20 Jahre Kulturelle Landpartie

Mit über 600 Ausstellern in 84 Orten beginnt am Donnerstag wieder einmal die „Kulturelle Landpartie“. Und auch der Reisebegleiter erreicht zumindest einen zahlenmäßig Rekord: mit 303 Seiten und satten 1,8 cm Dicke ist es der voluminöseste Führer aller KLP-Zeiten. 1990, als die Wunde.r.punkte das erste Mal stattfanden, war von diesen Dimensionen noch keine Rede. Ein kleiner Ausflug in die Geschichte der Landpartie.

Eigentlich hat die Kulturelle Landpartie dieses Jahr Jubiläum, denn 1990 fanden zum ersten Mal die „Wunde.r.punkte“ statt, der Vorläufer der Kulturellen Landpartie. Doch die aktuelle Organisation der Kulturellen Landpartie entschied sich vergangenes Jahr, die 20. Landpartie zu feiern und nicht in diesem Jahr das 20-jährige Jubiläum.

Ein rundes Dutzend Künstler und Kulturschaffende waren es, die sich 1989 zum ersten Mal trafen, um eine Veranstaltungsreihe vorzubereiten, die sowohl die „wunden Punkte“ der Region als auch die wundersamen Orte vorstellen wollte. Hart klangen den damaligen Organisatoren noch die Worte vom „unappetitlichen Pack“ in den Ohren, mit denen der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther die Gorlebengegner im Wendland tituliert hatte.

„Das lassen wir uns nicht gefallen, denen zeigen wir mal, was dieses 'unappetitliche Pack' auf die Beine stellen kann“, empörte sich zum Beispiel die Zeetzer Malerin und Bildhauerin Uta Helene Götz, die schon zu Zeiten von 1004 mit kreativer Spielplatzgestaltung künstlerische Zeichen gegen die Atom-Pläne für Gorleben gesetzt hatte.

Dieses Prinzip, mit künstlerischen Mitteln gegen Gorleben zu demonstrieren, nahm spätestens 1985 größere Formen an: mit Kunstaktionen wie „Da müssen wir durch“ oder „Hart an der Grenze“ schuf die Künstlergruppe, zu denen KünstlerInnen wie Irmhild Schwarz, Astrid Clasen oder Mitglieder der Wendländischen Filmkooperative gehörten, Maßstäbe, was kreativen Widerstand durch künstlerische Aktion anging.

Wir zeigen, wer wir sind

Parallel dazu war der Kunsthandwerker-Markt in Kukate, der 1985 erstmalig seine Tore öffnete, so erfolgreich geworden, dass sich jährlich bei Inge und Michael Seelig die Bewerbungen stapelten. Viele der Kunsthandwerker lebten inzwischen im Wendland (1997 zählte die Datei der Kulturschaffenden rund 200 Künstler aller Gewerke).

Ein Zeit des Aufbruchs und der immerwährenden Suche nach kreativen Ausdrucksformen für den Widerstand war es damals. „Ein Lächeln wird es sein, dass sie besiegt“ wurde zur Parole für die Form des Widerstands.

So traf sich dann 1989 eine Vorbereitungsgruppe, die darüber nachdachte, wie künstlerischer Protest und das vielfältige kunsthandwerkliche Schaffen in der Region in einer Veranstaltungsreihe zusammenkommen könnten.

„Wir öffnen unsere Werkstätten und Ateliers und zeigen, wie wir leben, damit sich jede/r ein Bild davon machen kann, wie das 'unappetitliche Pack' seinen Alltag gestaltet“, hieß es in den ersten Ankündigungen.

Bei den Kunsthandwerkern war allerdings zunächst einige Überzeugungsarbeit notwendig, um sie davon zu überzeugen, auf das „sichere“ Geschäft auf dem Pfingstmarkt zu verzichten und in den eigenen Räumen auszustellen. Oft fehlten auch geeignete Ausstellungsräume oder das Gelände schien nicht präsentabel. Doch es gelang vor allem Michael Seelig durch hartnäckige Überzeugungsarbeit, im ersten Jahr genügend Kunsthandwerker für die neue Veranstaltung zu gewinnen.

Landschaftskunst trägt den "politischen Anspruch"

Christi Himmelfahrt 1990 öffneten sich dann zum ersten Mal die Tore der „Wunde.r.punkte“. Gerade mal ein Dutzend Kunsthandwerker waren es, die sich auf das Abenteuer „Ausstellung in den eigenen Räumen“ einlassen wollten oder konnten. Doch die Idee, den Widerstand gegen die atomaren Pläne für Gorleben durch die Präsentation der eigene kreative Arbeit zu dokumentieren, schlug ein.

Zunächst waren es allerdings die großen Landschaftskunstaktionen wie „Irritationen am Wegesrand“, „Aus allen Wolken“ oder „Unter der Oberfläche“, die das zentrale Verbindungsglied schufen. Überall in der Landschaft zwischen Göhrde und Lüchow gab es an unerwarteten Stellen Überraschendes und Wundersames zu entdecken.

In der Vorbereitungsgruppe wurde zwischen 1990 und 1993 jedes Jahr neu diskutiert, ob es noch einmal gelingen würde, genügend kreative Ideen zu entwickeln, um noch einmal die „Wunde.r.punkte“ zu veranstalten. Und jedes Jahr wurde die Entscheidung nach hartem Ringen für die Wiederholung getroffen. Noch war überbordend kreative Energie vorhanden, um wieder mit einer neuen, spannenden Kunstaktion zu überraschen.

