Michael Seelig hat eine Vision...
Eines gleich vorweg: Es ist keine Revolution geplant, alles ist da bei der Kulturellen Landpartie – vielleicht fehlt nur die richtige Mischung, eine andere Gewichtung, ein verändertes Bewußtsein?
Kritik an möglichen Veränderungen der Landpartie wurde bereits hinreichend geäußert: „Alles ist gut so, wie es ist. Die Kulturelle Landpartie ist eine Kulturinitiative, keine Mettwurst. Das Bild würde verwässert, wir würden uns überfordern. Wer soll die Arbeit machen? Warum sollen von meiner Arbeit andere profitieren? Je mehr dazu kommen, desto kleiner wird mein Anteil vom großen Kuchen.“ Die Bedenkenträger haben sich formiert, Zukunftsangst bestimmt die Diskussion.
Sieht man die Kulturelle Landpartie heute mit Abstand an, ist sie zu einem großen Fest der Begegnung, einer Bühne für Künstler und Lebenskünstler und zu einem riesigen dezentralen Markt der Atomkraftgegner mit käuflichen Accessoires, Kunst und Kunsthandwerk geworden, geschmückt mit Veranstaltungen, organisiert zur eigenen Erbauung oder zum Gelderwerb – in weiten Bereichen ein grauer Markt, um nicht Schwarzmarkt zu sagen.
Eigentlich ist alles gut! Es gibt keine andere basisorientierte Kulturinitiative in der Bundesrepublik, die es überhaupt geschafft hätte, einen wesentlichen Beitrag zum Regionaleinkommen zu erwirtschaften. Darauf kann die Kulturelle Landpartie mit Recht sehr stolz sein.
Ich denke jedoch, es müßte mehr möglich sein – für die beteiligten Akteure und die ganze Region, an Zuspruch, Anerkennung und Umsatz – nicht nur für die Kunstschaffenden selbst, auch für andere, die sich als Gorlebengegner im Naturschutz, in der ökologischen Landwirtschaft, bei „Region aktiv“ der Bio-Energie oder im sozialen Feld engagieren, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der Pfingstmarkt war natürlich ein Markt!
…und eine Demonstration
Viele Menschen wissen es noch nicht oder wollen nicht mehr wissen, daß der Pfingstmarkt Kukate seit 1985 als Markt für Kunst und hochwertiges Kunsthandwerk der Vorläufer und Tür-öffner für die Kulturelle Landpartie war. Die Initiatoren hatten das klare Ziel, einen Beitrag zum Leben und Überleben in der Provinz zu leisten, ein potentes Publikum zu akquirieren und gleichzeitig zu zeigen: „Kommt her, schaut uns an, wir sind die Chaoten!“ Die Erfolge sind nicht ausgeblieben, wenn es auch damals vier Jahre dauerte, bis die üblichen Verdächtigen sich zur Landpartie zusammenfanden.
Die alten „Wunde.r.punkte“ von 1990 bis 1993 hatten zum erklärten Ziel, alle die aus dem Widerstand heraus entstandenen Initiativen sichtbar zu machen. Mit dabei waren die ökologische Landwirtschaft, der Naturschutz, das ökologische Bauen und Wohnen, der umwelt- und sozialverträgliche Tourismus, die freie Akademie Sammatz und die Heimvolkshochschule Göhrde mit ihren Bildungsprogrammen, ein Welt-Beat-Festival, die Bürgerinitiative Umweltschutz mit einem Sommercamp. Auch Künstler und Kunsthandwerker haben ihre Ateliers geöffnet, eigene Arbeiten und ihr Lebenskonzept gezeigt. Erst in der Folge wurde Zukunftssicherung für die hiesigen Kunstschaffenden bedeutsam.
Die ursprüngliche Idee war, all jene Kräfte, die sich für die „Modellregion Wendland“ engagierten und den „Traum von einer Sache“ träumten, in wunderbaren Punkten und den wunden Gorlebenpunkten zu einer Landpartie zusammenzuschließen – einer Veranstaltung, die vorzeigbare Alternativen in einer Welt ohne Atom-energie lebendig werden ließ.
