Wenn die Lüchow-Dannenberger AtomkraftgegnerInnen auf dem aktuellen Kirchentag in München auch nicht mit einem eigenen Stand in der Bayernmetropole präsent sind, so ist ihr Anliegen doch gut vertreten: durch die „Mütter gegen Atomkraft“. Zugegen ist auch die „Initiative Verantwortungsvolle Entsorgung“ der GNS. Außerdem ein wnet-Gespräch mit Cem Özdemir (Grüne).
Erst vor wenigen Wochen waren die engagierten Mütter aus dem Raum München ganz in der Nähe des Wendlands: Sie hatten den weiten Weg unternommen, um an der Krümmel-Menschenkette teilzunehmen. Mit einem Sonderzug, den sie „Bayern-Express“ nannten, waren die Münchnerinnen zusammen mit Mitgliedern weiterer Umweltverbände gen Norden gestartet. Gegründet hatte sich die Münchner Gemeinschaft 1986. Angesichts der Tschernobyl-Katastrophe waren seinerzeit spontan Mütter in Betroffenheit über das Geschehene auf dem Marienplatz in der Bayerischen Landeshauptstadt zusammengekommen. Man beschloss, sich auch künftig gemeinsam mit den Gefahren der Atomenergie auseinanderzusetzen und sich entsprechend zu engagieren.
Inzwischen ist der Verein „Mütter gegen Atomkraft“ auf rund 1000 Mitglieder angewachsen, auch „Nicht-Mütter“ und Männer sind nun unter den Aktiven. Ein Verein gleichen Namens hat sich mittlerweile in Nürnberg gegründet, seine Mitglieder waren 2008 im Wendland vertreten, als es galt, sich gegen die anrollenden Castoren querzustellen. „Wir sind beim Kirchentag dabei“, so Sieghild Kerschbaumer vom Münchner Verein, „weil wir hier eine Vielzahl von Menschen treffen, die wir über die Gefahren der Atomenergie und über die Nutzung alternativer Energien informieren können“. Natürlich, so die engagierte Christin, verfolgen die „Mütter gegen Atomkraft“ stets mit besonderem Interesse, was im Wendland in puncto „Gorleben“ geschieht.
In München: „Initiative verantwortungsvolle Entsorgung“
Zu den „Stammgästen“ auf Kirchentagen zählt auch Jürgen Auer, Pressesprecher der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) aus Gorleben. Er vertritt auf dem Christentreffen im München die „Initiative verantwortungsvolle Entsorgung“. Sie ist eingebunden in einen Stand von Arbeitnehmern, Betriebsräten und Gewerkschaftlern aus der deutschen Energiewirtschaft. Vor allem zahlreiche junge Leute besuchten den Stand, um sich zu informieren, berichtet Auer. Viele kritische Fragen würden gestellt, interessante Diskussionen entwickelten sich, und das Gespräch sei entspannter, sei „offener“ als manchmal vor Ort in Lüchow-Dannenberg. Egal, wie man zur Nutzung zur Atomkraft stehe – um die Frage, wie man die Abfälle sicher entsorgt, könne sich niemand drücken, betont Jürgen Auer. Dieses Thema berühre viele Menschen, die den Kirchentag besuchen – deshalb sei die „Initiative verantwortungsvolle Entsorgung“ dort präsent.
In München: „Heim-statt Tschernobyl“
Mit Folgen von Atomkraft befasst sich der – ebenfalls auf dem Kirchentag präsente - Verein „Heim-statt Tschernobyl“. Seine Mitglieder errichten gemeinsam ökologische Häuser im nicht verstrahlten Norden Weißrusslands: für Menschen aus der verstrahlten Region. Auch mehrere Lüchow-Dannenberger engagieren sich schon seit Jahren aktiv in diesem Verein, haben schon so manches Haus in Weißrussland mit errichtet.
