Thema: platenlaase

Dokumentation: Mission und Mißbrauch

Günter Hermeyer über den Völkermord der Kirche und des Staats an Kanadas „First Nations“ und eine Dokumentation darüber in Platenlaase.

Daß es sich bei den immer zahlreicher bekannt werdenden Fällen von Mißbrauch und Mißhandlung in katholischen Einrichtungen in Deutschland nicht nur um persönliche Verfehlungen Einzelner, sondern um einen Systemfehler handelt, macht ein Blick nach Kanada deutlich: Dort hatte der kirchliche Missionsdrang noch weitaus schlimmere Folgen als hier. Zwischen 50 000 und 100 000 indianische Kinder haben in Kanada im letzten Jahrhundert in christlichen „Residential Schools“ gewaltsam den Tod gefunden.

1920 durch den Staat per Gesetz eingerichtet, wurde erst 1996 in Saskatchewan die letzte dieser Schulen geschlossen. In den 76 Jahren wurden über 200 000 Kinder in diesen Schulen „christianisiert“, was im Klartext auch medizinische Versuche, Mißbrauch, Zwangssterilisation und Folter bedeutete. Der „Indianer im Kind“ sollte getötet werden. Dies war der Sinn, weshalb das System der Residential Schools eingerichtet wurde. Von der Polizei ihren Familien entrissen, waren die Kinder den Missionaren und anderen Mitarbeitern dieser Schulen hilflos ausgeliefert. Die eigene Sprache zu sprechen, war den Kindern verboten. Unter Zwang mußten die Familien ihre Vormundschaft aufgeben, damit die Kirchen Freiraum für die teilweise gewaltsame Umerziehung der indianischen Kinder hatten. Diese Umerziehung und der damit einhergegangene Verlust der eigenen Identität sind unter anderem verantwortlich für viele Probleme von Mitgliedern der „First Nations“ wie etwa Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Gewalt und psychische Krankheiten.

Steven Harper und seine Regierung haben sich 2008 für diese Taten entschuldigt, was aber keinesfalls bedeutet, daß es eine Strafverfolgung durch die Behörden gegeben hat oder gibt. Einige der Familien haben dennoch Entschädigungszahlungen erhalten. Über 30 Jahre lang haben VertreterInnen indigener Völker mit den Vereinten Nationen verhandelt, um 2007 die Deklaration über die Rechte der Indigenen Völker zu verabschieden. Kanada hat bis heute nicht unterschrieben.

„Alle Archive zum Genozid an den Indianern müssen von Kirche und Staat offengelegt werden, und der Internationale Gerichtshof muß die Verfahren gegen die Schuldigen führen“, fordert Kevin Annett, ein ehemaliger Pastor, der sich mit der Organisation „Friends and Relatives of the Disappeared“ (FRD) für die Betroffenen der „Residential Schools“ einsetzt. Von der Kirche 1992 eingestellt, wurde er 1997 wieder aus seinem Dienst entlassen, nachdem er die Kir-che mit der Situation konfrontiert hatte. Seitdem wird er von derselben Polizei, die einst den indianischen Familien ihre Kinder entriß, überwacht.

Über 1 000 000 Tote indianischer Abstammung allein an der kanadischen Westküste; das ist die traurige Bilanz der Landnahme und „Christianisierung“ durch die weißen Siedler – in ähnlichem Stil fortgeführt bei Olympia 2010 in Vancouver: 1997 durch den Obersten Gerichtshof Kanadas (OGK) in ihren indianischen Landrechten bestätigt, kümmerte sich die Regierung Harper und das Internationale Olympische Komitee (IOK) nicht im geringsten um derartige Urteile. Seitdem sind mehr als 200 000 Bäume auf indianischem Boden für diese „grünen Spiele“ gefallen. Einerseits für die Geschäftemacherei des IOK, andererseits für skrupellose Bodenspekulanten. Gestohlenes Land ist bis heute immer noch das billigste Land und ein lukratives Geschäft. Das OGK-Urteil für die Landrechte der „First Nations“ ist rechtskräftig und betrifft unter anderem Vancouver und Whistler sowie den Rest des für Olympia gestohlenen Landes.

„Nachdem sie unser Land gestohlen und unsere Kinder umgebracht haben, wollen sie uns jetzt nicht einmal sagen, wo sie sie begraben haben, deshalb fordere ich sie auf, unser Land für immer zu verlassen“, sagt Siem Kiapilano, von der Squamish Nation.

„Wir sind dabei, eine internationale Untersuchung der Verbrechen dieser Kirchen aufzubauen und arbeiten mit Gruppen aus Nordamerika, Guatemala und den Philippinen zusammen. In Kanada werden die Täter von Kirche und Staat geschützt, und es wird keine Gerichtsverfahren geben. Deshalb ist es um so wichtiger, in einem neuen Licht der Wahrheit zu leben und Menschen wie Chief Kiapilano zu unterstützen“, sagt Kevin Annett, dessen Mitarbeiter immer wieder angegriffen und schikaniert werden. Er hofft auf internationale Unterstützung und reist deshalb unter anderem auch immer wieder nach Europa.

Im Rahmen seiner diesjährigen Reise vom 19. bis 26. April wird er am 23. April um 20 Uhr in Platenlaase Ausschnitte aus seinem mehrfach ausgezeichneten Film „Unrepentant“ zeigen und danach für Fragen zur Verfügung stehen. Mehr Infos unter www.hiddenfromhistory.org




2010-04-07 ; von Günter Hermeyer (autor),

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