Thema: finanzkrise

Das Kartenhaus als feste Burg

Stefan Buchenau zur Finanzkrise: Sind wir nicht alle ein bißchen Ackermann?


Das US-amerikanisch dominierte Finanzsystem ist zusammengebrochen, die Wall Street taumelt von einer Krise in die nächste, international sorgen diverse Kredit-Mogelpackungen für Insolvenzen, Verluste, Pleiten. Und mitten im größten Schlamassel machen sich hochbezahlte Manager der deutschen „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ zum Gespött, indem sie noch schnell 350 Millionen Euro ins bodenlose Lehman-Brothers-Faß schütten.

Nun gelten Manager ohnehin wahlweise als gierig, oder „Nieten in Nadelstreifen“. Andererseits wissen diese Leute – sieht man auf ihren Kontostand –, offenbar doch, was sie tun.

Was aber ist mit unseren Politikern, die von rechts bis links im Verwaltungsrat der KfW sitzen? Kleine Auswahl gefällig? Wirtschaftsminister Glos, Finanzminister Stein-brück, „Ver.di“-Chef Bsirske, die Finanzminister von Rheinland Pfalz, Bayern, Saarland, Niedersachsen und NRW, DGB-Chef Sommer, die grüne „Finanzexpertin“ Scheel, natürlich Gerd Sonnleitner, Präsident des Bauernverbandes und, last but not least, der unerbittliche Kapitalismuskritiker Oskar Lafontaine. Eine imposante Ansammlung von, auch kritischem, Sachverstand – sollte man meinen. Nur: Was tun diese Herrschaften eigentlich? In ihrem Hauptberuf, Politiker, wären sie, zum Beispiel, dafür zuständig, durchschaubare und gerechte Regeln für Finanzgeschäfte aufzustellen; den Erfolg ihrer Bemühungen kann man derzeit allmorgendlich in den Zeitungen nachlesen.

Wem das nicht reicht, der klickt sich im Internet auf die Seite der „Hypo Real Estate“, dem (derzeit) größten deutschen Pleiteladen, und findet dort ein hübsches Motto. Unter „Unternehmenswerte“ liest man: „Integrität und Ehrlichkeit sind ein grundlegender Bestandteil des Geschäfts der Hypo Real Estate Group.“ Dahinter steht ein hochinteressantes Geschäftsmodell: Ohne eigene Einlagen, sprich: ohne Eigenkapital (bis auf das der Aktionäre), verleiht die „Hypo Real Estate“ an Staat, Wirtschaft und Häuslebauer langfristig Geld, welches sie sich kurzfristig von anderen Banken ausborgt. So ein Finan-zierungsmodell ist mit „Kettenbrief“ oder „Pyramidenspiel“ noch sehr freundlich umschrieben. Ein Kartenhaus ist im Vergleich dazu ein Fels in der Brandung. Im Aufsichtsrat dieser Zockertruppe sitzt ein Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Tietmeyer. Der war mal Chef der Deutschen Bundesbank und hielt es offenbar für völlig normal, daß ohne Netz mit zig Milliarden jongliert wurde, von denen kein einziger Cent den Jongleuren gehörte. Die Sache platzte, weil sich Banken nun gegenseitig nichts mehr leihen – sie kennen die Tricks und Luftbuchungen der Kollegen zu gut.

Solch windige Geschäfte sind nicht etwa illegal; sie liegen voll auf der Linie der Regierungen von Kohl über Schröder bis Merkel. Unvergessen bleibt Finanzminister Eichel mit seiner Unternehmenssteuerreform, die nicht nur dazu führte, daß große Firmen kaum noch Steuern zahlen mußten, sondern im Gegenteil Anspruch auf große Rückerstattungen hatten. Darauf angesprochen erklärte der Mann, er habe doch nicht ahnen können, daß die Firmen das geschenkte Geld tatsächlich auf einmal haben wollten! Offenbar können wir nicht erwarten, daß unsere Politiker die selbst erfundenen Regeln kennen und verstehen. Anders ist nicht erklärbar, daß Jürgen Koppelin (FDP) zerknirscht vor die „Tagesschau“-Kamera tritt und nuschelt, daß er seine Tätigkeit im Verwaltungsrat der KfW niederlegen werde, da er sich, mangels Information, außerstande sieht, Sinnvolles zu leisten. Darf man daraus schließen, daß er vor den vielen teuren Pleiten nicht nur der KfW geglaubt hat, sondern auch, er wäre der richtige Mann am richtigen Platz? Solche Fragen werden jedoch nicht gestellt, sondern lieber auf die Schnelle teure Konzepte zur Krisenbewältigung zusammengebastelt. Und dann?

