Sie prägte den wendländischen Gorlebenwiderstand wie kaum eine andere: Lilo Wollny. Am Donnerstag vergangener Woche ist die unermüdliche Kämpferin im Alter von 93 Jahren gestorben.
Lilo Wollny. Dieser Name stand über 20 Jahre beinahe als Synonym
für den wendländischen Widerstand. Er stand für Kompromisslosigkeit,
unbedingten Widerstandswillen aber auch für trockenen Humor und
Menschenfreundlichkeit. Vergangene Woche ist die 93-jährige nach langer Krankheit gestorben.
Obwohl sie zunehmend die Welt vergaß, eines hat sie nie vergessen: ihr Engagement gegen die Gorlebener Atomanlagen. "Das war doch mein Leben" betonte sie fast empört, wenn jemand sie fragte, ob sie sich noch an Geschehnisse aus ihrer Widerstandszeit erinnert.
Dabei war der Hausfrau und fünffachen Mutter der öffentliche Widerstand nicht in die Wiege gelegt. Die Flucht aus dem zerbombten Hamburg mit nicht einmal 20 Jahren verschlug sie und ihre Familie nach Vietze.
Eigentlich wollte sie wieder zurück nach Hamburg, studieren, „die weite Welt erforschen“. Stattdessen musste sie im elterlichen Haushalt und Betrieb helfen. Als mit dem Kriegsgefangenen Peter Wollny ihre große Liebe in den elterlichen Betrieb kam, waren die Pläne von Studium und weiter Welt endgültig für lange Zeit ad acta gelegt. Sie bekam fünf Kinder und beschäftigte sich fortan mit Kindern, Haushalt, Garten und der Leitung von Bäckerei und Café.
Als die Amerikaner nach dem zweiten
Weltkrieg auf den Höhbeck kamen, fand sie durch ihre
Englischkenntnisse eine neue Aufgabe: sie übersetzte für die
Kriegssieger – und machte sich dadurch auch einige Feinde im Dorf.
Die Standortbenennung verändert ein Hausfrauenleben
Mit 50 Jahren, am 22. Februar 1977, änderte sich ihr Leben schlagartig. „Wir saßen vor dem Fernseher und erfuhren dort, dass Gorleben für die Ansiedlung eines nuklearen Entsorgungszentrums auserkoren worden war,“ erzählte Lilo Wollny. “Als damals dieser Albrecht strahlenden Gesichts auf dem Bildschirm erschien und verkündete, dass es Gorleben werden würde, war das einrichtiger Schock! Es war so, als wenn uns der Boden unter den Füßen weggerissen würde.“
Von dem Moment wurde Lilo Wollny aktiv. „Ich wurde regelrecht aus dem Schlaf gerissen,“ erzählte sie. Sie engagierte sich in der gerade gegründeten Bürgerinitiative, wurde schnell eine ihrer Vorsitzenden und setzte sich fortan unermüdlich und kompromisslos gegen die Umsetzung dieser „unmenschlichen Pläne“ ein. Plötzlich wurde aus ihr eine faszinierende Protagonistin des Widerstands. Journalisten aller Couleur gaben sich bei ihr die Klinke in die Hand. Eine 60-jährige Hausfrau und Mutter – inzwischen sogar Großmutter – als Leitfigur des Widerstands? Das interessierte und brachte sie bis in bundesdeutsche Leitmedien.
In ihrer schlichten Art und zutiefst von der Richtigkeit des Widerstands überzeugt, motivierte sie Generationen von Gorlebengegnern, mit dem Kampf nicht nachzulassen. Unermüdlich eignete sie sich im Eigenstudium soviel Wissen über technische Bedingungen und politische Trickserein an, dass sie bald als Expertin in Sachen Endlagerung von Atommüll galt.
Ihre Überzeugungskraft und
Fachkompetenz brachte sie dann 1987 in den Bundestag. Obwohl
parteilos, saß sie für die Grünen bis 1990 im Parlament. Dabei
blieb sie schlicht. Trotz umfassenden Fachwissens argumentierte
sie aus der Sicht eines Menschen, dem die Heimat abhanden zu
kommen droht. Und gleichzeitig plädierte sie immer dafür, selbst in
den härtesten Auseinandersetzung Lebenslust und Gemeinschaftssinn
nicht zu vergessen.
Neue Kinder: die jungen WiderständlerInnen
All die jungen Menschen, die
damals aus Berlin ins Wendland pilgerten, um „den
Gorleben-Widerstand zu unterstützen“ fanden in ihrem Gartenhaus
immer eine Unterkunft. Sie wurden zu „meinen Kindern“. Dabei war es ihr wichtig, den Wert von Aufrichtigkeit zu vermitteln und das Widerstand nicht nur ein Recht, sondern geradezu eine Pflicht sei.
In der Sache war sie
kompromisslos. Für sie war die Verhinderung eines atomaren Endlagers
in Gorleben das Wichtigste, für das sie sich einzusetzen hatte. Als
ihre jüngste Tochter den Konfirmandenunterricht schwänzte und der damalige
Pastor sie deswegen erbost anrief, antwortete sie schlicht: „Na auf 1004! Wo denn sonst? Da
gehört sie doch hin!“ Die Tochter hatte sich entschieden, den Aufenthalt im Hüttendorf auf dem sogenannten "Bohrplatz 1004" dem Konfirmandenunterricht vorzuziehen.
Für Lilo Wollny gab es keine
richtigen oder falschen Gorlebengegner. Jede/r, der den Kampf gegen
Gorleben unterstützte, war ihr willkommen. Nur Gewalt oder
politische Tricksereien waren ihr zuwider.
Wider die Interessen der Macht
Ihr aktives Engagement für den Gorleben-Widerstand endete erst, als ihre Erkrankung ihr eine Teilnahme an Demonstrationen oder Kundgebungen nicht mehr erlaubte. Aber mit dem Herzen blieb Lilo Wollny bis zum Schluss all den "Widerständlern" da draußen verbunden.
Ihr Leben und Handeln wird noch für spätere Generationen
mehr als eine Geschichtsstunde sein. Es ist die Geschichte einer Frau,
die sich unerschrocken auch den höchsten politischen Autoritäten
entgegen stellte und zeitlebens ein Motto vertrat: "Gegen die Menschen
darf keine politische oder wirtschaftliche Macht ihre Interessen
durchsetzen."
Dieses Motto ist heute aktueller denn je.
Video: Lilo und Peter Wollny in den Anfangszeiten des Widerstands (1978). Ausschnittt aus dem Film "Das machen die Herren selber, daß ihnen der arme Man feyndt wird"