Die Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen“ beschäftigt sich künstlerisch mit den brennenden Fragen der Welt: Umweltzerstörung, Biopiraterie oder soziale Verwahrlosung sind nur einige Themen, die in der komplexen Ausstellung angesprochen werden und Ausblicke in eine nachhaltige Zukunft geben. Am Samstag wurde sie in Gartows Zehntspeicher eröffnet.
Schon vor dem Eintritt in den historischen Speicher empfangen den Besucher Klänge, die aus dem Himmel zu fallen scheinen und Aufmerksamkeit auf eigentlich Profanes lenken: Aus transparenten Kunststoffkugeln, gefüllt mit Plastikmüll erschallen altertümliche liturgische Gesänge, die an ferne Zeiten erinnern. Mit seiner Installation „Sonnengesänge“ schafft der Komponist Marc Lingk die Verbindung zwischen alter Kunst und moderner Technologie: die Texte der achtfach wiederholten Gesänge stammen von Franz von Assisi, der das Poem „Sonnengesang“ bereits 1224 als Hymne an die Sonne gedichtet hatte. Moderne Technik schlägt die Brücke in die Zukunft: Über im Innern angebrachte Solarzellen werden elektronische Langeinheiten erzeugt. Jede Kugel hat ihren eigenen Klang. Die Lautstärke verändert sich entsprechend dem Lichteinfall.
Nicht umsonst wählte Lingk Texte von Franz von Assisi, der sich von freiwillig gewählter Armut leiten ließ und später den Franziskanerorden gründete. Seine Berufungsgeschichte könnte wie ein Mahnspruch für die aktuellen Probleme der Menschheit gelten. „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät“, soll Christus ihm in einer Vision als Lebensaufgabe mitgegeben haben.
Das tiefgründige Naturverständnis dieses frühen Umweltpatrons zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung, die an vielen Stellen die Frage nach dem Umgang mit der Welt stellt. Religiöse oder mythische Fragen spielen dabei allerdings weniger eine Rolle - es sind die Pioniere der ökologischen Kunst wie Joseph Beuys oder Christo und Jeanne-Claude, die ihren jüngeren Nachfolgern als Vorbilder dienten.
Künstlerische Positionen zum Weltgeschehen
Dabei stellte Kuratorin Adrienne Goehler Kunstwerke aus verschiedenen Disziplinen zusammen. Da finden sich innovative Lösungen zur Wärmedämmung (Wände aus Kunststoffflaschen) ebenso wie philosophische Installationen, die für mehr Acht- und Aufmerksamkeit werben. Spielzeug und Wohnaccessoires aus recycletem Müll werden ebenso präsentiert wie provokative Installationen zum politischen Umgang mit dem Hunger.
Auf beeindruckende Weise erzählen die rund 60 Objekte und Installationen von Weltgeschehen, das oft nur im Verborgenen wahrnehmbar ist.
Da sind zum Beispiel die ultrapräzisen Zeichnungen von Cornelia Hesse-Honegger, die jahrelang mutierte Insekten (vor allem Wanzen) in der Umgebung von Atomkraftwerken zeichnete. Ihre erschütternde Erkenntnis: im Umkreis von fünf Kilometern finden sich weitaus mehr mutierte Insekten als in von Niedrigstrahlung unbelasteten Gegenden.
Im Mittelpunkt des Interesses des Fotografen Dionisio González steht die Architektur, mit der sich Arme und Ausgeschlossene Räume aneignen. Seine Fotos von Elendshütten in der nordvietnamesischen Halong-Bucht führen in eine utopische Welt, die 1994 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt wurde.
Fotografiert mit einer Lichtführung im Stil der Alten Meister erscheint die Elendssiedlung in fast überirdischer Schönheit. Durch gezielte Bildmanipulation bereinigt Gonzalez die Bilder von jeder Spur des Elends. So entsteht der Eindruck hygienischer, solider Konstruktionen. So würdigt der Fotograf die Kulturtechniken und Lebensformen, die unter widrigen Bedingungen entstanden sind.
