Vor 16 Jahren zog Judith Christner aus dem Wendland nach Mosambik, um dort ein Frauen- und Mädchenprojekt - LeMuSiCa - aufzubauen. Seitdem arbeitet sie dort gegen Gewalt und hilft Frauen und Mädchen dabei, trotz AIDS und verkrusteten Traditionen ein selbstbestimmtes Leben zu leben. Hier ein Brief von ihr aus dem afrikanischen Land.
"Das wünsche ich ganz vielen Menschen: andere Kulturen und Lebensweisen kennenzulernen. Es gäbe viel weniger Angst voreinander und man könnte deutlicher sehen, was uns miteinander verbindet." (Pina Bausch, 1940 - 2009, deutsche Tänzerin, Choreographin und Ballettdirektorin):
Dieses Zitat, das unsere Partnerinnen aus dem Emsland als Einstieg für ihre Website gewählt haben, stelle ich an den Anfang dieses Briefes – weil es leider aktueller ist denn je bzw. es gerade in diesen Wochen so deutlich sichtbar wird, wozu Angst, Unwissenheit und Abwehr gegen das Fremde oder den Fremden führen können.
Im Mittelmeer ertrinken immer mehr Flüchtlinge auf dem Weg in das vermeintlich gelobte Land und Europa lässt sich Zeit mit sinnvollen Maßnahmen, die diesen Katastrophen entgegensteuern könnten. Seit Ende März ist Südafrika in der Region um Durban erneut Schauplatz xenophober Attacken gegen Ausländer, wie das im Jahre 2008 schon einmal der Fall war.
Südafrika ist kein erstrebenswertes Ziel
Ich weiß nicht, ob sich die Medien in Europa dafür interessieren, hier zumindest sind die Zeitungen und Fernsehsendungen voll davon und die Bilder sind erschreckend, abschreckend, unmenschlich. Die Xenophobie richtet sich vor allem gegen afrikanische, also vielfach schwarze Ausländer aus den Nachbarstaaten, viele von ihnen sind Mosambikaner. Das Bild eines 35 jährigen Mosambikaners, der auf bestialische Weise erschlagen wurde ging durch die Medien und hat uns alle erschüttert. Die Presse schreibt von der direkten Gewalt gegen „unsere schwarzen
Brüder und Schwestern“, von xenophoben Attacken der Armen gegen die Armen in
Südafrika, das als wirtschaftsstark gilt und wo dennoch weiterhin viele Menschen in
Armut und Elend leben – genau dort, wo sich jetzt der Unmut darüber entlädt, wo
Sündenböcke gesucht werden, die einfacher zu treffen sind als diejenigen, die für die
Zustände verantwortlich sind.
Die Armen in Südafrika, so ein Kommentator, verstehen nicht, warum sie weiterhin arm bleiben, keinen Zugang zu Bildung und dem im Land produzierten Reichtum haben und wirft der eigenen Regierung diesbezüglich Versagen vor. Und wo, so fragen einige, bleibt die afrikanische Union in dieser Krise ? „Sie ist nicht präsent, denn sie ist eine Organisation, die nur die Elten schützt, die nur in Aktion tritt, wenn die Elite in der Klemme sitzt, aber nichts oder äußerst wenig tut, wenn die Armen miteinander in Konflikt geraten.“ Viele MosambikanerInnen, die auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen nach Südafrika gegangen sind, sind direkt von der Gewalt betroffen und die mosambikanische Regierung hat inzwischen Transportmittel für die Rückkehr ihrer Landsleute zur Verfügung gestellt.
Viele Ausländer leben derzeit in den von der südafrikanischen Regierung bereitgestellten Flüchtlingscamps, doch längst nicht alle wollen in ihre Länder zurück. Sie hoffen, dass sich die Lage wieder entspannt und sehen noch immer in Südafrika bessere ökonomische Grundlagen als in ihren eigenen Ländern. In Maputo (Mosambik) hat die Zivilgesellschaft eine Demonstration organisiert und die Forderung gestellt, dass die afrikanischen Gerichte und der Internationale Gerichtshof davon Kenntnis erhalten und die südafrikanische Regierung zur Verantwortung gezogen werden müsse.
