Thema: kreisfusion

Zukunftsvertrag: Müssen wir an die Möhre ran?

Im Juni soll der Kreistag entscheiden, ob er in den Zukunftsvertrag des Landkreises einsteigen will. Dagegen verkündete Landrat Jürgen Schulz kürzlich, er schlage vor, in Fusionsverhandlungen mit Nachbarkreisen einzusteigen, da er keine Möglichkeit mehr für eine Landkreis-weite Entschuldung sieht. Am Mittwoch trafen sich rund 70 BürgerInnen, um zu überlegen, ob und wie der Landkreis zu retten sei.


Bunt gemischt waren die rund 70 Interessierten, die sich am Mittwoch Abend im Jamelner "Grappenkopp", drängelten, um gemeinsam darüber zu diskutieren, ob der Landkreis noch zu retten sei.

Eingeladen hatten Thorsten Hensel (Wendlandmarkt), Helmut Koch (zero) und Bärbel Wilgermein (WeibsBildung), die auch den Abend moderierten.

Helmut Koch brachte zu Beginn der Veranstaltung das Anliegen Vieler auf den Punkt: "Ich habe mir diesen Landkreis vor 35 Jahren ausgesucht und möchte mir diese Heimat erhalten." Die Sorge um den Erhalt der Verwaltungseinheit Lüchow-Dannenberg blieb bis zum Ende des Abends aber die einzige Einigkeit, die eindeutig zu erkennen war - und die Erkenntnis, dass die Politik die Probleme offenbar nicht lösen wird. "Die Politik hat keinen Plan, wir auch (noch) nicht", so Koch. Aber als Bürger wolle er es nicht einfach hinnehmen, dass über ihn hinweg entschieden wird.

Mit der Auftaktveranstaltung am Mittwoch wollen Koch, Wilgermein und Hensel eine Bürgerbewegung initiieren, die Ideen entwickelt, wie der Landkreis als Einheit zu retten sei.

Ist ein "Geschäftsplan Wendland" in Sicht?

Wenig Konkretes war in der rund zweistündigen Veranstaltung zu hören, dafür viele Statements, die sich ebenso wie Helmut Koch für den Erhalt des Landkreises aussprachen. Vielen gilt der angebotene Zukunftsvertrag des Landes als Mogelpackung, da er auf 15 Jahre hinaus Schuldenfreiheit des Landkreises fordert und - wie auf der Veranstaltung zu hören war - den Verzicht auf freiwillige Leistungen.

Ebenso häufig wurde Kritik an Land und Bund geübt, die ihrer Verantwortung für eine ausreichende Finanzausstattung von ländlichen Regionen nicht nachkommen. "99 % der Aufgaben des Landkreises sind Pflichtaufgaben," so Kurt Herzog, derzeit Kreistags- und Landtagsabgeordneter (GLW(SOLI)/LINKE). "Da ist das Land aufgefordert, für die nötige Finanzausstattung zu sorgen. Der Zukunftsvertrag sei auch aus seiner Sicht eine Mogelpackung, deswegen wird Herzog demnächst im Rat von Elbtalaue gegen den Zukunftsvertrag stimmen - auch deswegen weil der Vertrag zuviele Kosten auf die Samtgemeinden abwälze.

Anderen fehlte die Klarheit im derzeitigen Prozess. "Weder die Position des Landes noch die Auswirkungen von Zukunftsvertrag oder Fusionierung sind in der Öffentlichkeit bekannt," so Albrecht von Sydow (Vorstand Wendepunktzukunft). "Es fehlt ein 'Geschäftsplan Wendland', der eine zukunftsfähige Entwicklung der Region vorbereitet und umsetzt." Mit einer kreativen Idee versucht übrigens der WPZ gerade, Unternehmen in den Landkreis zu locken: Betriebe sollen dem Landkreis durch Um- und Ansiedlung von Unternehmen in die Region DAN-ke sagen, Danke für den langjährigen Widerstand gegen die Atomanlagen und vielfältige kreative Projekte, die letztendlich zur Energiewende beigetragen haben. Auf DAN-ke.org gibt es nicht nur ein Diskussionsforum, sondern auch eine Unterschriftenliste zum Kreiserhalt.

Die Aussicht auf einen effektiven "Geschäftsplan Wendland" wurden durch Informationen aus den Samtgemeinden eher gedämpft als gestärkt: die Samtgemeinden Lüchow und Elbtalaue werden eigene Entschuldungsanträge beim Land stellen, wodurch ein kreisweiter Antrag auf Entschuldung praktisch nicht mehr möglich ist. (Anmerkung: Landrat Jürgen Schulz bestätigte auf Nachfrage von wnet am Donnerstag, dass das Land eine Eigenentschuldung des Landkreises (also ohne Einbeziehung der Samtgemeinden) wahrscheinlich nicht akzeptieren wird, da es eine Verwaltungseinheit von derzeit rund 48 000 Einwohnern mit stark sinkender Tendenz als nicht zukunftsfähig ansieht. Allerdings wird das Land dem Entschuldungsantrag von Elbtalaue nach Auskunft von Schulz womöglich auch nicht genehmigen, da die Finanzlage dort sehr kritisch ist.) Eine gemeinsame Strategie ist nicht in Sicht.

