Bestimmte Leute erzählen immer wieder gern die Geschichte, dem Klima ließe sich was Gutes tun mit Atomkraftwerken. Gerade so, als hätten alle, die das hören, ein Sieb zwischen den Ohren.
Die Wirtschaftsminister der Länder, zum Beispiel: in Regensburg treffen sie sich zu einer Bundeskonferenz mit dem Thema „Klimaschutz und Bankenkrise“. Und was tun sie? Sie stimmen darüber ab, wer von ihnen am liebsten den „Atomausstieg“ rückgängig machen würde. Die Mehrheit ist dafür. Wer hätte das gedacht angesichts der bekannten CDU/CSU/FDP-Dominanz in dieser Runde? Es fällt zwar nicht in ihre Zuständigkeit, aber sie fassen einen entsprechenden Beschluß.
Rein zufällig tagen zeitgleich VertreterInnen der 25 Kommunen mit Steuereinnahmen aus Atomanlagen, unter ihnen die Samtgemeinde Gartow, und die beschließen das Gleiche. Setzen sie damit vielleicht um, was Ende Mai der Hauptredner beim Deutschen Atomforum in Hamburg, Walter Hohlefelder, gefordert hat? Vor seiner versammelten Atomikergemeinde hatte der Chef-Lobbyist auf die „dramatischen Herausforderungen der Umwelt- und Energieprobleme“ hingewiesen und daraus abgeleitet, es sei jetzt eine „politische Neubewertung der Kernenergie“ vonnöten.
Ein „Zurückrudern beim Kernenergieausstieg als Klimavorsorge“ sei kein Zeichen von Schwäche, sondern von Vernunft.
Kann, wer sich von Vernunft leiten läßt, überhaupt einen Zusammenhang herstellen zwischen Klimawandel und Zukunft der Atomtechnologie? Ist nicht das Gegenteil von Mega-Strukturen in der Energieversorgung das Gebot der Stunde?
Das vermeintlich entscheidende Argument, das Atom-Lobbyisten gerne benutzen, Atomstrom mache kein CO2, ist schlicht falsch: Er macht sehr wohl! Vielleicht kommt das Kohlendioxid nicht aus dem Schornstein eines AKW. Der schleudert „nur“ klimaschädigendes Krypton und Argon in die Luft. Diese Edelgase leisten wirkungsmäßig den größten Beitrag zur Zerstörung der Ozonschicht.
Davon abgesehen ist Atomstrom durchaus auch ein CO2-Sünder. In einer sorgfältig angelegten Studie des Öko-Instituts Darmstadt werden die verschiedenen Arten der Stromerzeugung miteinander verglichen; zu jeder Kilowattstunde wird festgestellt, wieviel Gramm Kohlendioxid insgesamt freigesetzt wurden, um sie zu erzeugen. Auch Windräder drehen sich nur, wenn sie vorher hergestellt werden.
In diesem Vergleich schneidet Atomstrom ähnlich ab wie Strom aus Gas-Blockheizkraftwerken. Das verwundert den nicht, der den riesigen Aufwand betrachtet, der betrieben wird, bis das Brennelement mit Uran im Reaktor landet. Davor wiederum steht die Gewinnung riesiger Mengen von Erz aus der Erde; die Separation der verschwindend geringen Spuren des begehrten Metalls aus diesem Erz; die mehrfache chemische Umwandlung, damit der stark giftige und strahlende Stoff überhaupt handhabbar wird.
Schon für die Errichtung der entsprechenden Anlagen war ein hoher Energieeinsatz notwendig; die verschiedenen Prozesse, die der „Brennstoff“ durchläuft, bis er zum Einsatz kommt, sind hoch energieaufwendig. Dazu kommen die Transporte von Station zu Station. Vor seinem Aufenthalt im Atommeiler ist das Uran anderthalb mal um den Erdball gereist. Zugegeben: Kohle und Braunkohle sind noch deutlich schlimmer. Aber auch eine Kilowattstunde Atomstrom hat rund 65 Gramm CO2 auf dem Buckel, Strom aus einem Blockheizkraftwerk mit Erdgas dagegen nur 42 Gramm.