Dann verkünden unsere Wirtschaftseliten, daß sie jetzt aber wirklich alles im Griff haben, daß alles besser und transparenter wird und daß sich alle wieder ihrem Tagesgeschäft zuwenden sollten. „Tagesgeschäft“– was ist das? Was macht eine Bank, außer auf Giro- und Sparkonten sowie in diversen Depots Geld der Kunden einzusammeln, manches davon zu hohen Zinsen zu verleihen – und für Einlagen geringe Zinsen zu zahlen? Zum Beispiel dies: Biedere Landesbänker verspekulieren sich in US-Hypotheken und gründen eine „Zweckgesellschaft“ im fernen Irland, um außerhalb der Bilanzen einige Milliarden zu versenken. Und die „Mittelstandsbank“ IKB (eine Tochter der KfW) braucht ganz plötzlich acht Milliarden, bekommt sie auch und wird dann für 0,1 Milliarden an einen „Finanz-investor“ (zu deutsch: eine Heuschrecke) verramscht. Alles natürlich unter den äußerst wachsamen Augen der jeweiligen Aufsichtsräte, in denen sich, neben der Crème de la Crème der Wirtschaft, mancher Kommunal- und Landespolitiker ein bescheidenes Zubrot verdient. Nur: warum lassen sich diese Herrschaften auf Geschäfte ein, die sie nicht einmal im Ansatz überblicken?

Weil „der Markt“ es verlangt, weil eine große Nachfrage nach immer mehr Rendite besteht. Und wer fragt nach? Die Ackermänner dieser Welt, von denen wir ohnehin glauben, daß sie den Hals nicht voll kriegen? Die auch, aber nicht nur. Da fragen auch solche nach, die Geiz geil finden, die ihre Kamera, ihre Kleidung, ihr Auto gerne ein paar Kröten billiger bekommen als der Nachbar; Menschen, die nicht sparen, weil sie müssen, sondern weil sie wollen, Leute, die nicht aus Not hungern, sondern freiwillig, zum Beispiel für ihr Wunschgewicht – eben Menschen wie du und ich. Obwohl: ein bißchen mehr wie du als wie ich.

Wann waren Sie, geschätzter Leser, das letzte Mal bei Ihrer Bank und haben sich erkundigt, ob sich für Ihr Geld nicht eine bessere Anlage mit mehr Rendite finden läßt? Und was glauben Sie, woher die Differenz zwischen den maximal 6 Prozent für Festgeldbeträge und den, sagen wir 8 bis 15 Prozent bei irgendwelchen Fonds kommt? Sprich: Wer zahlt Ihre Rendite?

Doch wen interessiert das, solange die Profite sprudeln? Niemand! Klar ist: Ein Produkt, das nicht nachgefragt wird, bleibt weder in der Bank, noch an der Käsetheke lange im Sortiment. Und wenn, wie im Fall der Banken, Anlagekonzepte einerseits satte Renditen, andererseits den Verkäufern hohe Provisionen einbringen, dann darf sich niemand wundern, wenn den Verkäufern immer mehr, immer riskantere Modelle einfallen, bei denen noch ein paar Prozente mehr herausspringen. Bis heute sind das rund 250 000 „Produkte“, meist ohne irgendeinen Bezug zu tatsächlichen Werten. Weil sich in der schönen neuen Welt des unbesiegbaren Kapitalismus’, unter anfeuerndem Gemurmel der Politik, durch alle Wirtschaftszweige die Devise „Wachsen oder weichen“ zieht, muß alles immer größer, schöner, bunter und renditestärker werden – was durch wilde Spekulationen auf den Finanzmärkten offenbar deutlich einfacher zu schaffen ist als in der wirklichen Welt.

Dabei ist der letzte Börsencrash gerade mal acht Jahre her. Da gingen die goldenen Zeiten, in denen sich jede Garage, in der drei Computer standen und ein paar blasse Jünglinge zwischen Pizzakartons „irgendwas mit Internet“ machten, zur millionenschweren Aktiengesellschaft mauserte, mit einem lauten „Plopp“ zuende – die IT-Blase platzte. Die klügeren der Garagenjünglinge hatten dabei ihre Klitsche bereits auf dem Höhepunkt des Hypes teuer verkauft; an geierige Anleger, die Traumrenditen wollten – und bis heute ihre Wunden lecken.

