Einig waren sich die Diskutanten am Sonntag in Sachen EU-Agrarpolitik vor allem in zweierlei Hinsicht: Landwirte müssen Bündnisse schließen, um ihre Marktmacht zu stärken und: die EU-Agrarpolitik entfernt sich immer mehr von Gerechtigkeit und der Unterstützung bäuerlicher Landwirtschaft.
Nächstes Jahr ist Europawahl. Kurz vor "Toresschluss" will die EU-Kommission noch eine Reform der Agrarförderung auf den Weg bringen, so Rebecca Harms, Grüne EU-Abgeordnete. Am Sonntag hatte sie zu einer Podiumsdiskussion mit Landwirten aus verschiedenen Bereichen sowie dem Agrarreferenten der Grünen im EU-Parlament, Hannes Lorenzen, eingeladen. Diskutiert wurde, wie sich die gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP) so gestalten lässt, dass sowohl Ernährungssicherheit als auch Umwelt- und Klimaschutz gewährleistet sind.
"Klimafolgen sind aber nicht nur ein Problem der Landwirtschaft, sondern eine Frage an das Verhalten von Allen," betonte Harms mit Blick auf die Diskrepanz zwischen Forderungen nach artgerechter Tierhaltung und dem Wunsch nach niedrigen Preisen.
In seiner Chronologie der EU-Agrarpolitik machte Hannes Lorenzen deutlich, dass die EU bis heute die Steigerung der Produktivität unterstützt. "Mit dem letzten Reformvorschlag wollte die EU-Kommission zwar festschreiben, dass Landwirtschaft keine Schäden mehr anrichtet," so Lorenzen. "Aber der Vorschlag wurde von den Nationalstaaten derart zerhackt, dass von einer Reform keine Rede mehr sein kann."
Der letzte Versuch einer gemeinsamen Agrarpolitik?
Nach Ansicht von Lorenzen war dies der "letzte Versuch der EU-Kommission den europäischen Pfeiler der Integration aufrecht zu halten." Nach seiner Einschätzung wird für die Agrarpolitik auf EU-Ebene weniger Geld zur Verfügung stehen.
Unter anderem sollen Gelder für die Förderung der Entwicklung im ländlichen Raum sollen gekürzt werden. Förderprogramme wie LEADER oder EFRE, mit denen auch in
Lüchow-Dannenberg zahlreiche Projekt realisiert wurden, könnten
abgeschafft werden. Stattdessen sollen sie nach Lorenzens Einschätzung in den großen Topf der Agrarförderung integriert werden. Die 2-Säulen-Politik - Direktzahlungen und regionale Entwicklung - wird damit aufgegeben.
Die Nationalstaaten sollen strategische Pläne entwickeln, die die Förderung der Landwirtschaft ebenso im Blick haben wie regionale Entwicklung. Bürokratie und Kontrolle wird reduziert und es gilt das Prinzip "erst machen lassen und dann gegebenenfalls zurückfordern".
"Die EU verabschiedet sich von einer gemeinsamen Agrarpolitik," so Lorenzens Ansicht. "Das ist eine dramatische Entwicklung." Die EU-Kommission habe aufgegeben und folge dem Rückzug der Nationalstaaten aus Europa.
Lorenzen hatte aber auch Positives zur EU-Agrarreform anzumerken: "Dass die Förderung an Kooperationen gekoppelt wird, ist nur zu begrüßen. Neue Verbindungen zwischen Bauern und Verbrauchern sollen entstehen."
Den bald startenden Wahlkampf für die Europawahlen sieht der grüne Agrarreferent als "große Chance für Politiker und Verbraucher eine kritische Diskussion in Gang zu bringen, wie die EU-Agrarpolitik sozial, ökologisch und ökonomisch entwickelt werden kann."
Von mangelhaften Förderprogrammen, Missachtung und der Verantwortung der Verbraucher
Heinrich Pothmer, Bioland-Landwirt, bedauert, dass die 2-Säulen-Politik gekoppelt mit EU-weit gesetzten Standards beendet werden soll. "Das war ein richtiger Motor für die Bio-Landwirtschaft," so Pothmer. Andererseits könne aber auch durch eine ökologische Produktion ein Beitrag zur ländlichen Entwicklung geleistet werden. "Die Bio-Landwirtschaft hat einen höheren Mitarbeiter-Bedarf als die konventionelle Landwirtschaft," ist Pothmer überzeugt.
Henning Harms, Vorstandsmitglied des Bauernverbands Nordost-Niedersachsen, hatte gleich ein ganzes Bündel an Forderungen bzw. Wünschen parat, wie Landwirtschaft sich verändern sollte. Dazu gehören der Anbau standortangepasster Früchte ebenso wie die Einhaltung einer breiten (mind. vierjährigen) Fruchtfolge. Aber auch die Entwicklung neuer Produkte wie Quinoa oder Hirse gehört nach Harms Ansicht zu den Hausaufgaben der Landwirte.
