Als "Eichhörnchen" ist die kletterfreudige Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte aus Lüneburg bekannt. Weil sie durch ein Gitter ins Gorlebener Zwischenlagergelände geschlüpft war und Widerstand gegen Polizisten geleistet haben soll - so die Staatsanwaltschaft - soll sie 400 Euro Strafe zahlen. "Eichhörnchen" legte Einspruch ein - und beschäftigte die Justiz im Dannenberger Amtsgericht am Dienstag mit allerlei Anträgen nahezu fünf Stunden lang.
Getrommel und Gepfeife gabs zum Auftakt der Verhandlung schon vor derselben draußen vor dem Gerichtsgebäude. Rund 50 AtomkraftgegnerInnen waren dort erschienen, um ihre Solidarität mit der 28-Jährigen zu bekunden. Cécile Lecomte gab sogleich eine Kostprobe ihrer Kletterkünste, als sie mit half, ein Protest-Spruchband an Fahnenmasten vor dem Justizgebäude zu befestigen.
Einspruch gegen 400 Euro Geldstrafe
Via Strafbefehl waren der jungen Frau die 400 Euro "aufgebrummt" worden. Gegen ein solches Papier kann man Einspruch einlegen - wie in diesem Fall geschehen -, dann wird die Sache in einer regelrechten Hauptverhandlung erörtert, und es kommt zu einem Urteil, das im günstigsten Fall mit einem Freispruch enden kann. Doch wer gewähnt hatte, die Strafbefehls-Angelegenheit würde - wie oft in solchen Sachen - in etwa einer Stunde erledigt sein, kennt offenbar Cécile Lecomte nicht. Sie ist, das bestätigte ihr auch Staatsanwalt Vogel, mittlerweile derart gerichtserfahren, dass sie das Procedere des Antragstellens und -begründens virtuos beherrscht und auch anwendet.
Zuhörer trommelten und klatschten - Richter ließ Saal räumen
"Eichhörnchen" begann kurz nach Eröffnung der Verhandlung mit einer, wie sie es nannte, "Rüge" in Richtung des Gerichts: Die ohne Verteidiger erschienene Atomkraftgegnerin monierte, dass ihr nicht volle Einsicht in die Prozessakten gewährt wurde, dass sie keinen Pflichtverteidiger bekam, angesichts von Mittellosigkeit keinen Fahrkostenvorschuss erhielt und dass ihr der Strafbefehl nicht in ihrer Muttersprache - Französisch - zugesandt wurde. Nach ihrem Rügevortrag bekam Cécile Lecomte lebhaften Beifall seitens der rund 20 Zuhörer.
Diese waren schon zuvor von Richter Thomas Stärk ermahnt worden, hatten mehrere von ihnen doch auf den Gerichtsbänken im Verhandlungssaal getrommelt und sodann mit einem Summ-Chor gestört. Als der laute Beifall für die Angeklagte nicht verebbte, ordnete der - als sehr geduldig bekannte - Amtsrichter schließlich die Räumung des Saales an. Nur wenige gingen freiwillig, und so mussten Jusitz- und Polizeibeamte die auf den Bänken Verharrenden teils mit festem Griff aus dem Saal bringen. Wie erwartet, hatte diese Räumung sogleich einen Antrag von Cécile Lecomte auf „Wiederherstellung der Öffentlichkeit“ zur Folge.
Antrag auf "Verdacht der Befangenheit"
Ihre zuvor vorgetragenen Rügen brachte die junge Frau dann auch in diverse Anträge ein, die schließlich in einem Antrag auf "Verdacht der Befangenheit" gegen Richter Stärk gipfelten. Er habe etwas gegen ihre Person, so Cécile Lecomte sinngemäß - und in die weitere Befangenheits-Begründung waren dann erneut all die schon mehrmals - Anfangs in den "Rügen" vorgebrachten - Argumente zu hören.
Richter Stärk gab eine so genannte "dienstliche Erklärung" zum Befangenheits-Antrag ab, diese Erklärung wiederum musste nun der Angeklagten vorgelegt werden, die dann ihrerseits zu Stärks Ausführungen eine Stellungnahme verfasste. Auch der Staatsanwalt bezog Stellung - und all dies musste nun ein anderer Richter, Graf Grote, sichten und bewerten. Er verkündete schließlich: Der Antrag auf Befangenheit ist unbegründet.