Cem Özdemir: Bewahrung der Schöpfung ist Thema der Kirche
Zwar ist die Zahl der Christinnen und Christen, groß, die sich in Sachen „Gorleben“ engagieren, doch dann und wann sind Stimmen zu hören, welche die Auffassung vertreten, Kirche solle sich aus der Atomkraft-Diskussion raushalten. Wendland-net hatte auf dem Kirchentag die Gelegenheit, den Bundesvorsitzenden der Bündnisgrünen, Cem Özdemir, dazu ein paar Fragen zu stellen.
w-net: Es gibt immer noch Menschen, die behaupten, die Atomkraft sei Sache der Politik, die Kirche möge sich da heraushalten. Herr Özdemir, soll Kirche zu den Gefahren der Atomkraft Stellung beziehen?
Cem Özdemir: Ich will jetzt nicht als jemand, der aus einer muslimischen Familie kommt, den christlichen Kirchen Empfehlungen geben, aber ich finde, alle Bereiche der Gesellschaft haben sich zu einem Thema zu äußern, das Menschen Ängste und Sorgen bereitet und das in der Vergangenheit schon zu schrecklichen Konsequenzen geführt hat wie in Harrisburg und Tschernobyl. Natürlich muss die Politik das Energieproblem lösen, aber dass sich die Kirchen zu Fragen der Schöpfungsbewahrung äußern, liegt doch in der Natur der Sache. Wenn man die Bibel, den Koran oder die Torah liest, dann kommt man gar nicht drum herum, sich zu solchen Fragen zu äußern.
w-net: Im Wendland sind viele Christinnen und Christen auf der Anti-Atomkraft-Ebene aktiv. Einige zögern noch und fragen sich: Soll ich da mitmachen? Warum sollten sich gerade glaubende Menschen im Widerstand engagieren?
Cem Özdemir: Weil dieses Engagement etwas mit Schöpfungsbewahrung zu tun hat. Die Erde muss künftigen Generationen in einem Zustand überreicht werden, in dem auch sie die Möglichkeit haben, ein gutes Leben zu leben. Wenn wir ihnen die Erde mit Atommüll hinterlassen, dann haben wir als Eltern und als Staatsbürger unsere Aufgaben nicht erfüllt.
w-net: Es gibt in der Bibel ein sehr altes Wort:“ Seid der Obrigkeit untertan.“ Manche Menschen lesen das nicht im historischen Kontext und fragen sich: Darf ich mich als gläubiger Menschen dennoch auf die Straße setzen, wenn der Castor rollt?
Cem Özdemir: Gläubige Menschen dürfen und sollten sich gegen die Nutzung der Atomenergie wehren, ebenso wie gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir müssen alles dafür tun, dass wir unseren Lebensstil im Sinne der Nachhaltigkeit ändern.
Nachhaltigkeit nicht nur für uns jetzt und im eigenen Land, sondern auch für die kommenden Generationen und Menschen, die anderswo in der Welt leben. Sich dafür einzusetzen, gehört zu einem erfüllten und guten Leben. Wir müssen uns einsetzen für den Verzicht sowohl auf die militärische Nutzung als auch auf die so genannte friedliche Nutzung der Atomenergie. Die Hinterlassenschaften dieser Energie belasten Menschen über Millionen Jahre. Und wir sehen ja in Deutschland, einem Hochindustrieland, dass wir nicht in der Lage sind, für den Atommüll eine Lösung zu finden. Wie ist es dann erst in Ländern, in denen es keine demokratischen Regierungen gibt?! Ich halte diese Energieform für nicht beherrschbar.
Sie übersteigt das menschliche Maß. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Energieform so schnell wie möglich beendet wird!
Verlautbarungen der Amtskirchen
Manchmal werden Christinnen und Christen gefragt – oder fragen auch selbst, welche Auffassung die jeweilige Amtskirche in Sachen Gorleben vertritt. Eine „allein selig machende“ Aussage seitens des offiziellen Klerus’ gibt es nicht, wohl aber unterschiedliche Verlautbarungen.