"Dazu braucht es Förderprogramme, die z.B. eine Wertschöpfung von Grünland möglich machen," so Harms. "Auch Förderprogramme für ressourcenschonende Verfahren (Wasser- und Energieeinsatz) fehlen. Und nicht zuletzt sind die Verbraucher gefragt. Bei halbiertem Fleischkonsum, könnte die Viehhaltung reduziert werden, die Preise müssten sich allerdings verdoppeln, um artgerechte Haltung finanzieren zu können."
Je verlässlicher die Verbraucher höhere Preise akzeptieren, desto mehr Landwirte werden bereit und in der Lage sein, nachhaltige Produkte zu liefern. Dafür habe Jede/r Einzelne die Verantwortung.
Martin Schulz/Neuland/Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirte (AbL): Seit langem bemerkt er, dass die Verbraucher sich zunehmend für Neuland-Fleisch aus artgerechter Haltung interessieren. "Dieser Trend kommt auch so langsam in der Politik an," bemerkte Schulz. "Aber bisher hat es keine großen Würfe in der Agrarpolitik gegeben."
Als Neuland-Fleischvermarkter versucht er, autarke Wege zu gehen. Doch die Anfrage von Discountern wie Aldi und LIDL, Neuland-Fleisch in ihren Filialen anzubieten, löste eine "Riesendiskussion" aus. "Ist das eine Chance oder ein Risiko?" fragt sich Schulz. " Wir brauchen langfristige Verträge, müssen aber auch sicher sein, dass wir nicht in die Dumping-Falle geraten."
Was die EU-Agrarpolitik angeht, so kritisiert Schulz vor allem, dass immer noch 80 % der Agrarsubventionen an 20 % der landwirtschaftlichen Betriebe gezahlt werden. Außerdem sei in den neuen Bundesländern zu beobachten, dass rund 30 % der Flächen nicht mehr in Bauernhand sind, sondern branchenfremden Investoren als Kapitalanlage genutzt werden. Für die Landwirte hat das zur Folge, dass die Flächenpreise sich verdreifacht hätten.
Für Hannes Lorenzen ist der Einstieg der Discounter in die Vermarktung von ökologischen Produkten mit Verbandslabeln wie Bioland oder Neuland eine "brandgefährliche Angelegenheit". Er glaubt nicht, dass die Bio-Bauern sich der Marktmacht der Discounter widersetzen und auf Dauer vernünftige Preise durchsetzen können.
Marco Otte, Berufsimker: "Die Biene hat eine enorme Bedeutung für Artenvielfalt und Landschaftsentwicklung. Imkerei wird aber nicht als Teil der Landwirtschaft wahrgenommen - obwohl die Betriebe als Landwirte geführt werden." Deswegen fordert Otte, dass die Biene als Nutztier stärker eingebunden wird. "Ein großes Problem für den Erhalt der Biene sind genetisch veränderte Pflanzen," so Otte. "Honig, in dem auch nur ein Fünkchen genetisch verändertes Material nachgewiesen wird, darf nicht mehr auf den Markt gebracht werden." In der Konsequenz könnte das bedeuten, dass Imker die Bienenhaltung aufgeben müssen, wenn der Honig nicht mehr abgesetzt werden kann.
Oliver Schumacher / NABU: Schumacher wies noch einmal darauf hin, dass rund 80 % der Biomasse von Insekten verschwunden sind. Die Verantwortung dafür sieht der NABU vor allem in einer intensiven Landwirtschaft, die (auch) dank einer Förderpolitik, die sich nur an Flächennutzung orientiert und nicht an ökologischer Produktion, nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden nicht anwendet.Insgesamt hat der NABU Kritik an einer reinen Flächenprämie ohne ökologische Vorgaben. Nach den Vorstellungen des NABU über eine naturverträgliche EU-Agrarpolitik sollten Gelder aus den Förderprogrammen nur noch für
öffentliche Leistungen der Landwirtschaft verwendet werden. Dazu gehören z.B. Sicherung und Förderung von Boden, Wasser, Klima, Artenvielfalt und
Landschaft. Außerdem fordert der NABU verbindliche Mindeststandards, die eine flächendeckende nachhaltige Landwirtschaft absichern.
Resümee
Kontroversen waren an diesem Sonntag im voll besetzten Saal des Ratskellers in Lüchow nicht zu hören. Selbst der Vertreter des konventionell orientierten Bauernverbandes gestand ein, dass Landwirtschaft sich verändern muss.
Und auch bei der Einschätzung der EU-Agrarpolitik gab es kaum Unterschiede. Als ungerecht, falsch eingesetzt bzw. mangelhaft konzipiert wurden sie von allen Podiumsteilnehmern eingeschätzt - wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Einig waren sich alle Podiumsteilnehmer darüber, dass es starke Bündnisse braucht, um die sozialen und ökologischen Interessen der Landwirte durchsetzen zu können. In der Zusammensetzung von Podium und Publikum an diesem Sonntag war es auch keine Frage, dass Natur- und Verbraucherschutz, Tierwohl und Landwirtschaft wieder in Einklang gebracht werden müssen. Das konnten Rebecca Harms und Hannes Lorenzen als Auftrag für die anstehenden GAP-Verhandlungen mit nach Brüssel nehmen.