Thema: migration

Zurück nach Bosnien? Ein Reisebericht


Am Donnerstag beschloss die Bundesregierung, dass Bosnien-Herzegowina zu den sicheren Herkunftsländern gehört, in die Flüchtlinge zurückgeschickt werden können. Heike Mahlke aus Hitzacker betreut seit 1999 Hilfsprojekte in Bosnien und weiß, wie es in dem Land aussieht. Ein Reisebericht, der nachdenklich stimmt.


Was können Friedenswege sein in einem zweigeteilten Land, das seit dem Ende des Krieges 1995 politisch und wirtschaftlich still steht und die Menschen immer mehr verarmen läßt? Inzwischen ist Bosnien das ärmste Land Europas. Der Vertrag von Dayton Ende 1995 brachte zwar das Ende des Krieges, aber auch eine Spaltung des Landes. Bosnien und Herzegowina (BiH) zerbrach in zwei Hälften (Entitäten) – einerseits die serbische Republika Srpska (RS), andererseits die bosniakisch-kroatische Föderation.

In BiH leben vor allem muslimische Bosniaken, katholische Kroaten und orthodoxe Serben, deren politische Führer sich bei politischen Entscheidungen gegenseitig blockieren und den Staat unregierbar machen. Die internationale Gemeinschaft ist vertreten durch den Hohen Repräsentanten (OHR), dessen Posten zur Zeit der österreichische Diplomat Valentin Inzko inne hat. Viele Menschen in Bosnien sind der Ansicht, dass nur ein rigoroses Eingreifen der internationalen Gemeinschaft das Land voranbringen kann, wozu diese aber nicht bereit ist.

Meine GesprächspartnerInnen sowohl in der RS als auch in der Föderation erleben, dass sich die Situation der Menschen von Jahr zu Jahr verschlechtert. Die Korruption in allen gesellschaftlichen Schichten führt zum Verfall von Werten wie der Verantwortung für das Gemeinwohl. Die Demonstrationen der jüngsten Zeit in der Föderation waren eine Reaktion auf die Verarmung der Bevölkerung und auf einen nicht-funktionierenden Staat. In der RS gab es kaum Proteste. Die Politik des dortigen Ministerpräsidenten Milorad Dodik ist auf den Staat Serbien ausgerichtet. Dodik ist weder an einem funktionierenden Staat BiH interessiert noch an einem Beitritt in die EU.

Auch die Politik der kroatischen Bosnier zielt auf ein autonomes Territorium in der West- Herzegowina, was eine weitere Teilung des Landes bedeuten würde. Die Stadt Kozarska Dubica liegt in der RS, durch den Fluß „Una“ von Kroatien getrennt. Bis zum Sommer des letzten Jahres gab es einen regen Verkehr über die Brücke von Hrvatska Dubica (Kroatien) nach Kozarska Dubica (Bosnien). Die Menschen begegneten sich auf dem Markt, beim Einkaufen, beim Arzt. Die Molkerei in Kozarska Dubica lieferte ihre Produkte nach Kroatien, Slowenien, u.a.

Da seit dem letzten Sommer Kroatien der EU angehört, ist die Grenze zur EU-Außengrenze geworden. Die Brücke über die Una, die Hrvatska Dubica mit Kozarska Dubica verbindet, wurde geschlossen. Die Menschen müssen weite Umwege fahren, die Molkerei darf ihre Produkte nicht nach Kroatien, in die EU, ausliefern. Vor 15 Jahren begann der Verein „Putevi Mira“ (Friedenswege) seine Arbeit. Es waren rückkehrende bosniakische Flüchtlinge, die ein Beratungsbüro in der Stadt eröffneten. Sie waren nicht willkommen. Ihre Häuser waren von serbischen Familien besetzt oder zerstört worden. Die Rückkehrenden, unter ihnen Kasim Krivdic und Cima Zdenac, waren mit der Absicht gekommen, nach einem schrecklichen Krieg und der Vertreibung wieder in ihrer Stadt leben zu können.

Ihre ersten zu lösenden Aufgaben waren Menschenrechtsfragen. Sie kümmerten sich um die Rückgabe der besetzten Häuser und Grundstücke von bosniakischen Familien. Sie berieten serbische Flüchtlinge, deren Häuser in der Föderation besetzt waren, bzw. die aus Kroatien geflüchtet waren und keinen Wohnraum hatten. Über ihrer Arbeit stand der Leitsatz: „Wir sind für alle da“. Zu der Menschenrechtsarbeit kam humanitäre Hilfe hinzu. Die Arbeitslosigkeit ist bis heute hoch. Menschen, besonders alte, die keine Verwandten im Ausland haben, können ohne Hilfe kaum überleben, da es kein funktionierendes Sozialsystem gibt. Mit Hilfe der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ konnte der Verein drei Pflegerinnen einstellen, die bei ihren Besuchen keinen Unterschied machen, welcher Volksgruppe die Menschen angehören.

