Löcher im eisernen Vorhang
„Fiscus“ kannte sich im Landkreis Lüchow-Dannenberg aus. Unter diesem Decknamen spionierte eine Bundesbürgerin aus Wustrow in den achtziger Jahren für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Das Revier der passionierten Jägerin befand sich im Blütlinger Holz direkt an der Zonengrenze.
Dort geriet sie ins Blickfeld von Grenzaufklärern der DDR-Staatsicherheit (Stasi), die Kontakt zu ihr aufnahmen und sie anwarben. Künftig traf sie sich, jahrelang unbemerkt von den bundesdeutschen Grenzschützern, regelmäßig mit ihren Führungsoffizieren in konspirativen Verstecken direkt an der Demarkationslinie.
Sie lieferte unter anderem umfangreiche Berichte über die politische, wirtschaftliche und kulturelle Situa-tion im Landkreis. So interessierten sich die Geheimdienstler besonders für die Aktivitäten der Antiatomkraftbewegung. Belohnt wurde „Fiscus“ für ihre Spitzeldienste beispielsweise mit illegalen nächtlichen Jagdausflügen (etwa in den Harz) und Sachgeschenken.
Das Ministerium für Staatssicherheitsdienst war in der DDR politische Geheimpolizei, geheimer Nachrichtendienst und Organ für strafrechtliche Untersuchungen. 1989 verfügte der Staatssicherheitsdienst über 91.000 Hauptamtliche Mitarbeiter und etwa 173.000 Inoffizielle Mitarbeiter. Bis zu seiner Auflösung 1990 arbeitete die Stasi ständig daran, das Informanten-Netz auch im westlichen Ausland auszuweiten.
1989 spionierten neben zahlreichen DDR-Bürgern auch rund 3.500 Bundesbürger als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) für die Staatssicherheit.
Die Informationen dieser IM nutzte das MfS für umfangreiche konspirative Aktivitäten gegen die Bundesrepublik. So plante die Stasi beispielsweise, gegen Objekte und Personen der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Infrastruktur im Bedarfsfall mit Terroranschlägen vorzugehen. In einer geheimenStasi-Liste derartiger Zielobjekte von 1981 wurden auch die Richtfunkübertragungsstellen für die Verbindung nach West-Berlin auf dem Höhbeck und bei Gartow genannt. Da diese vor 1989 recht gut bewacht wurden, sollten die Angriffe auf die Zuleitungen stattfinden. Das waren das Trägerfrequenzkabel 513 der Bundespost an der Zwischenverstärkerstelle Vardegötzen im Kreis Hannover und die Funkübertragungsstelle Eges-torf 24 Kilometer südwestlich von Lüneburg.
Interessant war der Landkreis Lüchow-Dannenberg für die Stasi-Späher besonders wegen seiner exponierten Lage an der Zonengrenze. Zahlreich überliefert sind Berichte über Grenzzwischenfälle an der Elbe zwischen Bleckede, Hitzacker und Schnackenburg. Wegen der abgeschiedenen Lage unterhielt das MfS mehrere sogenannte konspirative Grenzschleusen an der Demarkationslinie im südlichen Teil des Landkreises. Diese dienten dem illegalen Transport von Menschen und Material zum Zwecke der Spionage und Sabotage gegen die Bundesrepublik.
Um die Hinterlassenschaft des Staatssicherheitsdienstes von 180.000 laufenden Metern Schriftgut, Fotos, Filmen, Videos und 17 Millionen Karteikarten kümmert sich die Behörde der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen (BStU) Marianne Birthler. Die Behörde ermöglicht auch den Zugang und die Nutzung der Stasi-Akten.
Am gestringen Donnerstag erfuhren ca. 100 interessierte Bürger aus dem Wendland wie sie Einsicht in die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes erhalten können.
Kamera: Dirk Drazewski
2008-02-29 ;
von
Dirk Drazewski (autor),
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