Mindestens im Südkreis zwischen Clenze und Lüchow ist ab Donnerstag für zehn Tage die Ruhe mal wieder dahin: Auto- und Fahrradkarawanen werden sich wieder über die Straßen des Wendlands schieben, Fahnen im Wind wehen ... und an fast 80 Orten dominiert ein Schriftzug die Verkehrslenkung: "Kulturelle Landpartie" ....
1989 waren es gerade mal eine Handvoll Kunsthandwerker und KünstlerInnen, die der Welt zeigen wollten, wie das „unappetitliche Pack“ der Atomkraftgegner in seinem Alltag tatsächlich lebt. Heute sind es hunderte Aussteller, die mit dem Wendland oft nur noch am Rande zu tun haben. Doch der Erfolg der „Kulturellen Landpartie“ ist ungebrochen ...
Was ist es bloß, was seit über 20 Jahren jedes Jahr zu Christi Himmelfahrt Zehntausende Besucher in den Landkreis zieht? „Die Gäste lieben die Atmosphäre“, ist von langjährigen Ausstellern zu hören, „sie lieben die Mischung aus Dilettantismus und hochklassiger Kunst, sie mögen die Menschen,mit denen man schnell ins Gespräch kommt und die Möglichkeit, einmal ganz ungezwungen in private Lebensräume hineinzuschnuppern.“ Ganz am Schluss kommt dann noch etwas zögerlich „und sie bewundern die jahrzehntelange Energie, poetisch und kreativ gegen die Atomanlagen zu kämpfen“.
Letzteres Sympathieargument ist allerdings nur selten zu hören. Meistens ist es tatsächlich die Verbindung von Landschaft, Kultur und persönlichen Begegnungen, die die Gäste nach wie vor in Massen in den Landkreis strömen lässt. Dieses Jahr sind selbst im Ostkreis fast alle Zimmer ausgebucht.
Da interessiert es nicht wirklich, dass die Organisation der Kulturellen Landpartie eher den Gesetzen der Chaostheorie folgt als einer konsequenten, inhaltlich ausgerichteten Gesamtplanung, die mit ausgefeilten Kriterien arbeitet. Da passiert es eben, dass eine interessante Ausstellung deswegen nicht aufgenommen wird, weil sie von „der Kirche“ organisiert wird. Im nächsten Jahr ist genau diese Ausstellung womöglich in vorderster Front dabei, gerade weil sie von „der Kirche“ gestaltet wird. Weil womöglich im nächsten Jahr ganz andere Menschen im Orga-Gremium, auch „KO-Gruppe“ genannt, sitzen, die nach völlig anderen Kriterien entscheiden. 22 Jahre KLP bedeuten eben auch 22 Jahre intensiver Diskussionen über Kriterien, inhaltlicher Ausrichtung, Aufnahmen und Ablehnungen - mit rund gerechnet einem Dutzend unterschiedlicher Ergebnisse.
Aber das ist vielleicht ja auch das „Alleinstellungsmerkmal“ der KLP: höchst subjektiv und mit ungebrochenem Selbstbewusstsein von immer wieder wechselnden Teams organisiert, kommt jedes Jahr auf geheimnisvolle Art und Weise wieder eine den gesamten Landkreis überziehende bunte Veranstaltung zustande, die selbst die Fachdienstleitung Verkehr des Landkreises Lüchow-Dannenberg nötigt, sich intensiv mit Verkehrslenkungsmaßnahmen zu beschäftigen.
Fast unmöglich für dieses Jahr einen Tipp abzugeben, wo es besonders spannend sein könnte. Natürlich gibt es wieder die „Felsen in der Brandung“ wie Salderatzen, Bülitz, Kröte oder Korvin, die in ihren unterschiedlichen Ausrichtungen bewährte Qualität bieten. Und auch die Mützingenta öffnet wieder ihre Tore – auch wenn sie nicht mehr innerhalb der KLP auftritt.
Ausstellung über die Geschichte der KLP
Vielleicht sind „Frischlinge“ unter den Besuchern der KLP gut beraten, wenn sie zuerst den Werkhof Kukate ansteuern, Ausgangspunkt der allerersten Ausstellungen. Hier hat Michael Seelig, Initiator und langjähriger Motor der „Wun.d.erpunkte“ eine Ausstellung zusammengetragen, die den Wegen "Von den Wunde.r.punkten zur Kulturellen Landpartie" folgt.