Um Wahrnehmung geht es auch in der Skulptur „The Guide“ von Clement Price-Thomas, eine Skulptur, deren äußere Form wie ein Haufen Laub aussieht. Der Laubhaufen hebt und senkt sich mit dem weichen, rhythmischen Tempo eines ruhenden Atems – eine Illusion, die durch eine künstliche Atemmaschine verursacht wird: sie stört beim Betrachter den Sinn für das Gewöhnliche. So langsam und ruhig sind die Atembewegungen, dass sie den Betrachter wie magnetisch festhalten und tiefsinnige Überlegungen zu der Schönheit eines verrottenden Laubhaufens anregen.
Wem gehört die Welt?
Ein anderer großer Themenkomplex fragt nach den Eigentums- und Machtverhältnissen in einer Welt, in der Konzerne versuchen, selbst traditionelle Heilpflanzen wie den Neembaum (Indien) patentieren zu lassen.
Provokativ setzt Ines Doujak in ihrer Installation erotische Frauenkörper in Verbindung mit „Mutter Erde“, die beide skrupellos für die „äußere und innere Landnahme“ benutzt werden.
Die Fotografin Ursula Schulz-Dornburg gedenkt in ihrer Installation „Ewiger Weizen“ den unzähligen Weizenarten, die inzwischen verschwunden sind. Einige wenige der alten Weizenarten werden in nummerierten Kästen zur Schau gestellt. Hintergrund: In einem einzigen Jarhhundert wurde der Weizenanbau von über 60 000 Landrassen auf ein paar Dutzend Hochertragssorten reduziert.
Reste der verschwundenen Weinzenlandrassen lagern eingefroren und nummeriert in Samenbanken. „Jenseits seiner konkreten Bestimmung hat damit der Weizen als Verkörperung von Reichtum und Herrschaft im Geldzeichen und in der Computernummer seine höchste Abstraktion erreicht. Mit den Fotografien hat sie Ursula Schulz-Dornburg wieder zugänglich gemacht. So sind sie Erkennungszeichen auf dem Weg zu einer verschütteten Erinnerung an die vor dem Siegeszug der Monokulturen vorhandene Vorstellung von Mannigfaltikgiet und Fruchtbarkeit“, so Peter Kammerer im Katalog zur Ausstellung
Das Kunstprojekt "Adopted" von Gudrun F. Widlok beschäftigt sich mit den sozialen Veränderungen in der „zivilisierten“ Welt. "Adopted" dreht die Verhältnisse um: hier werden nicht „arme verwahrloste afrikanische Babies“ an wohlhabende Europäer oder Amerikaner zur Adoption vermittelt, sondern familiär bindungslosen, erwachsenen Europäern Pateneltern in Afrika vermittelt. An einem einfachen Holz-Schreibtisch mit vielen Fotos glücklicher (afrikanischer) Familien im Hintergrund können sich Adoptionswillige melden.
Auszug aus den Werbeplakaten für „Adopted“ : Maxwell (Ghanese): „In Europa habe ich gelernt, dass man, wenn man alt bist, in ein Heim zieht, wo alte Menschen leben und der Staat sich um sie kümmert – und wo sind die Kinder?“
Wendy(Ghanesin): „Wissen Sie, Ghanaer leben in ausgedehnten Familiensystemen, in denen die Eltern sich um dich kümmern, wenn Du sehr jung bist. Also wirst Du alles tun, ihnen zu helfen, wenn sie alt sind und ihre Angelegenheiten nicht mehr selber erledigen können. Aber ich weiß, dass das in Europa nicht der Fall ist. Dort gibt es mikroskopisch kleine Familien und sogar die Kinder ziehen aus, sobald sie 18 Jahre alt geworden sind und leben alleine. Es stellt sich die Frage, warum noch all diesen Kindern das Leben schenken, wenn sie sich im Alter nicht um Dich kümmern?“
Unmöglich, hier alle ausgestellten Werke und Objekte ausführlich zu beschreiben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Ausstellung wohl eine der komplexesten ist, die im Zehntspeicher je gezeigt wurden. Möglich wurde dies durch das schier grenzenlose Engagement von Fried von Bernstorff, der „Zur Nachahmung empfohlen“ unbedingt in Gartow sehen wollte.
Der Zehntspeicher hat keine Heizung, deswegen wird die Ausstellung nur noch in den nächsten Wochen am Wochenende geöffnet sein.
Fotos: Angelika Blank
Titelfoto: Dinisio González - Elendshütten in der nordvietnamesischen Halong-Bucht
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