
"Der Streit um Gorleben hat jahrzehntelang unser Land politisch gespalten. Die Asse zeigt in aller Deutlichkeit, welche Gefahren mit der atomaren Endlagerung verbunden sind. Die Landesregierung hat in dieser Frage eine sehr klare Haltung: Sicherheit geht über alles. Es ist gut und richtig, wenn jetzt erstmals über eine neue, ergebnisoffene Suche nach Standorten diskutiert wird.
Niedersachsen hat kein Recht, sich aus dieser Diskussion abzumelden. Wir haben aber jedes Recht, aus unseren konkreten Erfahrungen auch konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen. Die geologisch begründeten Zweifel am Standort Gorleben sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht kleiner, sondern größer geworden. Das ist doch wohl das Mindeste, wenn man sich anschickt, Sicherheit für buchstäblich eine Million Jahre schaffen zu wollen: Dass über die geologische Eignung eines Standorts kein nennenswerter Streit besteht.
Diese Voraussetzung wird sich für Gorleben nicht mehr herstellen lassen. Deswegen ist die neue Landesregierung gleichzeitig die erste, die eines unmissverständlich festhält: Gorleben ist als Standort für ein atomares Endlager ungeeignet. Diese Haltung werden wir mit aller Klarheit in alle Diskussionen einbringen. "
LANDWIRTSCHAFT
Leitmotto: "Die Landesregierung will den Charakter Niedersachsens als Agrarland sichern und der Ernährungswirtschaft gute, nachhaltige Bedingungen verschaffen. Statt einer Politik, die die 40.000 bäuerlichen Betriebe vor die Alternative „Wachsen oder Weichen“ stellt, sollen diese Betriebe im Rahmen einer sanften Agrarwende gezielt gefördert werden. "
- im Dialog mit den Unternehmen den Tierschutz achten
- Vertrauen bei den Verbrauchern stärken
- auf die Belange der Umwelt eingehen
deswegen:
- verbessertes Planungsrecht der Kommunen im Außenbereich
- Biolandbau fördern
- Dringen auf eine Produktion von Lebensmitteln, die in der Gesellschaft Akzeptanz und Vertrauen finden wird.
Zitat Weil: "Eine Revolution in der Agrarpolitik ist von dieser Landesregierung nicht zu erwarten, eine Evolution in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sehr wohl. "
SOZIALES + GESUNDHEIT
Leitfrage: "Die Landesregierung sieht mit Sorge, dass aktuell gerade in der Fläche eine Reihe von Krankenhäusern vor dem wirtschaftlichen Aus steht. Sie nimmt die Bedenken ernst, wie in Zukunft eine würdige Pflege gerade im ländlichen Raum bei zurückgehenden Bevölkerungszahlen und zunehmender Alterung gewährleistet sein soll. "
Finanzierung und Pflegesätze sind in Krankenhäusern und Pflegeheimen "weit, weit unterhalb des eweiligen Bundesdurchschnitts. Das ist nicht akzeptabel."
- Gerechtigkeit bei der sozialen Grundversorgung herstellen
- soziales Netz in der Fläche sicherstellen
INTEGRATIONSPOLITIK
Integration wird ab sofort als Querschnittsaufgabe angesehen. Die Landesregierung wird
"unterschiedlichen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen mit Respekt begegnen und beispielsweise einen Staatsvertrag mit muslimischen Glaubensgemeinschaften anstreben. Sie wird in der Flüchtlingspolitik einen Paradigmenwechsel vornehmen und in Härtefällen den Gesichtspunkt der Mitmenschlichkeit in den Vordergrund stellen. Sie wird den Verfassungsschutz gründlich reformieren und - in Anspielung auf die NSU-Morde - damit einen Beitrag dazu leisten, gerade bei Migrantinnen und Migranten verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen. "
KOMMUNEN
Die Kommunen sind für unseren Politikansatz unverzichtbare Partner. Ohne handlungsfähige Kommunen lässt sich unser Gemeinwesen auf Dauer nicht zusammenhalten. Die Landesregierung wird sich deswegen bei der Finanzausstattung als Anwältin der Städte, Gemeinden und Landkreise in der Bundespolitik verstehen. Sie wird daneben die Kommunen als Partner stärken und um Mitarbeit bitten.
Stichwahlen bei der Wahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern beziehungsweise Landrätinnen und Landräten sollen wieder eingeführt werden. Auch die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sollen verbesser und insoweit auch direkte Demokratie erleichtert werden.
Foto: Stolz präsentiert sich Stephan Weil auf seiner facebook-Seite kurz nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in einer Fotomontage.