Am Dienstag stand im voll besetzten Saal des Kulturvereins Platenlaase die Zukunft des Wendlands auf der Tagesordnung. Doch außer vielen Bedenken und kapitalismuskritischen Anmerkungen war wenig Zukunftsweisendes zu hören.
Unter dem Motto „Wohin geht das Wendland?“ hatte das Monatsmagazin ZERO zur Diskussion geladen. Auf das Podium waren Vertreter verschiedener Richtungen geladen worden: Neben Wirtschaftsförderin Martina Grud und Landrat Jürgen Schulz saßen der Leiter der neuen Akademie für Erneuerbare Energien, Henrick Bettermann, Kreislandwirt Adolf Tebel sowie Biobäuerin Annette Quis auf dem Podium. Für die Kulturelle Landpartie war Kaspar Harlan geladen worden und Stefan Buchenau als Autor des umstrittenen ZERO-Artikels „Was tun im Wendland?“. Buchenau hatte in seinem Artikel bereits die zerrissene Situation im Wendland skizziert – zwischen „Luftschnappern“ und engstirnigen Planern. Diverse verpasste Chancen meinte Buchenau geortet zu haben, aber: „...anstatt Strategien öffentlich zu diskutieren, versuchen Politiker hierzulande seit Jahrzehnten mit Zonenrandförderung, Bedarfszuweisungen, diversen anderen Subventionen oder aktuell mit Konjunkturpaketen … diesen Landkreis zu erhalten und zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein wirtschaftlich nicht überlebensfähiger Flickenteppich aus Natur hier und Naturzerstörung dort, aus gut gemeinten Einzelmaßnahmen und hirnrissigen Großprojekten wie Autobahnen und Elbbrücken.“ Für ZERO war es „höchste Zeit für eine landkreisweite Diskussion, wohin die Reise dieses Landkreises gehen soll.“
Mit einem fünfminütigen Statement konnten die geladenen Podiumsteilnehmer ihre jeweilige Sicht der Zukunft darstellen. Landrat Schulz trieben hauptsächlich Sorgen wegen der aktuellen Finanzkrise um, wobei er deutlich machte, dass die immer wieder als Stärke beschworenen Bereiche Kultur und Tourismus in der Einnahmebilanz des Landkreises nur einen „verschwindend geringen Anteil“ ausmachen. „Selbst die Landwirtschaft ist nur mit rund 10 % an den Gewerbeeinnahmen beteiligt“, so Schulz. „Die wirtschaftlich wirklich wichtige Kraft sind die metallverarbeitenden Betriebe und der Maschinenbau. Doch gerade diese sind von der Finanzkrise massiv betroffen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn es hier zum Zusammenbruch kommt.“ Nicht nur für Kaspar Harlan, der für die Kulturelle Landpartie auf dem Podium saß, spielte die Kultur naturgemäß eine wesentlich grössere Rolle. Wirtschaftsförderin Martina Grud sah die Situation nicht ganz so pessimistisch. „Mit der gerade gegründeten Akademie für Erneuerbare Energien sind wir auf einem guten Weg, Stärken der Region wirtschaftlich nutzbar zu machen“. Ähnlich sah es Henrick Bettermann, seit kurzem Leiter der Akademie. „Wir vergeben in der Akademie den international zweithöchsten Grad eines Studienabschlusses, den Master of renewable energy. Da werden sich als 'return of interest' viele hier ansiedeln“, ist Bettermann überzeugt. Doch kurz darauf musste auch er eine Einschränkung machen, denn noch hat die Akademie nicht genügend Studenten zusammen, um den Masterstudiengang auch wirklich starten zu können.
Kreislandwirt Adolf Tebel wünschte sich, im Landkreis mehr Akzeptanz für private landwirtschaftliche Betriebe zu finden, die größere Viehhaltungen aufbauen möchten. „Ein junger Landwirt, der heutzutage einen Hof übernehmen will, muss investieren. Wenn er aber daran gehindert wird, seinen Hof auszubauen, dann wird er entweder aufgeben oder in eine andere Gegend ziehen, wo er bessere Rahmenbedingungen findet.“ Immerhin betrage der Anteil der Großviehhalter mit 0,4 Tieren/ha in der Region nur noch ein Drittel des niedersächsischen Durchschnitts. „Früher gab es zum Beispiel in meinem Dorf 24 Höfe, niemand hat außerhalb gearbeitet. Heute kann ein Landwirt hierzulande schon froh sein, überhaupt noch einen Landwirts-Kollegen im Dorf zu haben. In vielen Dörfern gibt sich schon niemand mehr mit der Landwirtschaft ab.“ Die zentrale Frage sei dabei allerdings, warum die Landwirte permanent gezwungen seien, zu vergrössern. Hier sah Tebel eindeutig eine Verantwortung bei den Verbrauchern, die auch hochwertige landwirtschaftliche Erzeugnisse möglichst billig erwerben wollen. „Und die Politik sorgt dafür, dass es billig bleibt – wobei wir uns dem globalen Markt Europa mit seinen Gesetzen nicht verschließen können“, so Tebels Statement.