Wer erinnert sich noch an die Fahnenausstellung „Aus allen Wolken“ an der sich 25 KünstlerInnen aus der Bundesrepublik und 25 KünstlerInnen aus der – ehemaligen - DDR beteiligten. Sie war der Startschuss und machte die Wunde.r.punkte über Nacht bundesweit bekannt. Die flatternden Fahnen in der Landschaft störten die gerade eröffnete Bockjagd – ein weites Konfliktfeld, das eine Medienkampagne mit zahlreichen Rundfunk- Fernseh- und Zeitungsberichten entfachte; aus heutiger Sicht eine unbezahlbare PR-Kampagne.
Nach vier Jahren „Wunde.r.punkte Wendland“ mit den Landschaftskunstaktionen „Irritationen am Wegesrand“(1991), der Plakataktion „Schnecken“ und dem Hörbild „Alles gesagt“ (1992) und „Unter der Oberfläche“ (1993) wurden die „Wunde.r.punkte“ mit einem Fest für die Organisatoren feierlich beendet, um 1994 als „Wunderpunkte“ mit neuer Organisationskraft und der spektakulären Belagerung des Zwischenlagers „Auf immer und ewig“ und der Bahnpartie ins Wendland neu zu erstehen.
Seit 1995 heißt das Kulturevent nun „Kulturelle Landpartie im Wendland“ und kämpft seither mit den Grenzen des Wachstums und dem immer wieder neu zu definierenden Selbstverständnis der Beteiligten.
Die Ausstellung in Kukate zeigt eine chronologisch geordnete Bilderfolge und Originaldokumente, Ausschnitte eines lebendigen Kulturlebens, die die Lebensfreude in einer belagerten Provinz spiegelt.
Übrigens: auf dem Werkhof Kukate ist auch eine komplexe Ausstellung über das Handweben zu sehen. Nach eigenen Angaben ist es die erste Ausstellung, die zeitgemäße handgewebte Produkte in einer Vielzahl präsentiert wie noch niemals zuvor. „Da werden sich Vorurteile über kratzige und graue handgewebte Stoffe schnell in Luft auflösen“, so Michael Seelig, Hausherr auf dem Werkhof. Als Oberinnungsmeisterin der Handweberinnung hat seine Frau Inge über 40 Handweber gewinnen können, ihre Produkte in Kukate auszustellen. Zarte und duftige Schals, Bettwäsche aber auch fein gewebte Kleidung werden das Bild von Handgewebtem auf den Kopf stellen …
Ein buntes Sammelsurium von Kunst, Handwerk und kulinarischen Experimenten
Wie gesagt, es ist unmöglich, alle Ausstellungen und Veranstaltungen vorzustellen. Es wird wohl nur helfen, sich seinen ganz eigenen Reiseplan mit Hilfe der Internetseite der „Kulturellen-Landpartie“ oder dem 278 Seiten starken „Reisebegleiter“ zu machen, der an allen Ausstellungsorten ausliegt oder zum Preis von 5,- Euro bei der KLP-Organisation zu bestellen ist.
Nur eines ist sicher: zwischen romantischen Blütenbildern, Sonnensegeln, hochwertigen Kunstwerken oder harten Fakten über den langjährigen Gorleben-Widerstand ist auf der Kulturellen Landpartie fast alles zu finden, inklusive Wendland-Bräu und Wildschweingulasch.
Abseits der „gelben“ Routen zwischen Clenze und Lüchow lassen sich sogar noch Ecken finden, in denen Gast das erleben kann, was das Wendland wirklich ausmacht: die Ruhe eines Frühlingstages inmitten blühender Rapsfelder oder am Ufer der Elbe, nur gestört vom Zirpen der Lerchen oder dem Gesang der Nachtigall. Wer weiß, vielleicht läßt sich ja sogar der Seeadler blicken? Das sind dann die Momente, die jenseits allen kreativen Treibens ganz tief auf die Region prägen.
Foto: Angelika Blank / Ob die bunten Holzfigürchen auf der Mützingenta 2010 vom bunten Treiben auf der Landpartie so beseelt waren oder aufgrund anderer bewusstseinsverändernder Substanzen weiß niemand ...