Bischöfe: Risiko durch menschliche Unaufmerksamkeit
Von der katholischen Kirche gibt es kein klares Ja oder Nein zur Atomkraft, aber: Immerhin verabschiedete eine Kommission der katholischen Deutschen Bischofskonferenz 1998 eine Erklärung unter dem Titel „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“, wo vom „Risikopotential der Nuklearindustrie“ gesprochen wird. Dieses beziehe sich auf „die Möglichkeit technischer oder durch menschliche Unaufmerksamkeit bedingter Störfälle innerhalb der Produktionsanlagen oder bei Transporten“. Die Kirche, so die Bischöfe, habe die wichtige Aufgabe, die Lösung der Umweltprobleme voranzutreiben. Der spezifische Ansatz der Kirche sei dabei „von der Frage nach dem umfassenden Wohl des Menschen sowie vom Verständnis der Schöpfung bestimmt“. Positiv äußern sich die Bischöfe zur „praktischen Zusammenarbeit“ von Christinnen und Christen mit „Gruppierungen der Umweltbewegung“.
Papst für „Kerntechnologie, die die Umwelt achtet“
Gibt es Äußerungen des Papstes zur Atomkraft? Ja! Mit Blick auf das seinerzeit seit 50 Jahren bestehende Statut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA erklärte Benedikt XVI. 1997 unter anderem: „Die in den letzten 50 Jahren eingetretenen epochalen Veränderungen machen deutlich, dass an den schwierigen Scheidewegen, an denen sich die Menschheit befindet, der Einsatz immer aktueller und dringlicher wird, für die Nicht-Verbreitung von Nuklearwaffen einzutreten, eine progressive und konzertierte Abrüstung von Kernwaffen zu fördern und den friedlichen und sicheren Gebrauch der Kerntechnologie für eine echte Entwicklung zu begünstigen, die die Umwelt achtet und immer auf die benachteiligten Völker bedacht ist.“
Landessuperintendent: Kernenergie ist gottlos
Weitaus kritischer und deutlicher sind Aussagen evangelisch-lutherischer Amtsträger: Der Lüneburger Landessuperintendent Hans-Hermann Jantzen – er leitet seit dem Rücktritt von Landesbischöfin Margot Käßmann interimsmäßig die Landeskirche – erklärte anlässlich der Krümmel-Menschenkette: „Die Kernenergie ist für uns kein gangbarer Weg. Wir halten diese Technologie für nicht beherrschbar. Sie ist in tiefstem Grund menschenverachtend und gottlos. Die unvorstellbar langen Zeiträume, über die der hochgiftige Müll gelagert und bewacht werden muss, sind dem Menschen nicht angemessen. Es ist unverantwortlich, den nachfolgenden Generationen für Jahrtausende diese Last aufzubürden“.
Jantzen hatte in seiner Ansprache auch erwähnt, dass die Landeskirche den Gartower Pastor Eckhard Kruse in Arbeitsgruppen auf europäischer Ebene entsandt hat, um am ethischen Diskurs über Fragen der Entsorgung radioaktiver Abfälle mitzuwirken, Kruse habe sich viel Kompetenz erworben, so dass ihn die Landeskirche 2009 gebeten hat, den Prozess der Endlagersuche kirchlicherseits als Endlager-Beauftragter zu begleiten.
Landessynode warnt vor Risiken der Atomkraft
Nicht minder deutlich hatten sich weitere Gremien der evangelischen Kirche zur Atomkraft geäußert. So betonte beispielsweise die Hannoversche Landessynode im November 2009, aus ihrer Sicht sei „die Kernenergienutzung weder ein wirksamer und verantwortlicher Beitrag zum Klimaschutz noch wegen des möglichen Ausmaßes ihrer Risiken überhaupt eine Technologie, die im Sinne des biblischen Auftrags, die Schöpfung zu bewahren, beantwortet werden kann“.
Worte machen Mut
Solche Worte werden fraglos jenen zu denken geben, die immer noch der Ansicht sind, Kirche möge sich nicht „in die Atompolitik einmischen“, Und solche Worte werden allen jenen Mut machen, die sich als Christinnen und Christen für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen: auf dem Kirchentag in München unter Motto „Damit ihr Hoffnung habt“ – oder auch, wohl wieder in einigen Monaten im Wendland, auf der Straße und in denjenigen kirchlichen Häusern, die Demonstrantinnen und Demonstranten an den Castor-Tagen wieder ihre Türen öffnen.
Fotos: Hagen Jung / Cem Özdemir bei der Verleihung eines Preises für Klimaschutzprojekte.
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