1994 wurden die alten Wunde.r.punkte offiziell mit einem rauschenden Fest für die Initiatoren beendet. Man wollte keinen Etikettenschwindel betreiben und unter dem Deckmantel lebendigen Atomwiderstandes Kunst- und Kunsthandwerk verkaufen – eine Frage der Aufrichtigkeit der damaligen Organisatoren.
Aber nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg selbst, denn als „Kulturelle Landpartie“ wurde die Veranstaltung ab 1994 zum Erfolgsmodell und mehr und mehr zu einem ernsthaften Wirtschaftsfaktor. Sie wurde zum Besuchermagne-ten, auch für Kunstschaffende von außerhalb und zum Vorbild für zahlreiche ähnliche Veranstaltungen überall in der Republik.
Was macht die Landpartie für Akteure und Besucher gleichermaßen interessant?
Viele Ausstellende wiegen sich in dem Glauben, es sei die Einzigartigkeit ihrer Kunst, das besondere Schmuckstück, die pfiffige Idee für ein Gartenobjekt oder die bestechende Farbigkeit eines Filzhutes. Alles sicherlich nicht unwichtig. Aber das Entscheidende für alle ist die soziale Interaktion der Menschen, die Netzwerke, die gewachsenen Freundschaften, die aktive Streitkultur, durch die eine einzigartige Sozialplastik entstanden ist, die alle Lebensbereiche zu umspannen scheint. So wird es jedenfalls von außen oft bewundernd wahrgenommen. Diesen Schatz des sozialen Netzwerks zu pflegen und zu mehren, wird die Aufgabe der Aktiven der zukünftigen Kulturellen Landpartie sein.
Wachstum wohin?
Wenn es um die Zukunft geht, wünsche ich mir für die Landpartie kein Wachstum an weiteren Punkten oder Orten, sondern eher eine Kon-zentration. Wenn etwas wachsen sollte, dann die Vielfältigkeit der vorzeigbaren Aktivitäten und die Qualität des Angebotes.
In den Ansätzen ist alles vorhanden, nichts muß neu erfunden werden. Nur müßten diese Ansätze durch das Herausheben guter Beispiele deutlicher werden. Spezialisierung und Indi-vidualisierung einzelner Dörfer wären ein möglicher Weg. Vielen Orten fehlt noch die Prägnanz, die Einzigartigkeit. Vielfach ist das Bestreben nach einem „Vollsortiment“ von Kunst und Kunsthandwerk auszumachen, um so den eigenen Punkt attraktiver zu gestalten. Und gerade diese Entwicklung zu „Märkten“ wird nicht gewollt, und doch geschieht sie unausweichlich.
Zurück zu den Wurzeln!
Ein Erfolgsfaktor der Landpartie ist der private Raum, in den Besucher eindringen dürfen. Es ist die natürliche Neugier auf die Fragen: „Wie leben diese Menschen hier? Wie lebt sich ein ökobewußtes Leben? Wie sieht es in der Küche aus, wie im Schlafzimmer?“ Es ist die Lebensqualität, die begeistert, der Platz, das Ambiente der alten Häuser, die Ruhe, der wilde Garten, die Gelassenheit und freundliche Offenheit, die Beharrlichkeit im Widerstand, die sozialen Kooperationen und Interaktionen. Alles Dinge, von denen viele Menschen träumen, sie zu besitzen oder daran teilhaben zu dürfen.
Und so entstehen Kaufentscheidungen. Meist ist es nicht die besondere Qualität der angebotenen Objekte, erworben wird ein Stück Lebensqualität des Ortes und der Kunstschaffenden in ihrer ländlichen Idylle.
