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Drei Wendländer in Fukushima

Kürzlich reisten drei BI-Mitglieder nach Japan, um sich dort über die Folgen der Reaktorkatastrophe von Fukushima zu informieren, aber auch, um die Proteste vor Ort zu verstärken. Am Freitag berichtete Kerstin Rudek in Dannenberg über ihre Reise.

Angst macht die Atomkraft unzähligen Menschen in Japan. Angst vor der Geburt missgebildeter Kinder als Folge der Verstrahlung durch die zerstörten Reaktorblöcke von Fukushima. Angst vor erneuten Erdbeben, die wieder eine nukleare Katastrophe in einem Atomkraftwerk auslösen können. Angst vor einer ungewissen Zukunft, die überschattet ist von der Frage: Wohin? Wo finden wir ein neues, in ein unverstrahltes Zuhause?

Die Ängste, die unbeantworteten Fragen haben drei Lüchow-Dannenberger vor wenigen Wochen hautnah erleben, in vielen Gesprächen vor Ort hören können. Martin Donat, Vorsitzender der hiesigen Bürgerinitiative Umweltschutz, deren Pressesprecher Lennart Müller und die Anti-Atomkraft-Aktivistin Kerstin Rudek informierten sich in der Region Fukushima im Raum Tokio und andernorts in Japan über die Folgen der Reaktorunglücks und die Reaktion der Menschen auf die Katastrophe, die am 11. März 2011 begonnen hatte.

Wachsender Widerstand gegen Atomkraft in Japan

Kerstin Rudek, die bei der Landtagswahl 2013 für die LINKE kandidiert, vermittelte am Freitag im Dannenberger Hotel „Alte Post“ zahlreiche Eindrücke, die sie und ihre Mitreisenden in Japan gewonnen haben, erfreuliche und bedrückende. Erfreulich sei es, zu erleben, wie viele Menschen sich in Anti-Atomkraft-Gruppen zusammengeschlossen haben. Schrecklich sei es dagegen, zu sehen, wie die Japanerinnen und Japaner in den verstrahlten Gebieten leben müssen.

Schon seit den Atombomben-Abwürfen der Amerikaner im August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki gibt es in Japan eine Bewegung gegen Atomwaffen, berichtete Kerstin Rudek. Doch diese Initiativen hätten jahrelang keine Kritik an der zivilen Nutzung der Atomkraft geübt, die ihnen die USA „gewissermaßen als Wiedergutmachung für die atomaren Angriffe“ in Form vieler Kernkraftwerke ins Land gebracht hatten. Nach der Fukushima-Katastrophe jedoch haben sich die Atomwaffen-Gegner mit den Anti-Atomkraft-Gruppen zusammen geschlossen.

In jeder Woche protestieren bis zu 100 000 Menschen

Nun wird gemeinsam demonstriert. An jedem Freitag sind es bis zu 100 000 Menschen, die in Tokio vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten Yoshihiko Noda gegen die Atomkraft protestieren. Kerstin Rudek, Martin Donat und Lennart Müller haben mit demonstriert. So, wie auch eine japanische Delegation bei den Anti-Castor-Demos im November 2011 in Lüchow-Dannenberg mit dabei war.

Wie die Polizei in Japan mit den Demonstranten umgeht, wollte jemand während des Vortrags in Dannenberg wissen und erfuhr: Die Repressionen, denen Protestierer ausgesetzt sind, können sehr hart sein. Schon aus nichtigen Anlässen – etwa wegen kurzfristigen Betretens eines staatseigenen Grundstücks – darf die Polizei einen „Störer“ greifen und 23 Tage lang ohne weiteres Verfahren einsperren. „Das ist schlimm“, sagte Kerstin Rudek, „denn viele, die so kurzfristig aus ihrem Lebensalltag herausgerissen werden, verlieren ihren Arbeitsplatz.“

„Die Regierung lügt und beschwichtigt“

Der Unmut vieler Japaner richtet sich nicht allein direkt gegen die Atomkraft, sondern auch gegen die Informationspolitik im Land. Seitens der Regierung werde gelogen, werde beschwichtigt, werde erklärt „wir haben alles im Griff“. Die meisten Medien artikulieren ähnlich, halten sich auch bei der Berichterstattung über Proteste sehr zurück. Wie die Lüchow-Dannenberger hörtSen, liegt dies vor allem am Einfluss der Atomkraftwerk-Betreiberfirma Tepco. Ihr gehören mehrere Fernsehanstalten, und das Management achtet sehr darauf, dass deren Mitarbeiter nichts Negatives über die Atomenergie senden.