LeMuSiCa - Kampf gegen Gewalt und Krankheit
Diese Ereignisse bewegen auch LeMuSiCa, doch zunächst mehr in Gesprächen und nicht in Aktionen. Unsere Aktionen drehen sich derzeit vor allem um den sexuellen Missbrauch von Mädchen, immer noch und immer wieder, zuletzt die kollektive Vergewaltigung einer 14 jährigen durch vier Männer. Während einer Fortbildung des „clubes de rapariga“ in Chigodore, einer sehr ländlichen Gemeinde im Einzugsgebiet Cruzamento de Tete ereignete sich im Morgengrauen die Vergewaltigung und einer der an der Fortbildung teilnehmenden Jugendlichen informierte unsere
Moderatorinnen über den Fall.
Diese suchten sofort das Haus des Mädchens auf und leiteten die notwendigen polizeilichen und ärztlichen Schritte ein, das heißt vor allem die medizinische Feststellung der Vergewaltigung und die sofortige Einleitung der Postprophylaxe gegen HIV/Aids. In weiteren Gesprächen mit der Polizei und den „lideres comunitarios“ vor Ort stellte sich heraus, dass diese kollektive Vergewaltigung kein Einzelfall war, sondern die Gruppe junger Männer bereits mehrere Frauen, auch ältere, vergewaltigt hatte. Doch keine sagt oder tut etwas, da es sich um Söhne der sogenannten „antiges combatentes“ handelt, die auf Grund ihrer ruhmreichen Vergangenheit im Befreiungskampf als unantastbar gelten.
Es gibt auch Erfolge
Jedoch nicht aus Sicht von LeMuSiCa : Wir schrieben sofort einen Brief an unsere PartnerInnen
WlSa und Forum Mulher in Maputo zwecks Veröffentlichung und gleichzeitig an die Staatsanwaltschaft und die Direktion der „antiges combatentes“ in Chimoio, in dem wir den Fall anzeigten und entsprechendes Handeln forderten. Am 24. April, im Zusammenhang mit einer kleinen Demonstration aus Solidarität mit den Näherinnen in Bangladesh, die 2013 beim Einsturz des Gebäudes, in dem sie arbeiteten, ums Leben kamen, haben wir auch auf diesen aktuellen Fall einer Gruppenvergewaltigung aufmerksam gemacht und Gerechtigkeit unabhängig von jeglicher „wichtigen“ Zugehörigkeit gefordert.
Nun bereiten wir gerade eine Aktivität in Chigodole vor, gemeinsam mit Vertretern der „antigos combatentes“ , bei der klargestellt werden soll, dass Vergewaltigung eine Straftat ist und es in diesem Zusammenhang keinen Schutz für Täter geben kann und darf. Zwei der Straftäter wurden in der Folge festgenommen und sitzen in Untersuchungshaft, zwei sind noch flüchtig.
Verurteilt wurde inzwischen auch der Vergewaltiger eines zweiten Mädchens. Die damals 8-Jährige wurde wurde von ihrem Onkel über einen langen Zeitraum immer wieder vergewaltigt und in Folge dessen auch mit HIV infiziert, nachdem dieser seine Ehefrau verlassen hatte. Er bekam die Höchststrafe von 16 Jahren Gefängnis und muss außerdem ein Schmerzensgeld an das Opfer zahlen. Glücklicherweise musste das Mädchen vor Gericht nicht mehr aussagen, es blieb ihr also die erneute Konfrontation mit dem Vergewaltiger erspart, da ihre klaren Angaben der Polizei gegenüber ausreichend und schlüssig waren.
Eine Heimat für Waisen, Kranke und Opfer von Gewalt
Beide Mädchen sind weiter in unserer Obhut, zumal eine der beiden keinerlei Verwandte mehr hat - der sie vergewaltigende Onkel war der einzige! Erica, die kleine Tochter einer Ende letzten Jahres verstorbenen Mitarbeiterin hat sich inzwischen im Zentrum eingelebt, sie ist eine gute Schülerin, nimmt ihre Aids-Medikamente ohne Probleme und bildet mit den drei Mädchen in ihrem Alter ein Kleeblatt, das noch etwas einfacher zu handhaben ist, als die Gruppe der vier größeren Mädchen, die nun alle eindeutig pubertär und entsprechend anstrengend sind.
Unsere kleinen Jungs konnten wir nicht im SOS-Kinderdorf unterbringen, deshalb haben wir nun im Cruzamento de Tete ein Jungen-Zentrum mit sechs Jungs im Alter von 9 bis 11 Jahren. Lediglich der kleine, HIV-positive Francisco ist in Chimoio geblieben. Zwei Mädchen, 11 und 14 Jahre alt, die beide weder gesundheitliche Probleme haben noch vergewaltigt wurden – sie waren als Waisenkinder zu uns gekommen - leben seit Anfang des Jahres in sogenannten „familias substitutas" in Pemba.