Die Zukunft der Landpartie liegt demnach nicht im Anbieten von immer mehr selbst erzeugten Waren, sondern im Mehr an der Teilhabe an den Lebenszusammenhängen, der Arbeit, den Ideen, Teilhabe an der sozialen Struktur, an den Projekten, durch die der eigene Lebensraum nachhaltig gestaltet wird. Da sind nicht nur die Kunstschaffenden gefragt, sondern alle Menschen, die sich aktiv an der Entwicklung unserer Heimat, in einer Welt ohne Atomkraft engagieren.
Das ist die alte Idee der „Wunde.r.punkte“.
Nachhaltiges Alltagshandeln – Maxime aller Wunderpunkte?
Ich wünsche mir eine bunte und vielfältige Kulturelle Landpartie, die unterschiedliche kreative Potentiale der Modellregion Wendland sichtbar macht und über den heutigen eindeutigen Schwerpunkt von Kunst und marktgängigem Kunsthandwerk hinaus weitere Bereiche des Lebens für die Ausstellungen aktiv akquiriert.
Dreh- und Angelpunkte dazu sind die aktiven Menschen in den einzelnen Dörfern. Welche Ideen entwickeln diese für ein dorfeigenes Gesamtkonzept, wie gelingt es im Dorf, zu kooperieren und den Gedanken der Nachhaltigkeit zum inneren Anliegen für alle Beteiligten zu machen, im konkreten Alltag umweltbewußt zu leben und genau das zu vermitteln.
Die Plausibilität eines integrativen Gesamtkonzeptes, die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit aller Beteiligten, die regionale Verankerung und die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe sollten die zukünftigen Auswahlkriterien für die Teilnahme an der Kulturellen Landpartie werden. Ziel wäre es, alle jene Aktivitäten zu akquirieren, die man sich innerhalb der Landpartie wünscht.
Gute Beispiele voran!
Kröte ist ein Ort für die Kunst. Hier gründeten die Dörfler den KVAK e.V. zur Organisation von Veranstaltungen, die heute über die Landpartie hinausreichen. Vorzeigeobjekt ist auch das Energiedorf Breese in der Marsch. Hier ist es das Nahwärmenetz einer Biogasanlage, das die Menschen zu gemeinschaftlichem Handeln zusammenführte. Derartige Clusterbildungen machen die Dörfer unverwechselbar, die Besucher finden, was sie suchen, sie sind zufrieden und fühlen sich am Ort wohl. Sie bleiben lange, sie kommen wieder und sind kauffreudig. Um diese Situation zu erreichen, sind Vorleistungen, Kooperationen und Investitionen nötig. Hier zeigt sich, wo Überschüsse der Landpartie zu investieren wären.
Ein Beispiel: Prießeck
Beispielhaft sollen hier die schlummernden Möglichkeiten zur Darstellung der „Modellregion Wendland“ aufgezeigt werden.
Da ist die „Galerie für zeitgenössische Kunst“, die im Rundling moderne Malerei und Plastik präsentiert. Dann der Punkt mit anspruchsvollem Kunsthandwerk in exotischem Gartenambiente. Es gibt dort einen Vollerwerbs-Biohof mit einem kleinen Hofladen. Allen ist die „Kommune Nr. 1 in Prießeck“ in der ehemaligen Gaststätte bekannt. Die UWG/Gruppe X, als die kommunale Kraft des Gorlebenwider-standes ist durch einen Kreistagsabgeordneten repräsentiert. Eine neue Gruppe baut gerade ihr Lebenskonzept dort auf. Die interaktive Dorfgemeinschaft betreibt gemeinschaftlich eine Bio-Kläranlage. Alle Beteiligten hätten Raum für Aktion und Präsentation ihrer individuellen An-liegen oder ihrer gemeinschaftlichen Aktivitäten. Dazu kommt der Vorteil eines großen Parkplatzes vor dem Dorf. Und dann leben in Prießeck die Matadore einer jungen Musikszene! Ist das nicht eine wirklich interessante Mischung dar-stellungswürdiger Lebensbezüge? Ist das nicht die lebendige „Freie Republik Wendland“ in Miniatur? Und wie in Prießeck wäre eine Entwicklung auch in anderen Dörfern denkbar, eine Entwicklung, die viele Menschen einbezieht, die Spaß macht und für alle Beteiligten Gewinne auf den unterschiedlichsten Ebenen hervorzaubert.
