Das Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hatte weitaus größere Zweifel an der Eignung Gorleben als nukleares Endlager als bisher bekannt. Die Vorläuferbehörde des heutigen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) sprach nach Auswertung der Tiefbohrungen 1983 in einem “Zwischenbericht” die Empfehlung aus, neben Gorleben sollten auch andere Standorte untersucht werden, um Sachzwänge bei der Realisierung des Endlagers im Salzstock Gorleben zu vermeiden. “Dies würde auch die Akzeptanz des Standortes Gorleben erhöhen”, schloss der Zwischenbericht, der auf den 6.5.83 datiert ist. Die bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock Gorleben hätten jedoch die “Aussagen über seine Eignungshöffigkeit für die Endlagerung der vorgesehenen radioaktiven Abfälle voll bestätigt.” Auf eine alternative Standortsuche wurde seitens der Bundesregierung bekanntermaßen verzichtet, stattdessen begann das Abteufen der Schächte und damit der Bau des Erkundungsbergwerks drei Jahre später, im März 1986.
Noch einen Tag zuvor (!) stellte der Sachverhalt in der PTB ganz anders dar. Bei der Sichtung der verschiedenen Entwürfe, die zu jenem “Zwischenbericht” führten, wurde die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) fündig. Am 5.5.83 hieß es in dem Vorentwurf, der an jenem Tag mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) laut handschriftlichem Vermerk diskutiert wurde: “Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwendige Maßnahmen an den technischen Barrieren notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherzustellen. Ob diese Ausgaben dann grundsätzlich unvermeidbar sind, kann nur beantwortet werden, wenn Vergleichsdaten von anderen Standorten vorliegen.”
Prof. Helmut Röthemeyer, der ehemalige Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), hatte im April 2009 in einem Gespräch mit der Berliner Tageszeitung berichtet, zu dem Treffen mit den Experten der BGR seien unerwartet auch Vertreter des Bundeskanzleramtes und der Bonner Ministerien für Forschung und Technologie und des Inneren erschienen. Die Ministeriumsvertreter hätten die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert. “Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mussten das Gespräch klar als Weisung auffassen”, sagt der Röthemeyer, der inzwischen pensioniert ist. “Wir wollten der Sache auf den Grund gehen und nachlesen, was in dem Entwurf stand, der nach der politischen Intervention geändert wurde”, sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.
Nachzulesen ist: Nach Abschluss der obertägigen Erkundung durch Tiefbohrungen drängten sich zwei Schwachpunkte des Salzstocks Gorleben auf, der wasserleitende Hauptanhydrit und die hydrogeologischen Verhältnisse. Das gab den Ausschlag für die Empfehlung der PTB, auch andere Standorte neben Gorleben zu erkunden. “Die Genese des PTB- Entwurfs von der Arbeitsfassung bis hin zum “Zwischenbericht” zeigt, dass mit der Untersuchung anderer Standorte nicht auf die Akzeptanz abgestellt wurde, sondern auf ein finanzielles Risiko”, konstatiert die BI.
“An keiner Stelle findet sich in Vorentwürfen die Behauptung, dass der Salzstock eignungshöffig sei bzw. dass die Tiefbohrungen dieses “voll bestätigt” hätten, wie es im “Zwischenbericht” formuliert wurde,” berichtete Ehmke nach der Akteneinsicht.
Erster Schwachpunkt war nach Ansicht der PTB-Fachleute seinerzeit der Hauptanhydrit im Salzgestein selbst. Anhydrit ist ein Mineral aus Calciumsulfat, das härter und spröder ist als Salz. Im Salzbergbau ist Anhydrit als potenziell wasserführende Schicht gefürchtet, warnt zum Beispiel der Geologe Detlef Appel. Würden die hochradioaktiven, heißen Abfälle eingelagert, so könnten sich Wegsamkeiten für kontaminierte Laugen bilden. Die Hydrogeologie des Deckgebirges über dem Salzstock würde in deutlichen Worten als zweite Schwachstelle bezeichnet.
Wörtlich heißt es in der Arbeitsfassung des PTB- Berichts, es sei “festzustellen, dass die über den zentralen Bereichen des Salzstocks Gorleben vorkommenden tonigen Sedimente keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre fernzuhalten.” Ohne aufwändige technische Barrieren zur Einhaltung von Grenzwerten müsse mit dem Eintreten von Schadstoffen in den untersten Grundwasserleiter nach 600 bzw. 1170 Jahren gerechnet werden.
Zum Vergleich: die Sicherheitsanforderungen des Bundesumweltministeriums unterstellen heute 1 Million Jahre Sicherheit. “Der Verzicht auf eine doppelte geologische Barriere, wie es seitens des heutigen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel vorgeschlagen wird, erscheint nach der Lektüre des PTB-Entwurfs in einem äußerst fragwürdigen Licht, damit wird ein wesentlicher fachlicher Einwand gegen Gorleben wegdefiniert,” kritisiert die BI. Ehmke:” Für uns wird deutlich, es gab eine politische Bevormundung der Fachbehörde. “Die Gorleben-Lüge stürzt ein wie ein Kartenhaus. Der Salzstock muss endlich raus aus dem Pool der fraglicher Endlagerstandorte. Wir demonstrieren am 5. September in Berlin für den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft, damit eine ergebnisoffene, vergleichende Endlagersuche starten kann.”