Wie an diesem und anderen Börsencrashs ersichtlich, führen Aktien, einst nichts als Anteilsscheine, längst ein virtuelles Dasein ohne ernsthaften Bezug zum wirklichen Wirtschaftsleben. Auch wird das meiste Geld nicht mit Kauf und Verkauf realer Papiere mit realen Gegenwerten gemacht, sondern mit Deals wie den „Leerverkäufen“. Das heißt, daß ein findiger Bursche Aktien verkauft, die er nur geliehen hat. Wenn die Aktie im vorbestimmten Leihzeitraum an Wert verliert, kauft er sie für einen Bruchteil der Kaufsumme zurück und steckt die Differenz zum einstigen Wert ein. Will die Aktie aber nicht fallen...? Dann reicht oft (Das Kapital ist ein scheues Reh!) schon ein gezielt gestreutes Gerücht, damit sie doch abschmiert. Der Profit ist im Sack und die Firma, deren Aktien plötzlich nur noch die Hälfte wert sind, vielleicht im Eimer – sagt zumindest eine der bekannt zuverlässigen „Rating Agenturen“, die „Lehman Brothers“ noch eine Woche vor der Pleite für gesund erklärt haben. Dann fallen die Aktien weiter und irgendein Hedge Fond macht ein prima Geschäft: Sie kaufen die Aktien billig auf und eine an sich gesunde Firma wird ausgeplündert und filetiert. Zahlen tun letztlich die Angestellten den Preis für derlei Geschäfte, indem sie sich beim Arbeitsamt anstellen dürfen. Und natürlich alle, die immer noch blöd genug sind, Steuern zu zahlen. Das ist, im Gegensatz zum Gerede von „Wirtschaftsexperten“, kein „freier Markt“, sondern deutlich unseriöser als etwa Poker.

Inzwischen setzt sich sogar bei unseren Polit-Eliten, wenn auch wohl unbewußt, eine Art Einsicht durch, ein Sprachgebrauch, der auf den völlig losgelösten Charakter solcher Transaktionen hinweist. Finanzminister Steinbrück und Kanzlerin Merkel raunen neuerdings, daß „der Einfluß der Finanzkrise auf die Realwirtschaft“ noch nicht abzuschätzen sei. „Realwirtschaft“, das meint den aus der Mode gekommenen Teil der Ökonomie, in dem noch etwas produziert, Löhne gezahlt und Preise gemacht werden, die etwas mit dem Wert der Produkte zu tun haben. Aber auch da verschwimmen längst die Grenzen: Sowohl bei VW als auch bei Porsche wird der größere Teil des Konzerngewinns längst nicht mehr mit Autos, sondern mit „Finanzdienstleistungen“ gemacht – was immer das sein mag. Inzwischen ist das mit dem „Abschätzen“ leichter geworden: Autobauer drosseln die Produktion, in Bremen geht eine Werft in Insolvenz, weil ein Kunde nicht mehr zahlen kann, fondsgestütze Rentenversicherungen sind kaum noch das Vertragspapier wert und ein ganzer Staat, Island, sendet Hilferufe gen Moskau.

Und die Regierungen rund um den Globus reagieren panisch, um Panik zu vermeiden. Und wissen Sie überhaupt, was sie tun? Etwa, wenn die deutsche Kanzlerin, Arm in Arm mit Finanzminister Steinbrück, mal eben so öffentlich erklärt, die Bundesregierung garantiere und hafte für Spareinlagen der Bürger? Die Spareinlagen der Bürger – das sind im Notfall 1,5 Billionen Euro (1 500 000 000 000!), also gut drei Jahresetats der BRD. Das kann nur heißen: Wenn ich nicht mehr zahlen kann, werf ich die Notenpresse an!

Banker, Manager und Börsenhändler agieren hemmungslos und profitorientiert. Das ist ihr Job, dafür wurden sie schon immer sehr gut bezahlt. Aber plötzlich beklagt die gesamte politische Elite, nicht nur dieses Landes, daß eben diese Manager ihre windigen Geschäfte nach genau den Regeln machen, die sich die Politiker ausgedacht haben. Und es sollte wenigstens erwähnt werden, daß all die Börsenblasen und Ramschhypotheken, diese Kettenbriefökonomie nach Vodoo Regeln offenbar von sehr vielen Menschen für völlig normal gehalten wurden – solange es kräftig in ihren Kassen klingelte.

Und, wie bestellt, konnte man dieser Tage in der Zeitung lesen, daß die Sparkassen wie jedes Jahr wieder zum beliebten „Börsenspiel“ für Schüler laden. Wer dabei am geschicktesten zockt, kriegt einen Preis. Die Ausbildung geht also weiter. Früh krümmt sich, was eine Heuschrecke werden will.

 

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2008-10-28 ; von Stefan Buchenau (autor),

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