Zwölf Tage Kulturelle Landpartie – und der Rest des Jahres?
Die Vorbereitung und Durchführung des Events Landpartie verlangt den Machern einiges ab. Die Arbeit grenzt an Selbstausbeutung bis zur Erschöpfung. Das ist das Pfand einer basisdemokratischen Organisation, bei der in zahllosen Endlosschleifen getagt wird. Die Organisation schreit gerade nach Qualitätssteigerung und Professionalisierung.
Kosten und Kräfte würden so für kreative Prozesse freigesetzt, die über die zwölf Tage Landpartie hinauswirken könnten. Zum Beispiel durch die Organisation weiterer Landschaftskunstaktionen zu einem gemeinsamen Thema. Verbunden mit einem „Suchspiel“, wie es bei der Kunstaktion „Irritationen am Wegesrand“ 1991 erfolgreich praktiziert wurde, könnte das Wendland so einen ganzen Sommer lang in einen einzigen großen Skulpturenpark verwandelt werden.
Auch der Gedanke „Galerie auf Zeit“ ist nicht neu. Leerstehende Geschäfte in Hitzacker etwa wären der rechte Ort, um über die Landpartie hinaus für die Bildende Kunst neue Präsentationsmöglichkeiten zu schaffen.
Geht es um regionale Wertschöpfungsketten, um Kooperationen und Synergien mit anderen regionalen Netzwerken, um regionale Wirt-schaftskreisläufe, um Einsparungen an Kraft und Ressourcen, ist die Kunst- und Kulturszene der Region noch ganz am Anfang, aber auf einem guten Weg!
Themenseite Kulturelle Landpartie hier!
Foto: Timo Vogt/randbild.de
Zukunft
Kulturelle Landpartie – Motor der „Modellregion Wendland“?
Michael Seelig hat eine Vision
Eines gleich vorweg: Es ist keine Revolution geplant, alles ist da bei der Kulturellen Landpartie – vielleicht fehlt nur die richtige Mischung, eine andere Gewichtung, ein verändertes Bewußtsein?
Kritik an möglichen Veränderungen der Landpartie wurde bereits hinreichend geäußert: „Alles ist gut so, wie es ist. Die Kulturelle Landpartie ist eine Kulturinitiative, keine Mettwurst. Das Bild würde verwässert, wir würden uns überfordern. Wer soll die Arbeit machen? Warum sollen von meiner Arbeit andere profitieren? Je mehr dazu kommen, desto kleiner wird mein Anteil vom großen Kuchen.“ Die Bedenkenträger haben sich formiert, Zukunftsangst bestimmt die Diskussion.
Sieht man die Kulturelle Landpartie heute mit Abstand an, ist sie zu einem großen Fest der Begegnung, einer Bühne für Künstler und Lebenskünstler und zu einem riesigen dezentralen Markt der Atomkraftgegner mit käuflichen Accessoires, Kunst und Kunsthandwerk geworden, geschmückt mit Veranstaltungen, organisiert zur eigenen Erbauung oder zum Gelderwerb – in weiten Bereichen ein grauer Markt, um nicht Schwarzmarkt zu sagen.
Eigentlich ist alles gut! Es gibt keine andere basisorientierte Kulturinitiative in der Bundesrepublik, die es überhaupt geschafft hätte, einen wesentlichen Beitrag zum Regionaleinkommen zu erwirtschaften. Darauf kann die Kulturelle Landpartie mit Recht sehr stolz sein.