Volle Akteneinsicht verlangt
Ein Punkt, der Cécile Lecomte offenbar besonders bewegt, war die Tatsache, dass sie nach deutschem aktuellen Strafrecht keine Einsicht in die komplette Prozessakten haben kann. Die Angeklagte bestritt dies, zitierte ausführlich aus der juristischen Literatur und aus gerichtlichen Entscheidungen, mit denen sie ihre Rechtsauffassung - volle Einsicht in die Akten - zu untermauern versuchte. Unter anderem verwies sie auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Hervorragende Deutschkenntnisse bescheinigt
Zusammenfassen lassen sich die Ausführungen von Gericht und Staatsanwalt, mit denen die Lecomte-Anträge abgelehnt wurden, in etwa so: Volle Akteneinsicht für Nicht-Anwälte sieht das deutsche Recht nicht vor; die Aussagen des Gerichtshofs für Menschenrechte seien nicht weisend, sondern nur eine Entscheidungshilfe. Der Strafbefehl habe nicht ins Französische übersetzt werden müssen, da Cécile Lecomte offensichtlich - auch hinsichtlich der juristischen Terminologie - die deutsche Sprache hervorragend beherrscht.
Ein Fahrtkostenvorschuss brauchte nicht gewährt werden, da die Angeklagte nicht völlig mittellos sei, sondern HartzIV beziehe, also Geld zum Kauf der Fahrkarte habe. Die Rüge, die Öffentlichkeit sei ausgeschlossen worden, ließ das Gericht ebenfalls nicht gelten, denn: Es war kein förmlicher Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern eine Ordnungsmaßnahme, mit welcher der Richter die Zuhörer des Saales verwies.
Außerdem sei die Öffentlichkeit in Gestalt eines Pressevertreters stets zugegen gewesen. Da nicht festzustellen war, ob sich einzelne Zuhörer nicht an der Klatscherei beteiligt hatten, durfte die gesamte Zuhörerschar nach draußen komplimentiert werden.
Erst gegen Abend gings zur Sache
Erst als der Abend nahte, war es dem Gericht möglich, wirklich zur Sache zu kommen, also den Strafbefehl zu verlesen. In ihm wird Cecile Lecomte zur Last gelegt, während des Wendland-Sommercamps 2008 durch ein Gitter aufs Zwischenlagergelände vorgedrungen zu sein und dort getanzt zu haben. Den drei Polizeibeamten, die sie abführen wollten, habe sie Widerstand entgegengesetzt und auch versucht, einen der Beamten zu treten.
Erneute Verhandlung am 16. August
Doch der eigentliche Tatvorwurf wurde am Dienstag nicht mehr erörtert. Denn sogleich nach dem Verlesen stellte "Eichhörnchen" den Antrag, etliche einzelne Belege aus der Prozessakte in Kopie zu erhalten. Dies ist rechtlich möglich - und der Wunsch wurde gewährt. Kurzfristig drohte ein weiterer Antrag auf "Verdachts der Befangenheit" gegen Richter Stärk, weil er angekündigt hatte, er würde die Sache gern am Dienstag zu ende verhandeln. Dann aber, so Cécile Lecomte, würde sie ihren Zug nach Hause nicht mehr bekommen. Sie sah demnach in Stärks Absicht ein "gegen sie" gerichtetes Vorhaben.
"Eichhörnchen" denkt über Beweisanträge nach
Doch der Richter vertagte die Sache: Am 16. August wird erneut verhandelt. Cécile Lecomte kündigte an, sie wolle die ihr nun vorliegenden Schriftstücke aus den Prozessakten gründlich durcharbeiten für ihre "Verteidigungsstrategie" und über Beweisanträge nachdenken.
Angesichts dieser Ankündigung und der Erfahrungen vom Dienstag ist Prozessbeobachtern zu raten, sich vorsorglich für zu erwartende Verhandlungspausen mit Müsliriegeln, Butterbroten und Getränken auszurüsten.
Foto: Hagen Jung
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