Just während des Aufenthalts der Wendländer in Japan, hielt das Unternehmen Tepco eine Pressekonferenz ab. Die Antworten auf Journalistenfragen zur Situation in Fukushima, so Kerstin Rudek, ließen sich zusammenfassen in: „Alles unter Kontrolle, alle Grenzwerte werden eingehalten.“ Und auf Krankheiten in der belasteten Region angesprochen, entgegneten die Tepco-Sprecher: Nicht die Strahlen machten krank, sondern die – nach Ansicht der Manager unberechtigte - Sorge um die Gesundheit.

Viele Menschen in der Region psychisch erkrankt

In der Tat: Viele Menschen in der betroffenen Region sind psychisch erkrankt, weil sie nicht aus noch ein wissen, weil sie ihr Zuhause verloren haben, weil sie Angst haben. Angst auch vor dem Bau neuer Atomkraftwerke, wie es etwa nahe dem Fischerdorf Iwaishima geplant ist. Doch zu den „typischen“ Gesundheitsstörungen in der Region zählen auch Nasenbluten, Durchfälle, Erkrankungen der Schilddrüse – durchweg Anzeichen der Strahlenkrankheit. Die radioaktive Belastung lässt sich nicht wegleugnen. Das Team aus dem Wendland hat sie gemessen, registrierte zum Beispiel auf einem Schulweg das 50fache der natürlichen Strahlung. Die Belastung sei ein vielfaches höher als seinerzeit nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, zitierte Kerstin Rudek einen japanischen Experten.

Unabhängiges Gesundheitszentrum benötigt Spenden

Für die strahlenbelasteten Menschen ist es nicht leicht, Mediziner zu finden, die sie ernst nehmen. Viele Ärzte, so Rudek, stünden unter dem Druck der Regierung; diese verlange von den Medizinern, dass sie in ihren Diagnosen einen Zusammenhang zwischen Krankheit und Verstrahlung verneinen. Deshalb sollen sich die Betroffenen künftig an ein unabhängiges Gesundheitszentrum vor Ort wenden können. Damit dieses effektiv arbeiten kann, sind die Initiatoren dringend auf Spenden angewiesen. Auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nimmt diese entgegen und leitet sie nach Japan weiter.

Maßnahmen zur „Entstrahlung“ wirken hilflos

Immer wieder sind Rudek, Müller und Donat Menschen begegnet, die sich scheinbar resigniert abfinden mit ihrem Schicksal. Die trotz der Gefahr für ihre Gesundheit in verstrahlte Gebiete fahren, um dort ihrer täglichen Arbeit nachzugehen. Die in der verstrahlten Region ihre Tiere nicht im Stich lassen, sondern sie täglich füttern. Die trotz der Strahlung in ihren vertrauten Häusern wohnen und dort Gemüse anbauen. Die mit ansehen, wie seitens des Staates versucht wird, die Region zu „entstrahlen“. Da wird Erdboden ausgehoben und fortgekarrt, da werden Plätze mit Wasser abgespritzt. Die Radioaktivität wird weggefahren, weggespült, woanders hin, aber sie bleibt. „All das wirkt ziemlich hilflos“, sagt Kerstin Rudek.

Und was ist aus den Menschen geworden, die in der am schlimmsten verstrahlten Katastrophenzone lebten und auf Regierungsorder hin evakuiert wurden? Einige leben noch in Notunterkünften - in Wellblechhütten - andere sind zu Verwandten gezogen, und von vielen weiß man nicht, wo sie geblieben sind.

Nach Fukushima wurden die Atomkraftwerke in Japan abgeschaltet; zwei sind bereits wieder am Netz. Der Protest dagegen wächst, denn, so Kerstin Rudek: „Jahrelang hat man den Menschen in Japan eingehämmert, Atomkraft sei sicher. Jetzt haben die Japaner erkannt, dass dies eine Lüge war und ist.“

Spätestens im Frühjahr 2013 will eine japanische Delegation zum Gegenbesuch nach Lüchow-Dannenberg kommen. Eine Frage, die das Team aus dem Wendland immer wieder hörte, lautet: „Wann rollt denn bei euch der nächste Castor?“ Denn allerorts auf der Welt weiß man, wie wichtig Solidarität ist im Kampf gegen die Gefahren der Atomkraft.

Foto: BI-Vorsitzender Martin Donat (Mitte) und Kerstin Rudek (re. daneben) während einer Anti-Atomkraft-Demonstration in Japan




2012-09-08 ; von Hagen Jung (autor),
in Dannenberg (Elbe), Deutschland

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