Mit anderen Worten: bereits die Behauptung, Atomkraftwerke würden zum Treibhauseffekt nichts beisteuern, ist falsch. Noch unrichtiger wird es, wenn für die Idee geworben wird, mit neuen, weiteren AKW ließe sich dem Klima etwas Gutes tun.
Unter den Dreckschleudern, die zu einer dauerhaften Veränderung des Klimas beitragen, ragen zwei große Gruppen heraus: das eine sind fossil befeuerte Großkraftwerke, das andere die Gesamtheit der Fahrzeuge des individuellen und öffentlichen Verkehrs. Daran, was aus den Auspufftöpfen herauskommt – und das ist mehr als ein Drittel der gesamten Schadstoffe! – kann kein AKW etwas ändern. Und sollte die Stromerzeugung aus fossil befeuerten Großanlagen durch solche aus Atomanlagen ersetzt werden – das ist ein weiteres Drittel –, müßten von heute auf morgen allein in Deutschland etwa 70 Reaktoren errichtet werden.
Selbst wenn jemand die damit verbundenen Risiken eingehen wollte, bereit wäre, die immensen Kosten zu finanzieren, und technisch in der Lage wäre, es auch umzusetzen: in wenigen Jahren wären die Vorräte an Uran erschöpft.
Für die dauerhafte Bereitstellung von benötigter Energie sind AKW einfach keine Option. Es geht gar nicht, es würde nicht klappen. Aber selbst wenn es sich rechnen ließe, blieben immer noch viele bei der Haltung: „Das geht gar nicht!“, und, wie ich finde, mit guten Gründen!
Die Asse, zum Beispiel, würde ja nicht aufhören abzusaufen, selbst wenn das plötzlich viele für eine gute Idee hielten; der Salzstock Gorleben hätte nicht mit einem Mal ein intaktes Deckgebirge. Von Leukämie betroffene Kleinkinder und ihre Angehörigen dürfte der Hinweis auf die globale Erderwärmung vermutlich kaum trösten; die sozialen Auswirkungen des Uranabbaus wären ebenso wenig verschwunden wie das elende Krepieren in den Minen durch Gift und Strahlen.
Und der Wink mit dem Zaunpfahl am Ende der oben erwähnten Atomforums-Rede, Deutschland sei als heimliche Atommacht durchaus in der Lage, seinen Platz unter den Superreichen dieser Erde militärisch zu sichern, zählt in meinen Augen zu den Argumenten für ein klares Nein.
Es wird in diesem Jahr (mindestens) zwei gute Gelegenheiten geben, das persönliche Nein gegen den Betrieb von Atomanlagen zum Ausdruck zu bringen.
Neben dem Castortransport in den Tagen nach dem ersten Novemberwochenende ist der andere Termin bisher noch nicht so verbreitet: vom 15. bis 24. August findet in Hamburg das Klima-Camp statt. Während dieser Protesttage werden die unterschiedlichsten Aspekte des globalen Klimawandels zum Thema gemacht werden: die räuberische Ausplünderung von Bodenschätzen; der beständig anschwellende Fluß des weltumspannenden Warentransports; der gewaltsame Umbruch von bäuerlicher Landwirtschaft zu menschenfeindlicher Agro-Industrie; die verzweifelten Fluchtbewegungen von Klima-MigrantInnen; die brutale Abschottung der Wohlstandsfestungen; die beschleunigte Verwandlung von Lebensgrundlagen in Müll und Gift – all das sind Themen, die Engagement erfordern.
Daß die Sorge um den Klimawandel kein neues Einfallstor für Atomstrategen öffnen darf, das allerdings ist ein Punkt, der in der bisherigen Vorbereitung noch ein bißchen schwach vertreten ist. Hier bietet sich reichlich Gelegenheit, zum Beispiel für Menschen aus dem Wendland, Qualitäten wie Sachkompetenz, Witz, Respektlosigkeit, Demonstrationskultur und Aktionserfahrung in zehn bewegte Tage einzubringen. Erwartet werden immerhin über 4 000 Menschen. Klima-Camp in Hamburg, 15. bis 24. August; www.klimacamp.org; www.klimacamp-08.net
Foto: Denkmal für "Diejenigen, die die Welt retteten" in Chernobyl.