Bio-Landwirtin Annette Quis war auf dem Podium die erste (und blieb auch im weiteren Verlauf die einzige), die den Kampf gegen die geplanten Atomanlagen in Gorleben als Grundvoraussetzung für weitere wirtschaftliche Überlegungen ansah. Auch mit ihrer Vorstellung von landwirtschaftlicher Zukunft skizzierte sie einen realistischen Weg, der echte Chancen auf Umsetzung hätte: „Grundsätzlich würde ich mich über mehr Schweine- und Hühnerhaltung in der Region freuen – sie sollten nur möglichst biologisch produziert werden, wobei ein verbessertes Stoffstrom-Management (zum Beispiel die Nutzung von Tierfäkalien für die Biogaserzeugung) für mich zu einem nachhaltigen Konzept dazu gehört.“ In Sachen Tourismus brachte sie die Dinge auf den Punkt: „Wenn wir den Tourismus hier auf einen wirtschaftlich interessanten Level heben wollen, müssen wir das ganze Jahr Kulturelle Landpartie machen – ich bin mir nicht sicher, ob alle das wollen.“
Hauptsächlich Kreislandwirt Adolf Tebel zog mit seinem Plädoyer für Großviehhaltung den Unmut des Publikums auf sich. Nur einige wenige – offensichtlich Landwirte – beklatschten demonstrativ seine Worte. Überhaupt dominierte Schweinemasthaltung die darauf folgende Publikumsdiskussion. Mehr oder weniger kompetent äußerten viele Redner ihre Ablehnung von Großviehhaltung, wobei ethische Überlegungen bei den meisten Wortbeiträgen eine Rolle spielten. Die Existenznot der Landwirte wurde mehrfach mit einem lapidaren „das ist eh der falsche Weg“ abgetan.
Landkreisweit war die Beteiligung an der Veranstaltung - wie von ZERO gewünscht - mit Sicherheit, kamen die über 100 Interessierten doch aus allen Ecken Lüchow-Dannenbergs. Inhaltlich jedoch hatte ein Großteil des Publikums ein doch eher eng begrenztes Bild der Zukunft. Kurz zusammengefasst, beschränkten sich die Wortbeiträge auf ein immer wiederkehrendes „Nein“. Nein zu Schweinemastanlagen, nein zur Autobahn, nein zu genveränderten Pflanzen. Nein zu milliardenschweren Stützungspaketen für die Wirtschaft, was nach Ansicht vieler Anwesender „falsch verteiltes Geld“ war, welches hier in der Region fehlt. Und immer wieder beschworen die Redner die „Einzigartigkeit des Landkreises“ mit seiner Kulturvielfalt und Naturschönheit, den es zu erhalten gilt. Mit Halbwissen, romantisierenden Idylleszenarien oder schlichten Schuldzuweisungen an "Staat", "Großkonzerne" oder "Politik" bewegte sich die Diskussion selten über das Niveau eines alternativen Stammtisches hinaus.
Die politischen Vertreter der Region glänzten entweder durch Abwesenheit (CDU, FDP), hielten sich vornehm zurück (Grüne) oder fielen durch allgemeine kapitalismuskritische Anmerkungen auf (Linke). Die Landesvorsitzende der Linke und Bundestagskandidatin, Johanna Voß, nahm bemerkenswerterweise die Information von Landrat Jürgen Schulz, dass mit dem möglichen Aus bei SKF, Conti und anderen metallverarbeitenden Betrieben womöglich 600 - 700 Arbeitsplätze verloren gehen, seltsam unberührt als Tatsache zur Kenntnis. Statt dessen war ihr wichtiger, vor "3 m hohen Maispflanzen" in Holland zu warnen. Auch die von GLW- und Kreistagsmitglied Hermann Klepper geäußerte Sorge, dass "erneuerbare Energien und sanfter Tourismus" nicht miteinander kompatibel sind, sorgte angesichts der sonstigen kommunalpolitischen Statements der GLW für Verwunderung.
