Die Tumulte in der Notunterkunft Dannenberg vor einigen Tagen
haben nicht nur etwas mit der Kündigung eines Mitarbeiters zu tun. Die
Flüchtlinge beschweren sich vor allem über die unendlich lange Wartezeit bis zum Start des Antragsverfahrens.
Während der Bundestag stundenlang über die möglichst schnelle Integration von Flüchtlingen diskutiert, berichtet focus.de,
dass in Deutschland Ende November über 300 000 Flüchtlinge auf ihren
Termin zur Antragstellung warten. Die Diskussion auf Bundesebene über eine
Beschränkung des Familiennachzugs tut ihr Übriges, um die Nervösität
unter den Flüchtlingen zu steigern.
Für die rund 1700
Flüchtlinge in den Notunterkünften in Lüchow-Dannenberg hat diese
unklare Situation unter anderem zur Folge, dass sie weder eine Arbeit
aufnehmen, noch ihre Kinder zur Schule schicken können. Denn zur
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind nur diejenigen Flüchtlinge
berechtigt, deren Registrierung bei der Landesaufnahmebehörde (LAB) vor mehr als drei Monaten stattgefunden hat.
Für die Bewohner der Notunterkünfte gilt diese 3-Monats-Regelung nicht, sie müssen warten, bis sie einer Kommune zugewiesen worden sind. Somit besteht ihre Hauptbeschäftigung aus Warten - auf die Registrierung bei der LAB (ca. 2 Monate), auf die Zuweisung in eine Kommune (ab Registrierung ca. 3 bis 4 Monate) und auf den Start des Antragsverfahrens (ca. 7 - 8 Monate nach Registrierung). Das Antragsverfahren selber dauert dann nach Aussagen von Niedersächsischen Innenministers Pistorius derzeit rund 5 Monate. Insgesamt dauert es also mindestens 14 Monate, bis die Flüchtlinge eine Entscheidung über ihren Asylantrag in den Händen halten.
Während dieser langen Wartezeit kann Familiennachzug ebenfalls nicht beantragt werden. Vor allem dieser Aspekt löst bei den Flüchtlingen, die Mann, Kinder oder Eltern in den Krisengebieten zurücklassen mussten, besondere Verzweiflung aus. So mancher, dem diese langen Wartezeiten bewusst geworden sind, hat sich schon für eine Rückkehr ins Heimatland entschieden, um die Familie im Elend nicht alleine zu lassen.
Miriam Staudte: inhumane Planungen stoppen
Auch die regionale Landtagsabgeordnete Miriam
Staudte wurde kürzlich bei ihrem Besuch in der Notunterkunft Dannenberg mit der Not der Flüchtlinge konfrontiert. „Unter den Flüchtlingen herrscht eine
große Verzweiflung wegen des drohenden Stopps des Familiennachzugs," so Staudte. Laut der Landespolitikerin soll im
Rahmen des nächsten Asylpakets im Dezember über die Frage des
Familiennachzugs entschieden werden. Das Gesetz sei leider kein im Bundesrat zustimmungspflichtiges
Gesetz, erklärt die Landespolitikerin. „Es liegt in den Händen des
Bundestags diese inhumane Planung zu stoppen,“ erklärt Staudte in
Richtung der hiesigen Bundestagsabgeordneten.
Bislang ist es so,
dass anerkannte Asylsuchende ihre Familien legal über
einen sicheren Reiseweg zum Beispiel per Flugzeug nachholen können.
„Wenn wir das nicht beibehalten, werden sich auch diese noch
schutzbedürftigeren Menschen in die Hände von Schleppern begeben. Wir
können als Gesellschaft Familien doch besser integrieren
als traumatisierte Familienväter, die vor Sorge nicht schlafen können."
Die Puzzleteile des Antragsverfahrens
Da ist zum einen die Landesaufnahmebehörde: vor der eigentlichen Antragsstellung müssen sich die Flüchtlinge hier registrieren lassen, ihr Pass wird einbehalten und gegen Ersatzpapiere ausgetauscht. Die Eintragungen im Pass werden dann mit weiteren Unterlagen zum BAMF weitergeleitet. Mit Hilfe von ausländischen Kontaktpersonen (BND? BKA? Bundeswehr?) werden die Angaben des Flüchtlings überprüft. Beim Sozialamt an der Landesaufnahmestelle wird parallel zur Registrierung die Bedürftigkeit geprüft und gegebenenfalls ein sogenanntes "Taschengeld" ausgezahlt.
Angesichts des hohen Flüchtlingsaufkommens wurde die maximal mögliche Aufenthaltsdauer in der Aufnahmestelle von drei auf sechs Monate erhöht. Inzwischen hat die LAB ihre Kapazitäten erweitert und umstrukturiert, so dass die Behörde davon ausgeht, dass "bis Weihnachten" der Registrierungsstau behoben sein wird.
Als "Nadelöhr" wird immer wieder das BAMF genannt, bei dem der eigentliche Asylantrag gestellt werden muss. Bekannt ist, dass diese (Bundes)behörde mit einem äußerst knappen Personalschlüssel arbeitet. Doch auch die innere Struktur scheint die Effektivität nicht zu befördern. Wie Eingeweihte berichten, werden zwar neue Mitarbeiter eingestellt, die dann auch neue Verfahren einleiten. Die früher eingegangenen Anträge liegen aber oft auf Halde bei anderen Mitarbeitern. So entstehen extreme Ungleichheiten in der Bearbeitung der Verfahren.
Des weiteren sind die EDV-Systeme der verschiedenen Registrierungs- und Aufnahmestellen nicht aufeinander abgestimmt. So kann der Landkreis als Auszahlungsstelle für das Taschengeld nicht auf die Daten der LAB zugreifen und umgekehrt. Auch das EDV-System des BAMF ist nicht mit den anderen Netzwerken verknüpft. So sind viele Stellen dazu übergegangen, Daten auf Papier zu erfassen und sie an die jeweils andere Behörde weiterzuleiten. Ein erheblicher Zeitfaktor, da diese Daten dort wieder in die EDV eingegeben werden müssen.
Außerdem gibt es Aussagen, dass die BAMF-Außenstellen "Dienst nach Vorschrift" machen und keinerlei Sonderschichten einlegen. So mag sich erklären, dass die Bundesbehörde trotz 48 Außenstellen in allen Bundesländern und rund 4000 Mitarbeitern mit dem hohen Antragsaufkommen nicht zurecht kommt. Eine Anfrage von wnet beim BAMF nach den Gründen für die Verzögerungen in der Antragsannahme wurde bisher nicht beantwortet.
Immerhin gibt es für die Flüchtlinge in den Notunterkünften hierzulande eine gute Nachricht: demnächst wird in der Notunterkunft Dannenberg ein mobiles Team der Bundespolizei einziehen und dort für die Landesaufnahmebehörde die Registrierung durchführen. Genaueres war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erfahren.
Fotos / Gerhard Ziegler: Eindrücke aus der Notunterkunft in Dannenberg