Thema: atommüll

Atommüll für Russland

Nicht nur in La Hague gehen Castoren auf die Reise. Auch  im westfälischen Ahaus werden gerade 18 Castoren für den Abtransport vorbereitet: Sie sollen nach Russland gebracht werden, in die berüchtigte Kerntechnische Anlage Mayak.

Eine sinnvolle Maßnahme der Atomwaffennichtverbreitung? Oder ein verkappter Atommüllexport? Ende September genehmigte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Ausfuhr von 951 abgebrannten Forschungsreaktor-Brennelementen aus dem Zwischenlager Ahaus nach Russland. Ziel: Die Kernanlage Majak am Südural – ein riesiges nukleares Gewerbegebiet inmitten von radioaktiv verstrahlten Bergwäldern.

Berühmt berüchtigt ist Majak für seine Nuklearsünden, begangen in den 50-er und 60-er Jahren, und für den zweitschwersten Nuklearunfall nach Tschernobyl – die Explosion eines 80 Tonnen-Tanks mit hoch radioaktivem Atommüll im Jahr 1957. Dorthin also wird vermutlich noch im November der erste von insgesamt drei geplanten Castor-Transporten von Ahaus aus aufbrechen.

„Wir haben es hier mit irgendwelchen obskuren vertraglichen Vereinbarungen zu tun. Ich gehe davon aus, dass das wirkliche Motiv ein rein finanzielles ist“, schimpft der Grüne Bundestagsabgeordnete und energiepolitische Experte Oliver Krischer. „Man darf sich nicht ausmalen, was das bedeutet, wenn sich irgendwann alle Länder den günstigsten Entsorgungsweg suchen, und ihren Atommüll in die Länder mit den geringsten Sicherheitsstandards karren.“

Bei den „obskuren vertraglichen Vereinbarungen“ handelt es sich um ein Abkommen zwischen Russland, den USA und der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) mit dem umständlichen Namen „Russian Research Reactor Fuel Return“ (RRRFR). Darin hat sich Russland (als Rechtsnachfolger der Sowjetunion) verpflichtet, abgebrannte Forschungsreaktor-Brennstäbe aus sowjetischer Produktion aus den verschiedenen ehemaligen Ostblockstaaten zurückzunehmen. Das soll der Atomwaffennichtverbreitung dienen, denn Kernbrennstoff für Forschungsreaktoren enthält oft einen besonders hohen Anteil von waffenfähigem hochangereichertem Uran und Plutonium.

Doch wie schnell Atomwaffenichtverbreitung zur Atommüll-Odyssee werden kann, das zeigt der Weg, den die Ahauser Brennelemente hinter sich haben. Abgebrannt wurde der Kernbrennstoff im ehemaligen DDR-Forschungsreaktor in Rossendorf. Nach dessen Stillegung war er vor fünf Jahren quer durch die Bundesrepublik nach Ahaus geschickt worden. Und nun soll die Reise wieder zurück gen Osten gehen – 5000 Kilometer per Schiene und Schiff, mit diversen Verladungen.

Ob der begehrte Atombomben-Rohstoff in Majak sicherer lagert als in Ahaus? Majak sei als Lagerstätte geprüft und als geeignet befunden worden, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesumweltministerium. In welcher Form diese Prüfung stattgefunden hat, und wer sie durchgeführt hat, sagen die Sprecher nicht. Dennoch spricht einiges dafür, dass sie Recht haben – schon deshalb, weil es viel unsicherer als in der (vor Flugzeugabstürzen gänzlich ungeschützten) Ahauser Lagerhalle gar nicht geht. Und schließlich und endlich haben internationale Sicherheitsstandards ja längst auch in den viel geschmähten russischen Nuklearanlagen Einzug gehalten.