Wie ein tragfähiges Konzept aussehen könnte, dass Landschafts- und Naturschutz, artgerechte Tierhaltung und wirtschaftliche Produktion sowie sanften Tourismus, Energieversorgung und kulturelle Vielfalt in Einklang miteinander bringt, dazu hatte niemand im Publikum Ideen. Einer der ersten Redner fragte zwar noch nach, ob ein mittelfristiges Konzept vorliege, musste aber dann hören, dass das Kreisentwicklungs- und Wachstumskonzept auf den Internetseiten des Landkreises schon seit Mai 2008 abrufbereit zur Verfügung steht. Nebenbei bemerkt: wie sich nach der Veranstaltung herausstellte, kannte auch ein Teil des Podiums dieses Konzept nicht, geschweige denn die Mehrheit des Publikums.
Bemerkenswert war auch, dass während der gesamten Diskussion (fast) niemand Bezug nahm auf jahrzehntelang geführte Debatten über die weitere Entwicklung des Landkreises. Keine Rede vom „Kröter Kreis“, der bereits um die Jahrtausendwende detaillierte Vorstellungen über einen ökologisch orientierten, doch wirtschaftlich tragfähigen Landkreis entwickelt hatte. Keine Rede von Regionen Aktiv, mit dessen Fördermitteln entscheidende Schritte in Richtung 100-Prozent-Erneuerbare-Energieversorgung gemacht werden konnten. Keine Rede vom LEADER+-Prozess, der diverse Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben hatte – von denen viele in Schubladen verschwunden sind. Keine Rede von monate-, ja jahrelangen (gescheiterten) Bemühungen, die vielen Tagungshäuser in der Region zu attraktiven Bildungsangeboten zu bewegen.
Beim Podium war zunehmender Unmut über die Unfähigkeit im Publikum spürbar, Realitäten des Wirtschaftslebens wahrzunehmen. Zum Schluss der Debatte verlor Landrat Jürgen Schulz etwas die Haltung, indem er den Anwesenden noch einmal überdeutlich vor Augen führte, was für ihn Realität ist: „Die Wirtschaftskrise ist noch längst nicht zu Ende. Wir sind gerade noch einmal daran vorbeigeschrammt, dass der Weltwirtschaftsgipfel sämtliche Geldströme für eine gewisse Zeit einfriert. Deswegen die milliardenschweren Stützungs- und Konjunkturpakete. Und die Krise ist noch nicht vorbei. Es kann immer noch sein, dass wir demnächst auf die Kleingartenhaltung mit zwei, drei Schweinen zurückkommen müssen. Dann könnten auch die Sozialleistungen nicht mehr ausgezahlt werden, die uns mit fast 20 Mio. jährlich drücken.“
Auch hier bemerkenswert: für diese düstere Vision der Katastrophe erntete Schulz intensiven Beifall.
Der Verdacht drängte sich auf, dass eine Mehrheit im Publikum genau dieses Katastrophenszenario wünschte, um sich dann mit einem befriedigten „das war ja klar, dass das so kommen musste“ zurückzulehnen. Nur ob die Befriedigung dann tatsächlich so eintreten wird, wie sich das viele am Dienstag Abend in Platenlaase womöglich vorstellten?
Nach der Veranstaltung bleibt die Frage offen, wie – und vor allem von wem – der von Stefan Buchenau in ZERO kritisierte „nicht überlebensfähige Flickenteppich“ zu einem tragfähigen Ganzen umgestaltet werden kann. Lauthals formulierte Forderungen nach „gerechterer Umverteilung der Steuern“, anders gestreuter Subventionen sind im Grunde nichts anderes als die von Buchenau so angegriffenen Politiker-Strategien, den Landkreis mit „Zonenrandförderungen, Bedarfszuweisungen und Subventionen“ zu erhalten und zu entwickeln.
Da ist noch viel Kreativität – von der es ja im Landkreis so viel geben soll – und vor allem konsequenter Umsetzungswille gefragt. Hoffnungsfroh stimmt allerdings, dass all die "Aktivisten", die in den vergangenen 15 Jahren mit zäher Energie für den Aufbau und die Weiterentwicklung wichtiger Projekte (wie z. B. Windkraftanlagen und Biogastankstelle) und deren Mehrheitsfähigkeit gekämpft haben, nicht anwesend waren.
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