Es war ein Konzertereignis der Extraklasse: Am vergangenen Samstag dirigierte der syrische Komponist und Dirigent Nuri El Ruheibany seine eigenen Werke im Verdo in Hitzacker, aufgeführt von - syrischen Exil-Musikern.
So weit, so ungewöhnlich. Denn die Musiker waren zuvor alle aus Syrien geflüchtet. Und der Maestro und die Musici kannten sich allesamt bereits vorher: aus der Oper in Damaskus an der El Ruheibany früher als Dirigent arbeitete. Und so bekam ein festlicher, streckenweise ausgelassener Konzertabend mit bestens aufgelegten Musikern und einem jubelnden Publikum auch eine ernste, eine melancholische Note.
In der Pause näherte sich eines der gleich drei Fernsehteams, die
sich während des Konzertes auffällig unaufällig durch die Kulissen
schoben, der 36-jährigen Klarinettistin Mari Kamar. Auch sie kennt Nuri
El Ruheibany bereits aus Damaskus, der Hauptstadt
des geschundenen Syriens. Tapfer lächelt sie in die Kamera und
antwortet auf die Fragen, die die NDR-Reporterin ihr auf englisch
stellt.
Nur die Klarinette ist ihr geblieben
Irgendwann bricht es aus ihr heraus, sie stockt, beginnt zu weinen, als sie berichtet, wie sie aus Syrien geflohen ist - ihr einziges Gepäckstück war ihre Klarinette. Sie entschuldigt sich mehrfach für ihre Tränen. „Ich habe nichts mitgebracht außer meiner Musik“, berichtet die junge Musikerin, deren Mutter bereits verstorben ist, und deren Vater im umkämpften Aleppo lebt - allein. „Es ist so schwer, alles zu verlieren und ganz neu anzufangen“, berichtet die Musikerin lächelnd, aber unter Tränen.
Die
Stadt Aleppo im Norden Syriens wird seit Sommer 2012 umkämpft. Weite
Teile der Stadt sind zerstört, ein großer Teil der Bewohner
ist geflüchtet. Mari ist ihrem Bruder und ihrer Schwester nach Holland
gefolgt. Seit zwei Jahren lebt sie in Rosendaal.
Die Klarinettistin Mari Kamar ist Teil des „Syrian Expat Philharmonic Orchestra“, genau wie alle anderen der 16 Musiker, die auf Einladung von Nuri El Ruheibany am Festkonzert der Lüneburger Symphoniker im Verdo teilnahmen. Dem niedersächsischen Kultusministerium war diese besondere konzertante Idee 10.000 Euro Förderung wert, und auch Thorsten Pils, Vorstand der Sparkasse Uelzen-Lüchow-Dannenberg, bringt spontan einen Scheck über 1500 Euro für die Musiker mit. „Das ist doch selbstverständlich“, meint Pils in der Pause.
Beethoven und "Musikalische Bilder aus dem Orient"
Eingefädelt hat den Coup Christoph Maria Lang aus Loge, der gemeinsam
mit Nuri El Ruheibany die Idee hatte, Ruheibanys ehemalige Musiker aus
Damaskus für das Konzert zu gewinnen. Die „Expats“ leben verstreut in
ganz Europa. Einge haben Engagements in Orchestern
gefunden, andere sind arbeitslos oder machen andere Jobs.
Musikdirektor der „Expats“ ist Kontrabassist Raed Jazbeh. Maher Al Kadi und Rahaf Abbas spielen Violine: Er ist seit
acht Monaten in Deutschland, studiert inzwischen Musik in Lüneburg, sie
lebt seit zwei Jahren in der Musikhochburg
Leipzig.
Während des Konzertes lachen die Musiker albern mit ihren Kollegen aus
Deutschland herum. Die Stimmung ist streckenweise euphorisch -
angestachelt von der wunderbaren Musik.
Für die eigentlich auf dem Programm stehende Pianistin Shin-Heae Kang,
die nur einen Tag vor dem Konzert absagte, konnte in buchstäblich
letzter Sekunde vollwertiger „Ersatz“ beschafft werden: Pianist Gerrit
Zitterbart intonierte Beethovens Klavierkonzert Nr.
4 zart, lyrisch, gleißend - eine Glanzleistung.
Schon Robert Schumann
pries das Stück als „Beethovens vielleicht größtes Klavierkonzert“. Die
Begeisterung hält bis heute an - eine kluge Wahl von El Ruheibany und
Lüneburgs Generalmusikdirektor Thomas Dorsch,
den Abend mit diesem Werk zu eröffnen.
Vor der Pause konnte sich Nuri El Ruheibany dann den lange gehegten
Traum erfüllen und seine eigenen „Musikalischen Bilder aus dem Orient“ dirigieren - interpretiert vom deutsch-syrischen Spontanorchester.
„Es erfreut mein Herz, dass meine Landsleute hier mit offenen Armen und
Herzen aufgenommen worden sind“, so Nuri El Ruheibany ans Orchester
gewandt.
Nach den einfühlsam interpretierten, lyrisch-evokatorischen „Bildern aus
dem Orient“ dankte ihm das Publikum mit Bravorufen und donnerndem
Applaus.
Das zupackende Dirigat von GMD Thomas Dorsch, der die „Fünfte“, die
Schicksalssymphonie von Beethoven als letzten Programmpunkt mit den
deutsch-syrischen Musikern aufführte, ließ auch dieses Werk strahlen.
Ein berührender, ein wunderbarer, ein denkwürdiger
Abend.
Fotos / Björn Vogt: Ein Auftritt mit Seltenheitswert: Das „Syrian Expat Philharmonic Orchestra“ mit seinem ehemaligen Leiter Nuri El Ruheibany auf der Bühne des Verdo in Hitzacker. El Ruheibany hatte seine ehemaligen Musiker in Bremen aufgestöbert und zu einem gemeinsamen Festkonzert mit den Lüneburger Symphonikern eingeladen.