Bei den Kunsthandwerkern hatte sich schnell herumgesprochen, dass die Idee der „Wunde.r.punkte“ funktionierte, dass immer mehr Besucher kamen. So wurde über Jahre in vielen Ateliers und Werkstätten – vor allem im Südkreis – gebastelt und gewerkelt, Scheunen zu Ausstellungsräumen umgestaltet, Gärten für Gäste optimiert und Werkstätten ausgebaut. 1993 waren es schon rund 40 Aussteller, die an der Veranstaltung teilnahmen, alles Handwerker aus dem Landkreis, die sich allenfalls ein oder zwei gute Freunde zur Mitausstellung einluden.

Es war wie eine große Familienveranstaltung. Jährlich schlossen sich neue Aussteller an – man wollte dazugehören. Gesinnungsprüfung war überflüssig, denn man kannte sich ja, wusste wer zum Widerstand gehörte und wer nicht. Diskussionen über den „politischen Anspruch“ fanden denn auch hauptsächlich in der Vorbereitungsgruppe statt oder allenfalls am Biertisch, denn die „künstlerischen Köpfe“ der Organisation hatten ja jedes Jahr Überraschendes und Überzeugendes anzubieten, was den „politischen Anspruch“ auf kreative Weise dokumentierte.

Und die „Wunde.r.punkte“ wuchsen und wuchsen und wuchsen … Jedes Jahr kamen mehr Besucher, jedes Jahr meldeten sich mehrere neue „Punkte“ an.

1993 kam das Jahr der Wende: die „künstlerischen Köpfe“ der Organisation legten die Arbeit nieder, da sie befürchteten, dass die „Wunde.r.punkte“ in Beliebigkeit versinken würden. Auch fürchtete man den jährlich wiederkehrenden Zwang zu außerordentlicher Kreativität. Zunächst wollte die Gruppe nur eine Pause einlegen, doch dann wurde der „Fisch“, das immer wiederkehrende Symbol der ersten Jahre, feierlich zu Grabe getragen.

1994 - die "Wendenpunkte"

Die Kunsthandwerker nahmen das Ende der „Wunde.r.punkte“ mit Entsetzen auf. In einem Treffen Ende 1993 wurde beschlossen, dass die Veranstaltung weitergehen sollte – wenn auch mit neuem Namen, da die „Wunde.r.punkte“ nicht mehr benutzt werden durften. In der Not wählte man den Namen „Wendenpunkte“. Die Namensgebung führte zum ersten größeren Streit in der Runde. Den einen war der Name zu platt, den anderen zu politisch im falschen Sinne. Im nächsten Jahr einigte man sich dann auf „Kulturelle Landpartie“.

Mag sein, dass die Namenswahl zum Synonym des Problems wurde. Tatsache ist, dass in den Folgejahren die Auseinandersetzungen um den „politischen Anspruch“ immer mehr die basisdemokratisch organisierten Plenen der Aussteller dominierte. Nach dem Ausstieg der „Künstler“ aus der Organisationsgruppe fehlten die kreativen Köpfe. Die wunderbare kreative Aktion, die politischen Anspruch und künstlerischen Ausdruck aufs Feinste verband, sozusagen von Zauberhand geliefert, gab es nicht mehr. Die Aussteller waren auf ihre eigenen Ideen und Vorstellungen zurückgeworfen.

Dazu kam, dass die Anzahl der Aussteller inzwischen so unübersichtlich geworden war, dass niemand mehr sicher sein konnte, dass wirklich nur Atomkraftgegner an der „Kulturellen Landpartie“ teilnahmen. Auswahlverfahren wurden diskutiert und wieder verworfen, Arbeitsgruppen eingerichtet und wieder aufgelöst, Kriterien aufgestellt und wieder verworfen.

Bis es dem Plenum der Aussteller dämmerte, dass sie selbst für den "politischen Anspruch" zuständig sind, vergingen Jahre und unzählige stundenlange, quälende Diskussionsabende ohne Ergebnis.

Heute sind es zahlenmäßig wesentlich mehr Orte, an denen sich der Widerstand gegen Gorleben zeigt, als zum Beispiel im Jahr 1999,  doch angesichts über 1000 Veranstaltungen, 600 Ausstellern in über 80 Orten versinkt das Aufzeigen der "wunden Punkte" fast bis zur Unkenntlichkeit in der Buntheit der Vielfalt.

Es hat eben seinen Grund, warum die "Kulturelle Landpartie" kulturelle Landpartie heißt und nicht mehr "Wunde.r.punkte". Und trotzdem: zigtausende Gäste und Einheimische genießen auch nach 20 Jahren immer noch das bunte Treiben zwischen Drawehn und Elbe.

PS: Die Autorin organisierte zwischen 1994 und 1999 die Kulturelle Landpartie zunächst alleine, dann als Mitglied einer Arbeitsgruppe, bis sie sich im Jahr 2000 aus der Arbeit für die Kulturelle Landpartie zurückzog.

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2010-05-12 ; von Angelika Blank (autor),

kulturelle landpartie  

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