Ich denke jedoch, es müßte mehr möglich sein – für die beteiligten Akteure und die ganze Region, an Zuspruch, Anerkennung und Umsatz – nicht nur für die Kunstschaffenden selbst, auch für andere, die sich als Gorlebengegner im Naturschutz, in der ökologischen Landwirtschaft, bei „Region aktiv“ der Bio-Energie oder im sozialen Feld engagieren, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der Pfingstmarkt war natürlich ein Markt!
…und eine Demonstration
Viele Menschen wissen es noch nicht oder wollen nicht mehr wissen, daß der Pfingstmarkt Kukate seit 1985 als Markt für Kunst und hochwertiges Kunsthandwerk der Vorläufer und Tür-öffner für die Kulturelle Landpartie war. Die Initiatoren hatten das klare Ziel, einen Beitrag zum Leben und Überleben in der Provinz zu leisten, ein potentes Publikum zu akquirieren und gleichzeitig zu zeigen: „Kommt her, schaut uns an, wir sind die Chaoten!“ Die Erfolge sind nicht ausgeblieben, wenn es auch damals vier Jahre dauerte, bis die üblichen Verdächtigen sich zur Landpartie zusammenfanden.
Die alten „Wunde.r.punkte“ von 1990 bis 1993 hatten zum erklärten Ziel, alle die aus dem Widerstand heraus entstandenen Initiativen sichtbar zu machen. Mit dabei waren die ökologische Landwirtschaft, der Naturschutz, das ökologische Bauen und Wohnen, der umwelt- und sozialverträgliche Tourismus, die freie Akademie Sammatz und die Heimvolkshochschule Göhrde mit ihren Bildungsprogrammen, ein Welt-Beat-Festival, die Bürgerinitiative Umweltschutz mit einem Sommercamp. Auch Künstler und Kunsthandwerker haben ihre Ateliers geöffnet, eigene Arbeiten und ihr Lebenskonzept gezeigt. Erst in der Folge wurde Zukunftssicherung für die hiesigen Kunstschaffenden bedeutsam.
Die ursprüngliche Idee war, all jene Kräfte, die sich für die „Modellregion Wendland“ engagierten und den „Traum von einer Sache“ träumten, in wunderbaren Punkten und den wunden Gorlebenpunkten zu einer Landpartie zusammenzuschließen – einer Veranstaltung, die vorzeigbare Alternativen in einer Welt ohne Atom-energie lebendig werden ließ.
1994 wurden die alten Wunde.r.punkte offiziell mit einem rauschenden Fest für die Initiatoren beendet. Man wollte keinen Etikettenschwindel betreiben und unter dem Deckmantel lebendigen Atomwiderstandes Kunst- und Kunsthandwerk verkaufen – eine Frage der Aufrichtigkeit der damaligen Organisatoren.
Aber nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg selbst, denn als „Kulturelle Landpartie“ wurde die Veranstaltung ab 1994 zum Erfolgsmodell und mehr und mehr zu einem ernsthaften Wirtschaftsfaktor. Sie wurde zum Besuchermagne-ten, auch für Kunstschaffende von außerhalb und zum Vorbild für zahlreiche ähnliche Veranstaltungen überall in der Republik.
Was macht die Landpartie für Akteure und Besucher gleichermaßen interessant?
Viele Ausstellende wiegen sich in dem Glauben, es sei die Einzigartigkeit ihrer Kunst, das besondere Schmuckstück, die pfiffige Idee für ein Gartenobjekt oder die bestechende Farbigkeit eines Filzhutes. Alles sicherlich nicht unwichtig. Aber das Entscheidende für alle ist die soziale Interaktion der Menschen, die Netzwerke, die gewachsenen Freundschaften, die aktive Streitkultur, durch die eine einzigartige Sozialplastik entstanden ist, die alle Lebensbereiche zu umspannen scheint. So wird es jedenfalls von außen oft bewundernd wahrgenommen. Diesen Schatz des sozialen Netzwerks zu pflegen und zu mehren, wird die Aufgabe der Aktiven der zukünftigen Kulturellen Landpartie sein.
Wachstum wohin?