Es ist fünf nach Zwölf - sonst droht die Zwangsfusionierung

Gerhard Winterhoff war als in der Kreisverwaltung Zuständiger für Kommunalaufsicht zu der Veranstaltung eingeladen worden, um Informationen über den derzeitigen Stand der Dinge zu geben. Er hatte nüchterne Fakten zu bieten: "In 15 Jahren wird der Landkreis nach den aktuellen Prognosen unter 40 000 Einwohner haben," so Winterhoff. "Das ist ein Wert, bei dem nach allgemeiner Einschätzung ein Landkreis nicht mehr zu halten ist." Nach dem Leitbild der Landesregierung von 1972, das bis heute gelte, sollen Landkreise rund 100 - 150 000 Einwohner haben, informierte Winterhoff weiter.

Wenig Faktisches hatte der Vertreter der Kreisverwaltung zu den konkreten Folgen einer Landkreisfusion mitzuteilen. Bürgerbezogene Ämter wie das Sozialamt oder die Zulassungsstelle würden wohl im Landkreis bleiben, so Winterhoff, "Querschnittsleitstellen" allerdings, wie der Landratsposten, die Personalverwaltung oder die Buchhaltung würden aber an die dann zentrale Verwaltung in Lüneburg oder Uelzen abgegeben werden.

"Eigentlich ist es schon viel zu spät, noch etwas zu unternehmen", zeigte sich Winterhoff gegenüber den Bürgerbestrebungen skeptisch. "Es ist nicht fünf vor Zwölf, sondern fünf nach Zwölf. Bis zum März 2013 müssen alle Konzepte unter Dach und Fach sein und beim Land eingereicht. Zudem beginnt nach der Sommerpause der Wahlkampf für die Landtagswahl, was Verhandlungen mit dem Land zusätzlich erschweren wird."

Eine Einschätzung, die auch Udo Sperling (UWG) teilte, einer von den rund einem halben Dutzend Kreistagsabgeordneten, die zur Veranstaltung gekommen waren. "Innerhalb der nächsten zwei Monate müssen wir feste Konzepte haben und keine Absichtserklärungen", so Sperling. Er weiß, dass es "bannig schwer ist, an das Geld anderer Leute zu kommen, weswegen er auch für Verhandlungen stimmen wird, allerdings mit genauen Zielvorgaben. "Schließlich haben wir auch Werte geschaffen, die wir in das neue Konstrukt mit einbringen," so Sperling.

Auch CDU-Kreistagsabgeordneter Christian Carmienke plädierte dafür, mit den Fusionsverhandlungen zu beginnen, um nicht Gefahr zu laufen, nach der nächsten Landtagswahl zwangsfusioniert zu werden. "Jetzt besteht noch die Möglichkeit, über die Aufgabenverteilung zwischen Land und Landkreis zu verhandeln," ist Carmienke überzeugt.

Eine Haltung, die Kurt Herzog gar nicht teilt. "Wir müssen nicht alles schlucken, was uns vom Land hingeworfen wird. Wir müssen auch nicht jeder Möhre nachjagen, die uns hingehalten wird," so Herzog. Zu viele Einschränkungen und Verpflichtungen seien mit dem Zukunftsvertrag verbunden, die dann für 15 Jahre Gültigkeit hätten. Herzog will auch den Erhalt des Landkreises mit attraktiver Lebensqualität - mit niedrigen Grundsteuern, ausreichenden und guten Schulstandorten und, und ... Wie das zu erreichen sei, sagte Herzog allerdings nicht.

Statt dessen ist er bereit, den Klageweg zu gehen, um das Land zu zwingen, seiner Verantwortung für eine ausreichende Ausstattung ländlicher Regionen nachzukommen.

Viele Fragen bleiben offen

Am Ende des zweistündigen Abends waren viele Argumente ausgetauscht, aber wenig Fragen beantwortet worden. Unklar bleibt, welche Folgen eine Fusionierung des Landkreises für die Bürger tatsächlich haben wird. Unklar bleibt, ob und wie Samtgemeinden, Gemeinden und Landkreis jemals zu einer gemeinsamen Strategie kommen werden. Und vor allem bleibt unklar, woher die fehlenden Millionen kommen sollen, die für eine dauerhafte Entschuldung des Landkreises nötig sind.

Hinter allem steht die Frage, was die Bürger bereit sind, für den Erhalt des Landkreises zu investieren. An Geld, an Zeit und nicht zuletzt an Kreativität. Die Initiatoren der Veranstaltung wollen in einer Folgeveranstaltung an den Themen weiterarbeiten - alle Interessierten sind dazu herzlich eingeladen.

Foto: Angelika Blank ... sie wollen BürgerInnen motivieren, sich für den Kreiserhalt einzusetzen (von links): Helmut Koch, Thorsten Hensel, Bärbel Wilgermein




2012-05-03 ; von Angelika Blank (autor),
in Jameln, Deutschland

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