Allein im Elbholz sind rund 800 Eichen vom Eichenprozessionsspinner befallen. Aber auch in anderen Gebieten des Landkreises häufen sich die Probleme mit den kleinen Laubfressern. Doch nach monatelangen Irrfahrten durch den Behördendschungel ist es für eine effektive Bekämpfung des kleinen Schädlings längst zu spät.
Andreas Graf von Bernstorff versteht die Welt nicht mehr. Rund 800 Eichen am Nordrand des Elbholzes sind in seinem Wald von Eichenprozessionsspinnern befallen, belästigen und schädigen die vielen Wanderer und Radfahrer dort, doch er darf die kleinen Biester nicht so bekämpfen, wie es notwendig wäre, nämlich von der Luft aus mit dem speziell für die Bekämpfung der kleinen Eichenschädlinge zugelassenen Mittel „DIPEL ES“. „Viele der Bäume sind vom Kahlfraß bedroht“, so der Waldbesitzer. „Bereits in den vergangenen Jahren hatte der Eichenprozessionsspinner hier zugeschlagen. Dazu kommen noch Frostschäden sowie Belastungen durch Sekundärschädlinge wie den Bastkäfer oder den Eichenwickler.“
Selbst ein Abstimmungsgespräch mit dem Landkreis, an dem auch Vertreter der Samtgemeinde Gartow teilgenommen hatten, führte zu keinem Ergebnis. DIPEL ES darf zwar vom Boden aus eingesetzt werden, aber nicht per Besprühung aus der Luft.
Andere Länder – andere Möglichkeiten
Das Mittel ist zwar für den Pflanzenschutz zur Bekämpfung der Eichenprozessionsspinner offiziell zugelassen, darf aber nur vom Boden aus eingesetzt werden. Gartows Förster Ulrich von Mirbach nützt dies gar nichts. „Im Gartower Forst sind so viele Bäume befallen, dass eine Einzelbekämpfung vom Boden aus keinen Sinn machen würde.“ Von Mirbach hätte sich eine Erlaubnis zur Bekämpfung aus der Luft gewünscht, wie sie vor zwei Jahren bereits stattgefunden hatte und wie sie in anderen Landkreisen auch in diesem Jahr praktiziert wird - zum Beispiel im benachbarten Landkreis Havelland.
Dort wandte man den Trick an, DIPEL ES nicht als Pflanzenschutzmittel einzusetzen, sondern als Mittel zur Verhinderung gesundheitlicher Schäden beim Menschen, also als Biozid. Eine Allgemeinverfügung gestattet seit März 2012 vor allem Kommunen, das Mittel aus der Luft auf die betroffenen Flächen auszubringen. Sofern Bäume Dritter von der Bekämpfung betroffen sein sollten, ist der Einsatz von diesen sogar zu dulden.
In der Begründung zur Allgemeinverfügung ergibt sich, dass auch der Landkreis Havelland nicht versteht, warum es teilweise so strenge Auflagen gibt: „Den fachlich nicht nachvollziehbaren Einschränkungen für die Luftfahrzeugausbringung von DIPEL ES im Jahre 2011 steht eine vergleichsweise großzügige Zulassung für die Anwendung in Haus- und Kleingärten gegenüber,“ heißt es in der Verfügung. „Vor diesem Hintergrund wird nach hiesiger Einschätzung von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen der Einzelne und die Allgemeinheit mit der Ausbringung des Mittels DIPEL ES aus der Luft am wenigsten beeinträchtigt.“ Und weiter heißt es dort: „Ein milderes, geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. Es ist, gemessen an dem erstrebten Zweck, auch verhältnismäßig. Das kurzfristige Sperren am Tage der Bekämpfung dient dem reibungslosen und effektiven Ablauf der Maßnahme.
Auch in Lüchow-Dannenberg könnte die jeweilige Gemeinde eine Genehmigung zur Gefahrenabwehr erteilen, die diese Beschränkungen nicht enthalten würde, aber davor schreckt zum Beispiel Gartows Samtgemeinde-Bürgermeister Friedrich-Wilhelm Schröder zurück. „Bei einer solchen Genehmigung muss ich den Schaden durch den Einsatzes des Mittels für den Menschen mit dem abwägen, der durch die Raupen selber entsteht. Aber selbst intensivste Recherchen haben keine Antwort auf diese Frage gebracht.“
Was gefährdet den Menschen mehr: die Raupe oder das Mittel?
Die Verordnungslage für den Einsatz von DIPEL ES als Pflanzenschutzmittel lässt einen Einsatz per Befliegung nicht zu. Zwar hat das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit am 23. April wegen des gehäuften Vorkommens der Eichenprozessionsspinner in einer „Zulassung für Notfall-Situationen“ den Einsatz aus der Luft von Mitte April bis Mitte August genehmigt, allerdings mit Auflagen. Vom Waldrand müssen bei einer Luftbekämpfung insgesamt 40 m Abstand gehalten werden. „Das ist für uns völlig uninteressant,“ so Förster von Mirbach. „Gerade an den sonnendurchfluteten Waldrändern halten sich die Raupen besonders gerne auf.“
Dabei handelt es sich bei dem Pflanzenschutzmittel DIPEL ES um einen Bacillus (thuringiensis Berl.), ein biologisches Insektizid zur Bekämpfung schädlicher Raupen im Acker-, Obst-, Gemüse-, Wein- und Zierpflanzenbau sowie im Forst. Nach der Aufnahme von Dipel ES tritt ein Fraßstopp ein, so dass die Raupen auch in der im Vergleich mit chemischen Insektiziden verlängerten Abtötungszeit keine Schäden mehr anrichten können. Andere nützliche Insekten wie Bienen werden von dem Mittel geschont. Trotzdem schränkt die Genehmigung für das Pflanzenschutzmittel den Einsatz stark ein. So darf es zum Beispiel nicht in oder an oberirdischen Gewässern eingesetzt werden.
Auch die Forstliche Versuchsanstalt konnte dem Gartower Waldbesitzer nicht helfen. In einem Schreiben bedauerte die Forstbehörde, Graf von Bernstorff nicht helfen zu können. Nun soll er sich rechtzeitig noch einmal an die Behörde wenden, um „für 2013 zu überlegen, wie das Problem zu lösen ist.“
Für diese Saison bleibt es also dabei: Das Problem bleibt bei den jeweiligen Grundstückseigentümern hängen. Befallene Eichenalleen wurden von der Samtgemeinde Gartow mit Warnschildern ausgestattet, was auch der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Wermes, im Abstimmungsgespräch mit dem Landkreis als „amtsärztlich ausreichend“ ansah. In dem gleichen Gespräch hatte Dr. Wermes angeboten, „den Grundstückseigentümern zu raten, aus medizinischen Gründen eine Bekämpfungsaktion durchzuführen.“
Inzwischen haben sich die Raupen aber soweit ausgebildet, dass ihre feinen Nesselhärchen sich längst in alle Winde auf benachbarten Gärten niedergelassen haben, wo sie womöglich für mehrere Jahre für Ärger sorgen.
Foto: (Jörg-Peter Wagner , wikimedia commons)