Wenn es um die Zukunft geht, wünsche ich mir für die Landpartie kein Wachstum an weiteren Punkten oder Orten, sondern eher eine Kon-zentration. Wenn etwas wachsen sollte, dann die Vielfältigkeit der vorzeigbaren Aktivitäten und die Qualität des Angebotes.
In den Ansätzen ist alles vorhanden, nichts muß neu erfunden werden. Nur müßten diese Ansätze durch das Herausheben guter Beispiele deutlicher werden. Spezialisierung und Indi-vidualisierung einzelner Dörfer wären ein möglicher Weg. Vielen Orten fehlt noch die Prägnanz, die Einzigartigkeit. Vielfach ist das Bestreben nach einem „Vollsortiment“ von Kunst und Kunsthandwerk auszumachen, um so den eigenen Punkt attraktiver zu gestalten. Und gerade diese Entwicklung zu „Märkten“ wird nicht gewollt, und doch geschieht sie unausweichlich.
Zurück zu den Wurzeln!
Ein Erfolgsfaktor der Landpartie ist der private Raum, in den Besucher eindringen dürfen. Es ist die natürliche Neugier auf die Fragen: „Wie leben diese Menschen hier? Wie lebt sich ein ökobewußtes Leben? Wie sieht es in der Küche aus, wie im Schlafzimmer?“ Es ist die Lebensqualität, die begeistert, der Platz, das Ambiente der alten Häuser, die Ruhe, der wilde Garten, die Gelassenheit und freundliche Offenheit, die Beharrlichkeit im Widerstand, die sozialen Kooperationen und Interaktionen. Alles Dinge, von denen viele Menschen träumen, sie zu besitzen oder daran teilhaben zu dürfen.
Und so entstehen Kaufentscheidungen. Meist ist es nicht die besondere Qualität der angebotenen Objekte, erworben wird ein Stück Lebensqualität des Ortes und der Kunstschaffenden in ihrer ländlichen Idylle.
Die Zukunft der Landpartie liegt demnach nicht im Anbieten von immer mehr selbst erzeugten Waren, sondern im Mehr an der Teilhabe an den Lebenszusammenhängen, der Arbeit, den Ideen, Teilhabe an der sozialen Struktur, an den Projekten, durch die der eigene Lebensraum nachhaltig gestaltet wird. Da sind nicht nur die Kunstschaffenden gefragt, sondern alle Menschen, die sich aktiv an der Entwicklung unserer Heimat, in einer Welt ohne Atomkraft engagieren.
Das ist die alte Idee der „Wunde.r.punkte“.
Nachhaltiges Alltagshandeln –
Maxime aller Wunderpunkte?
Ich wünsche mir eine bunte und vielfältige Kulturelle Landpartie, die unterschiedliche kreative Potentiale der Modellregion Wendland sichtbar macht und über den heutigen eindeutigen Schwerpunkt von Kunst und marktgängigem Kunsthandwerk hinaus weitere Bereiche des Lebens für die Ausstellungen aktiv akquiriert.
Dreh- und Angelpunkte dazu sind die aktiven Menschen in den einzelnen Dörfern. Welche Ideen entwickeln diese für ein dorfeigenes Gesamtkonzept, wie gelingt es im Dorf, zu kooperieren und den Gedanken der Nachhaltigkeit zum inneren Anliegen für alle Beteiligten zu machen, im konkreten Alltag umweltbewußt zu leben und genau das zu vermitteln.
Die Plausibilität eines integrativen Gesamtkonzeptes, die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit aller Beteiligten, die regionale Verankerung und die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe sollten die zukünftigen Auswahlkriterien für die Teilnahme an der Kulturellen Landpartie werden. Ziel wäre es, alle jene Aktivitäten zu akquirieren, die man sich innerhalb der Landpartie wünscht.
Gute Beispiele voran!
