Was wissen Sie eigentlich über die Taliban? Ich selbst weiß nicht sehr viel – mal abgesehen davon, was mir hiesige Presse und US-amerikanische Veröffentlichungen täglich servieren. Da ist nicht die Spur eines Krümels dabei, die mir die Taliban auch nur ein klein wenig sympathisch machen könnte. In Afghanistan dagegen werden offenbar nicht so viel deutsche, europäische und US-amerikanische Veröffentlichungen konsumiert, denn dort gibt es viele, die es ganz anders sehen und die Taliban unterstützen. Die anderen in Afghanistan wollen die Ta-liban dagegen nicht. Und diese Gruppen bekämpfen einander.
Normalerweise nennt man so etwas dann „Bürgerkrieg“.
Nun sind die Afghanen aber nicht unter sich. Obwohl dieses Land eigentlich vor allem aus Stein und Staub besteht (nur rund zehn Prozent seiner Fläche ist landwirtschaftlich nutzbar), kümmern sich seit Menschengedenken andere Staaten intensiv um Afghanistan – mal die Perser, mal die Russen, mal die Pakistani, mal die Briten, mal die Sowjets, mal die US-Amerikaner, mal die Europäer.
Das nennt man üblicherweise „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“, „Intervention“, „Überfall“ oder „Besetzung“.
Einige der Interventionsmächte haben dort übrigens ihr „Vietnam“ erlebt: erst die Briten und dann, noch ein ganzes Stück deutlicher und noch gar nicht so lange her, die glorreiche Sowjetunion (die Nierderlage inAfghanistan war der Anfang ihres Endes). Das war übrigens zu der Zeit, als die USA noch massiv die Taliban unterstützt haben (vielleicht hätte man da mehr lesen sollen, um etwas Gutes über die Taliban zu erfahren).
Derzeit mischt sich gleich ein ganzer Haufen von Staaten in Afghanistan ein. Was sie vereint: Sie alle sind gegen das Böse, also die Taliban. Wobei: Die wenigsten sind das aus eigenem Antrieb, sondern auf Druck der USA – im Zuge des „Kampfes gegen den Terror“.
Zu diesen Staaten gehört die Bundesrepublik Deutschland. Und die hatte natürlich ein eigenes und – für einen deutschen Staat selbstverständlich – vorbildliches Konzept. Das hieß „Wiederaufbau“.
Zum Wohle der durch die bösen Taliban geschundenen Bevölkerung sollte unsere gute, alte Bundeswehr dort Brunnen, Straßen und Schulen bauen, also quasi die berühmten „blühenden Landschaften“ nach Afghanistan exportieren, anders ausgedrückt: „Frieden schaffen mit ganz viel Waffen“. Und die waren bitter nötig, denn gleichzeitig mußten natürlich auch die Taliban bekämpft werden, weil die, weil böse, nicht wollten, daß die Bundeswehr dort Brunnen, Straßen und Schulen bauen wollte.
Aber das Ganze heißt trotzdem nicht „Krieg“ oder „Kampfeinsatz“ – jedenfalls nicht bei unseren Politikern von CDU, CSU, SPD, Grünen und FDP. Um was es sich tatsächlich handelt, erklärte dem staunenden Volk am eindrucksvollsten ein Herr Struck aus Uelzen: „Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt.“ Die Bundeswehr, das sind also eigentlich lupenreine „Freiheitskämpfer“.
Wenn eine bewaffnete Gruppe gegen eine in jeder Hinsicht militärisch überlegene Macht kämpft, heißt das heute „asymmetrische Auseinandersetzung“. Wenn diese Gruppe dabei die Unterstützung eines Teils der Bevölkerung hat, hieß das früher (und eigentlich auch heute) „Partisanen-“ oder „Guerilla-Krieg“. Das bedeutet: Je weniger Chancen man im offenen Kampf hat, desto mehr wird verdeckt gekämpft, in Hinterhalte gelockt, überfallen, hintenrum gebombt. Die davon Betroffenen nennen das „Terror“. Eigentlich dürfte es aber nur dann „Terror“ heißen, wenn dabei unbeteiligte Personen geschädigt, verwundet oder getötet werden. Wobei: Gehört man selbst zur Gruppe der Täter, dann ist auch dies wiederum kein „Terror“, sondern bloß „Kollateralschaden“, also menschliche Späne, die beim Hobeln nun mal nicht zu verhindern sind.
Wenn also die Bundesrepublik Deutschland glaubt, die Freiheit der Deutschen am Hindukusch verteidigen zu müssen, dann sollte die jeweils verantwortliche Regierung sich wenigstens darüber klar sein, daß sich in eine „asymmetrische Auseinandersetzung“ einzulassen bedeutet: Es wird Tote und Verletzte auf allen Seiten – besonders aber in der Zivilbevölkerung – geben. Und es sollte auch klar sein, wofür diese Opfer gebracht werden – mal abgesehen davon, daß das alles Unmengen Geldes kostet, und auch deutsche Schulen und Straßen manches an „Wiederaufbau“ gebrauchen könnten.
Ich glaube, daß wir in diesem weitgehend unfruchtbaren Gebirgsland allerhöchstens die Bundeswehr verloren haben. Und die sollten wir zurückholen. Humanitäre Hilfe gibt es überall genug zu leisten. Mit dem Argument, daß die Taliban undemokratisch, anders, unterdrückend und gewalttätig gegen die eigene Bevölkerung seien, könnten wir unsere oliv gekleideten Friedensengel auch in China, Rußland, Sri Lanka, Israel, Palästina, halb Afrika und vielleicht auch in die USA einmarschieren lassen, um einen „humanitären militärischen Einsatz“ zu starten. Das hätte sogar Tradition, denn an unserem Wesen sollte schon des öfteren die Welt genesen.
Warum also nur die Afghanen? Vielleicht, weil wir glauben: Wenn wir „nur“ Afghanen töten (lassen), hat das (so schön weit weg) für uns keine Folgen. In Wahrheit streuen wir hier nur den Dünger für weiteren internationalen Terrorismus. Denn, genau genommen, wäre es doch nur legitim, wenn sich „der Taliban“ fragte: wenn die Deutschen in Afghanistan bomben, warum sollten wir das nicht auch umgekehrt in Deutschland tun?
Oder haben Deutsche, Europäer und US-Amerikaner das Monopol auf „Rettung der Welt“? Dann sollten wir endlich Bruce Willis zum Papst wählen – selbstverständlich erst, nachdem Ratzel das Zeitliche gesägt hat. Oder irre ich mich völlig, und die Taliban haben tatsächlich angefangen und zuerst bei uns getötet (vielleicht bei dem Versuch, die hier kaum vorhandenen Koranschulen zu errichten)?
Die eigentlich entscheidende Frage ist: Wann je ist aus Gewalt Frieden entstanden? Wo und wann ist je dauerhaft ein Partisanenkrieg von der ausländischen Macht gewonnen worden? Im übrigen gilt es, nicht Kriege – egal, unter welch kosmetisierter Sprache sie gerade geführt werden – zu gewinnen, sondern den Frieden.
Apropos: In letzter Zeit eigentlich mal wieder was von der UNO gehört?