Der Kontakt zu diesen Familien kam über San Egidio, eine italienische Nichtregierungsorganisation, die maßgeblich am Friedensschluss in Rom mitgewirkt hatte, zustande. Sie haben hier im Frauengefängnis in Chimoio den Bau eines Hauses für inhaftierte Schwangere und Mütter mit Kleinstkindern finanziert und wir haben den Bau begleitet und die Gelder verwaltet. Die Repräsentantin von San Egidio in Mosambik hat dabei unsere Mädchen kennen gelernt und sich entschieden, eines der Mädchen zu sich zu nehmen. Ihre Freundin fasste den gleichen Entschluss und so wurde der Prozess über Jugendamt und Gericht in die Wege geleitet und erfolgreich durchgeführt. Beide haben sich gut eingewöhnt und wir sind via Telefon und Mail in Kontakt.
15 Jahre LeMuSiCa
Am 7.April begingen wir unser 15-jähriges Jubiläum. An diesem Tag sind wir im Jahre 2000 wir
erstmals auf die Straße gegangen und damit öffentlich sichtbar geworden. Sowohl für uns selbst, als auch für geladene Gäste haben wir Revue passieren lassen, was wir in dieser Zeit alles erreicht und wie wir uns entwickelt haben. Aber auch darüber nachgedacht, was wir noch nicht geschafft haben und möglicherweise in absehbarer Zeit nicht schaffen werden, nämlich Bewusstsein und Verhaltensweisen wirklich rigoros zu ändern und kulturelle Gewohnheiten, die im Zusammenhang mit Aids und sexueller Gewalt einfach schädlich bis tödlich sind, abzulehnen.
Selbst im Kreis der eigenen MitarbeiterInnen hören wir - wenn auch eher inoffiziell und hinter vorgehaltener Hand - dass der Curandeiro (= Medizinmann) noch immer als einflussreiche Quelle betrachtet und aufgesucht wird – vielfach zum Nachteil einer dringend notwendigen klinischen Begutachtung und Therapie. Aktuelles Beispiel für solches Verhalten ist einer unserer Wächter, der leider mit tödlicher Konsequenz die Augen vor der Realität verschloss, obwohl einige Kollegen versucht hatten ihn dahingehend zu sensibilisieren, sich im Krankenhaus einer Untersuchung und Diagnostik zu unterziehen.
Das einzige Gegenmittel ist und bleibt jedoch, einfach weiter zu machen und nicht den Mut zu verlieren, denn es gibt natürlich auch Fälle, bei denen die Sensibilisierung dazu geführt hat, dass sie heute eine anderes und besseres Leben führen und erkannt haben, dass es sich lohnt, Gewohnheiten in Frage zu stellen und sein Verhalten entsprechend den gegebenen Notwendigkeiten zu ändern.
Diese Problematik ist sicher einer universale, aber in Afrika, durch die starke Verwurzelung in Tradition bis hin zum Aberglauben, viel schwieriger zu durchbrechen als in anderen kulturellen
Kontexten. Wir bleiben also weiter dran und solange wir mit der finanziellen und moralischen Unterstützung unserer GeldgeberInnen und PartnerInnen rechnen können werden wir auch schrittweise Erfolge erzielen und Grundsteine dafür legen, dass künftige Generationen in Mosambik eine veränderte Einstellung zu Frauen, Genero und HIV/Aids haben werden.
Spenden auch in Deutschland möglich
Auch der Verein "Frauen für Frauen e.V." in Lüchow unterstützt seit Jahren das Projekt LeMuSiCa in Mosambik. Für alle, die für das Projekt spenden wollen, hier die Daten:
Frauen für Frauen e.V. Lüchow“ Stichwort LEMUSICA
Bankverbindung: Sparkasse Uelzen Lüchow-Dannenberg, BLZ: 25850110, Kto-Nr.: 44043842
IBAN des dt.Kontos: DE 35 2585 0110 0044 0169 70; SWIFT-BIC: NOLAD
Fotos / Judith Christner: Mit vielfältigen Aktionen schaffen die Frauen von LeMuSiCa Öffentlichkeit für den Schutz vor Gewalt. Die Fotos entstanden bei einer öffentlichen Aktion, die auf das Schicksal der 1000 Näherinnen aufmerksam machte, die bei dem Einsturz einer Fabrikhalle in Bangladesh ums Leben gekommen waren. Gleichzeitig richtete die Demo sich gegen eine Gruppenvergewaltigung, die kurz vorher passiert war. Tanzen gehört dabei immer dazu.