Kröte ist ein Ort für die Kunst. Hier gründeten die Dörfler den KVAK e.V. zur Organisation von Veranstaltungen, die heute über die Landpartie hinausreichen. Vorzeigeobjekt ist auch das Energiedorf Breese in der Marsch. Hier ist es das Nahwärmenetz einer Biogasanlage, das die Menschen zu gemeinschaftlichem Handeln zusammenführte. Derartige Clusterbildungen machen die Dörfer unverwechselbar, die Besucher finden, was sie suchen, sie sind zufrieden und fühlen sich am Ort wohl. Sie bleiben lange, sie kommen wieder und sind kauffreudig. Um diese Situation zu erreichen, sind Vorleistungen, Kooperationen und Investitionen nötig. Hier zeigt sich, wo Überschüsse der Landpartie zu investieren wären.
Ein Beispiel: Prießeck
Beispielhaft sollen hier die schlummernden Möglichkeiten zur Darstellung der „Modellregion Wendland“ aufgezeigt werden.
Da ist die „Galerie für zeitgenössische Kunst“, die im Rundling moderne Malerei und Plastik präsentiert. Dann der Punkt mit anspruchsvollem Kunsthandwerk in exotischem Gartenambiente. Es gibt dort einen Vollerwerbs-Biohof mit einem kleinen Hofladen. Allen ist die „Kommune Nr. 1 in Prießeck“ in der ehemaligen Gaststätte bekannt. Die UWG/Gruppe X, als die kommunale Kraft des Gorlebenwider-standes ist durch einen Kreistagsabgeordneten repräsentiert. Eine neue Gruppe baut gerade ihr Lebenskonzept dort auf. Die interaktive Dorfgemeinschaft betreibt gemeinschaftlich eine Bio-Kläranlage. Alle Beteiligten hätten Raum für Aktion und Präsentation ihrer individuellen An-liegen oder ihrer gemeinschaftlichen Aktivitäten. Dazu kommt der Vorteil eines großen Parkplatzes vor dem Dorf. Und dann leben in Prießeck die Matadore einer jungen Musikszene! Ist das nicht eine wirklich interessante Mischung dar-stellungswürdiger Lebensbezüge? Ist das nicht die lebendige „Freie Republik Wendland“ in Miniatur? Und wie in Prießeck wäre eine Entwicklung auch in anderen Dörfern denkbar, eine Entwicklung, die viele Menschen einbezieht, die Spaß macht und für alle Beteiligten Gewinne auf den unterschiedlichsten Ebenen hervorzaubert.
Zwölf Tage Kulturelle Landpartie –
und der Rest des Jahres?
Die Vorbereitung und Durchführung des Events Landpartie verlangt den Machern einiges ab. Die Arbeit grenzt an Selbstausbeutung bis zur Erschöpfung. Das ist das Pfand einer basisdemokratischen Organisation, bei der in zahllosen Endlosschleifen getagt wird. Die Organisation schreit gerade nach Qualitätssteigerung und Professionalisierung.
Kosten und Kräfte würden so für kreative Prozesse freigesetzt, die über die zwölf Tage Landpartie hinauswirken könnten. Zum Beispiel durch die Organisation weiterer Landschaftskunstaktionen zu einem gemeinsamen Thema. Verbunden mit einem „Suchspiel“, wie es bei der Kunstaktion „Irritationen am Wegesrand“ 1991 erfolgreich praktiziert wurde, könnte das Wendland so einen ganzen Sommer lang in einen einzigen großen Skulpturenpark verwandelt werden.
Auch der Gedanke „Galerie auf Zeit“ ist nicht neu. Leerstehende Geschäfte in Hitzacker etwa wären der rechte Ort, um über die Landpartie hinaus für die Bildende Kunst neue Präsentationsmöglichkeiten zu schaffen.
Geht es um regionale Wertschöpfungsketten, um Kooperationen und Synergien mit anderen regionalen Netzwerken, um regionale Wirt-schaftskreisläufe, um Einsparungen an Kraft und Ressourcen, ist die Kunst- und Kulturszene der Region noch ganz am Anfang, aber auf einem guten Weg!