Hochgefährlich ist die kerntechnische Anlage Mayak dennoch, allein schon durch die riesige Menge an Strahlenmaterial höchster Risikokategorie, die hier auf etwa 30 Quadratkilometer Fläche lagert – in unmittelbarer Nähe zu den stark frequentierten Flughäfen der Ural-Metropolen Jekaterinburg und Tscheljabinsk. Zwar werden die genauen Volumina von der russischen Regierung geheim gehalten, aber Schätzungen gehen von etwa 70 Tonnen Plutonium und mehreren hundert Tonnen Uran aus. Nicht auszudenken, welche Folgen es hätte, wenn hier ein Passagierflugzeug abstürzen würde – sei es durch Pilotenfehler oder Terroranschlag. Gegen die Radioaktivität, die dabei frei werden könnte, wäre ein Atomkraftwerks-GAU ein Treppenwitz der Technikgeschichte.

Diese Gefahr ist auch in internationalen Fachkreisen erkannt. Die Amerikaner haben daher in Majak für 413 Millionen US-Dollar eine moderne Lagerstätte mit einer sieben Meter dicken Wand errichtet, die das Spaltmaterial aus abgerüsteten Atombomben vor Feuersbrünsten, Flugzeugabstürzen und Erdbeben schützen soll. Und die Bundesrepublik baut gerade für über 23 Millionen Euro eine Hochsicherheits-Zaunanlage. Klingt ja gut! Aber der Atommüll aus Ahaus stammt ja nicht aus abgerüsteten Nuklearsprengköpfen – und vermutlich wird er darum auch niemals in dem hoch gelobten amerikanischen Spaltmaterial-Lager landen. Denn in Majak gibt es jede Menge weiterer Lagerstätten, und die sind eher zweifelhafter Natur: Tanks, Lagerhallen, teilweise noch aus den 40-er Jahren, und der berüchtigte Karatschai-See, der als der radioaktivste Ort der Erde gilt.

Und noch etwas sollte jedem gewissenhaften deutschen Staatsbürger Sorgen machen: Die russische Regierung bietet ihr Land – genauer gesagt: Majak – weltweit als Endlagerstandort (genauer: unbegrenzten Zwischenlagerstandort) für internationalen Atommüll feil. Gegen massiven Widerstand der Bevölkerung hat der Kreml im Jahr 2002 ein Gesetz verabschiedet, in dem er Atommüllimporte aus aller Welt – gegen gutes Geld - explizit erlaubt. Zwar hat dieses zweifelhafte Angebot bislang noch kein Staat angenommen – aber Schlupflöcher wie das besagte RRRFR-Abkommen werden nicht nur von Deutschland umso lieber genutzt.

Am 3. November wird EU-Kommissar Günther Oettinger einen EU-Richtlinienvorschlag (der Entwurf liegt wendland-net vor: download-pdf) über Atommüll-Endlager vorstellen. Darin wird er voraussichtlich seine Position bekräftigen, dass eine Standortsuche für EU-Atommüll außerhalb der EU nicht zulässig ist. Wann immer diese Richtlinie in Kraft tritt – die 951 abgebrannten Brennstäbe aus Ahaus werden dann schon in Majak sein.

Ab dem 5. November wird der bekannte Anti-Atom-Aktivist Vladimir Sliviak der russischen Umweltorganisation Ecodefence im Wendland sein. Dieser ist ein kompetenter Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Atomprogramm der russischen Regierung, um Nuklearsicherheit und Atommüllentsorgung. (Video mit Vladimir Sliviak)

Die Autorin Andrea Rehmsmeier ist Dipl. Journalistin und schreibt Zeitungsreportagen und Radiofeatures u.a. für „Die Zeit“ und „Deutschlandfunk“. Sie interessiert sich für Auf- und Abrüstung, globalisierte Investoren oder organisierte Kriminelle. Sie reizt was inhaltlich komplex und rechercheintensiv ist. Dazu bereist sie vor allem Osteuropa.

Foto: Timo Vogt/randbild




2010-10-29 ; von Andrea Rehmsmeier (autor),

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