{img |size=L |align=right } „Ist der GAU von Tschernobyl nur ein Ort in einer langen Reihe apokalyptischer Ereignisse? Hat sich nach Fukushima wirklich ein Wandel vollzogen?“, Fragen, die nicht nur Marianne Fritzen, Ehrenvorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg in ihrer Rede anlässlich der Eröffnung der dritten Ausstellung im Rahmen des internationalen Kunstprojektes „Tschernobyl 25 – expeditionen“ im wendländischen Gartow stellte.
Am Beispiel der ehemaligen Modellstadt Pripjat, die erst im Jahre 1970 für die im Atomkraftwerk Tschernobyl Beschäftigten die Stadt Pripjat gebaut wurde, zeigt die Ausstellung „Die Straße der Enthusiasten“ in drei Blöcken eindringlich, wie schnell der kollektive Traum des Wohlstands durch Hochtechnologie zerplatzen kann. Nur sechzehn Jahre später, im Mai 1986, hat man sämtliche 48 000 Bewohner der durch den GAU in Tschernobyl verstrahlten Stadt evakuiert. Seither steht Pripjat leer, eine monströse Installation.
Den Titel hat die Wanderausstellung von einer wichtigen Straße am südlichen Stadtrand von Pripjat, der «Straße der Enthusiasten». Denn die Stadtgründer zogen im Jahr 1970 (Breschnew-Ära) ganz selbstverständlich eine Traditionslinie von der damals aktuellen Begeisterung für das perpetuum mobile Atomkraft hin zum historischen Enthusiasmus der ersten sowjetischen Industrialisierung, also zu jenem quasireligiösen, fortschrittsgläubigen Eifer, der die Massenmobilisierung des Stalinismus charakterisiert.
Mit der Ausstellung, die im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin entstand, folgen Mossmann und seine Kollegin Eva Morat vom Morat-Institut in Freiburg zwei außergewöhnlichen Fotografen, Robert Polidori und Andrej Krementschouk die mit jeweils eigenem Blick die Zone anschauen.
Der Jüngere, Krementschouk gehört zu einer Generation, für die Tschernobyl nicht mehr das epochale Ereignis ist, sondern eine vorgefundene Normalität. Der Ältere, Robert Polidori, hat Pripjat im Jahr 2001 so fotografiert wie andere den versunkenen und in der Bewegung erstarrten Kosmos von Pompeij fotografiert haben. Welche befremdliche Arten von Katastrophen-Schönheit er in Prypjat gesucht und gefunden hat, das lässt sich in der Ausstellung auf beeindruckende Weise nachempfinden.
Mit den Eco-Postern aus der inzwischen international renommierten Triennale der Designergruppe BLOCK4 aus Charkiv zeigt die Ausstellung außerdem Sichtweisen von Künstlern, die sich als Grafiker mit Tschernobyl beschäftigt haben.
Rebecca Harms, die als Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament den aktuellen Atomausstieg der bundesdeutschen Regierung zwar unterstützt, ist klar, dass das Thema Atomkraft in Europa noch längst nicht erledigt ist. „Eine besonders haarsträubende Entscheidung ist es, die ganz alten ukrainischen Atomkraftwerke ans europäische Netz anzubinden. Billiger Atomstrom für Deutschland und die EU und das Risiko für die Ukraine?“, fragte die Europaparlamentarierin sich in ihrer Rede.
Denn auch das sind bittere Erfahrungen mit dem GAU in Fukushima: Für alle, die sich mit Tschernobyl und den Folgen beschäftigt haben, ist erschreckend und immer wieder bestürzend, dass nicht nur die Nachrichten über die Probleme sich wiederholen nach 25 Jahren. Es wiederholen sich auch die Hilflosigkeit und die Unfähigkeit des Staates und der Atombetreiber und die gleiche Bereitschaft zur Untertreibung der Gefahren. Statt Aufklärung gibt es Desinformation. Und in Gorleben stehen immer noch 102 Castor-Behälter mit radioaktivem Abfall, für die es keine Endlager-Lösung gibt.
„Die Straße der Enthusiasten“ bietet genügend Material, ins Grübeln zu kommen und sich konfrontieren zu lassen „mit der Aktualität von Tschernobyl, 25 Jahre nach der Explosion von Block 4 und im Jahr 1 mit den Kernschmelzen von Fukushima“, wie Walter Mossmann es sich wünscht.
Die Ausstellung ist noch bis zum 3. September im wendländischen Gartow im Zehntspeicher des Westwendischen Kunstvereins zu sehen (navifähige Anschrift: 29471 Quarnstedt). Geöffnet ist sie jeweils freitags von 16 – 19 Uhr, sowie samstags und sonntags von 14 – 18 Uhr. Weitere Informationen: www.westwendischer-kunstverein.de.
Ab dem 18. September ist „Die Straße der Enthusiasten“ im Freiburger Morat-Institut (www.morat-institut.de) zu erleben.
Foto: Dirk Drazewski