Leider ist die Förderung längst ausgelaufen. Die Pflegerinnen werden zur Zeit aus immer knapper werdenden Spendenmitteln bezahlt. 2001 organisierte der Verein ein erstes Treffen zwischen bosniakischen, bosnisch kroatischen und bosnisch serbischen Frauen und lud dazu Frauen aus Deutschland ein. Daraus entstand eine engagierte Frauenarbeit unter der Leitung von Sadija Becirevic. Bis heute ist die Frauenarbeit, die sich „Frauenfriedensschritte“ nennt, ein Schwerpunkt des Vereins.

Die Friedensschritte sind in der Stadt sichtbar. Nicht nur, dass die Frauen sich um alte, vereinsamte Menschen kümmern, sie helfen sich und ihren Nachbarn bei den täglichen Problemen des Überlebens. Sie gehen in politische Versammlungen der Kommune, stellen kritische Fragen und leisten auf diese Weise einen Beitrag zum zivilgesellschaftlichen Aufbau der Stadt. Mithilfe der Unterstützung der Kirchengemeinde Essen-Kray, des Diakonischen Werkes der Rheinischen Kirche und der Jugendakademie Walberberg konnte eine Jugendarbeit aufgebaut und Jugendlichen aus Kozarska Dubica ein Austausch mit deutschen Jugendlichen und Jugendlichen anderer Nationalitäten ermöglicht werden.

Die MitarbeiterInnen von „Putevi Mira“ haben in einem Land, in dem die Politik in allen Volksgruppen nationalistisch ist, ihre Arbeit beharrlich mit der Vision gemacht, dass Frieden möglich ist. Bei der Feier zum 15jährigen Bestehen des Vereins Ende April dieses Jahres haben die MitarbeiterInnen den Respekt und die Anerkennung der kommunalen Gemeindevertreter erfahren.

Die Zusammenarbeit mit der Kommunalgemeinde, dem Sozialamt, den Schulen und der Polizei macht deutlich, dass eine Annäherung zwischen den Menschen und auf der Ebene von Ämtern möglich ist, wenn Offenheit und Gesprächsbereitschaft die Atmosphäre bestimmen. Wie wird es weitergehen mit dem Verein und der Frauenarbeit? Ab dem nächsten Jahr wird es nicht mehr genug Spenden geben, um Honorare, Miete, Sachkosten und medizinische Hilfsmittel für die Pflegerinnen zu bezahlen.

In einer Zukunftswerkstatt Ende April, die die Frauenarbeit der Hannoverschen Landeskirche finanziert hat, haben wir nach möglichen Wegen der Weiterarbeit gesucht. Für mich ist das wichtigste Ergebnis und die Frucht der jahrelangen Zusammenarbeit, dass die MitarbeiterInnen und die Frauen der „Frauenfriedensschritte gesagt haben: „Wir machen weiter auch ohne Geld. Diese Arbeit gehört zu uns.“ Natürlich sind sie dankbar für weitere finanzielle Unterstützung, um die Sachkosten und die Hilfsmittel für die alten Menschen bezahlen zu können.

In unserer globalen Welt, in der Kriege, Zerstörung unserer Umwelt, Flüchtlingsströme bedrückend sind, bedeuten für mich die 15 Jahre andauernden beharrlichen Schritte der Annährung unter den Menschen durch die MitarbeiterInnen des Vereins und der Frauen, Zeichen der Hoffnung und der Ermutigung.

Wer spenden möchte, kann dies über die Ev. Kirchengemeinde Essen-Kray tun:  Konto 522 2400 246, KD-Bank Dortmund – BLZ 350 601 90, Verwendungszweck „Dubica 02“ IBAN: DE93350601905222400246 - BIC:  GENODED1DKD

Die Pastorin im Ruhestand Heike Mahlke kümmert sich seit 15 Jahren intensiv um bosnische Flüchtlinge. Den Reisebericht schrieb sie nach einer Fahrt im April 2014.

Foto
/ Heike Mahlke: Das Foto entstand bei einem Frauenseminar in Hrvatska Dubica. Die Frauen mussten einen riesigen Umweg fahren, um eine Frauengruppe auf der anderen Seite der Brücke, in Kroatien, zu besuchen.  


2014-07-04 ; von Heike Mahlke (autor), asb (autor),

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