Zischen als Zeichen des Missfallens war zu hören, als das Publikum in der Hitzackeraner Johanniskirche am Sonntagnachmittag erfuhr: Der einzige Befürworter des Elbeausbaus, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, hatte sein Erscheinen beim Elbe-Kirchentag abgesagt.
Der für Ferlemann gedachte Stuhl auf dem Podium blieb stehen – leer. Den etwa 100 Interessierten im Gotteshaus berichtete „Publikums-Anwalt“ Propst Stephan Wichert-von Holten, wie der Staatssekretär sein Fernbleiben begründet hatte: Enak Ferlemann hätte gern ein bisschen früher gewusst, wer denn außer ihm im Podium sitzen werde, und: Er, Ferlemann, oder Verkehrsminister Peter Ramsauer selbst würden in Kürze ein Gespräch mit „einer Organisation“ in puncto Elbe führen – und diesem Gespräch solle nicht durch einen öffentlichen Auftritt vorgegriffen werden.
Viele umweltpolitisch Engagierte kamen
Ein Streitgespräch, wie es wohl viele in der Kirche erwartet hatten, gab es also nicht. Die zwei Diskussions-Stunden beschränkten sich auf Statements gegen den Ausbau der Elbe - mit deren Vertiefung auf mindestens 1,60 Meter im Interesse des Schiffsverkehrs - und für den Erhalt der Elb-Natur. Ergänzt wurden die Podiums-Beiträge durch Fragen und zustimmende Kommentare aus dem Publikum, in dem viele umweltpolitisch engagierte Menschen zu sehen waren, unter ihnen der hiesige Landtagsabgeordnete Kurt Herzog (Die LINKE). Als Moderator agierte Dr. Hans-Joachim Döring, Beauftragter für Umwelt und Entwicklung der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland.
BUND-Bundesvorsitzender: Fehler am Fluss beheben
Professor Dr. Hubert Weiger, Bundesvorsitzender des Bundes für Natur und Umwelt (BUND), gab zu bedenken, wie arm Deutschland mittlerweile an frei fließenden Flüssen sei. Diese Freiheit genieße die Elbe noch über mehrere 100 Kilometer; dadurch seien hochwertige Lebensräume an diesem Strom erhalten geblieben, über 220 Schutzgebiete gebe es an seinen Ufern. Eine Vertiefung würde schwere Eingriffe in die Natur zur Folge haben, warnte Weiger. Es bestehe die „historische Chance“, Fehler auszuräumen, die an der Elbe begangen worden seien. Das heiße auch: Deich-Rückbau, wo keine Siedlungen betroffen sind.
Klima-Experte: Elbe immer weniger für Schifffahrt geeignet
Professor Dr. Manfred Stock vom Institut für Klimaforschung in Potsdam prognostizierte: Es werde immer wärmer, woraus eine stärkere Wasserverdunstung resultiere – und der Regen im Sommer gehe zurück. Folge: Niedrigwasser in der Elbe, die dadurch immer weniger für die Schifffahrt geeignet sei.
Grünen-Abgeordneter: Zukunft liegt im sanften Tourismus
Durch so genannte laufende Unterhaltungsmaßnahmen in der Elbe, so ergänzte der Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn (Bündnis 90/Die Grünen), sei die Schifffahrt in der Elbe künftig nicht mehr zu gewährleisten. Kühn, er ist Mitglied der parteiübergreifenden parlamentarischen „Gruppe frei fließende Flüsse“, erinnerte daran, dass Staatssekretär Ferlemann unlängst erklärt habe: Wenn die Schiffsverkehr auf der Elbe durch die laufende Unterhaltung nicht mehr gesichert sei, müsse der Fluss vertieft werden. Dabei werde nicht bedacht, so Kühn, dass von den Gütern, die auf den deutschen Wasserstraßen transportiert werden, gerade mal 1,63 Prozent den Weg auf der Elbe nehmen. Es sei unrealistisch, mit einer Zunahme dieses Verkehrs zu rechnen. Die Zukunft der Elbe liege vielmehr in ihrer Bedeutung für Natur und Erholung, für sanften Tourismus in der Region. „Das wiederum bringt Arbeitsplätze“, unterstrich der Abgeordnete. Er regte weiter an, über die Rückstufung der Elbe von ihrem derzeitigen Status als Bundeswasserstraße nachzudenken. Dieser Schritt würde Geld einsparen, das für sinnvolle ökologische Maßnahmen in puncto Fluss eingesetzt werden könnte.
Bundesrechnungshof überprüft Wasserbehörden
Mit Interesse und Zustimmung wurde von den Anwesenden Kühns Mitteilung aufgenommen, der Bundesrechnungshof sei beauftragt worden, Wasser- und Schifffahrtsbehörden auf ihre Ausgaben für die Unterhaltung des Flusses hin zu überprüfen. Dabei werde auch untersucht, ob es sich bei den kostenträchtigen Arbeiten wirklich nur um Unterhaltungs- oder schon um Ausbaumaßnahmen oder ähnliche Schritte handele.
Professor Weiger vom BUND bemerkte hierzu, das Personal der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen könne den vorhandenen Sachverstand sehr gut einsetzen: Und zwar nicht in Sachen Elbvertiefung, sondern beim Schaffen eines ökologischen Hochwasserschutzes und beim Beheben der Schäden, die staatlicherseits bislang an der Elbe angerichtet worden seien.
Gesamtkonzept für die Elbe gewünscht
„Nehmen sie mit, dass wir dieses Kleinod erhalten wollen“, rief Hitzackers Museumsleiter Klaus Lehmann gegen Ende der Veranstaltung den Gästen auf dem Podium zu. Namens einer Arbeitsgruppe des Elbe-Kirchentags verteilte Lehmann sodann einen Forderungskatalog, in dem es unter anderem heißt: Die deutsche Bundesregierung soll ein Elbe-Gesamtkonzept mit allen Interessengruppen und den Nachbarländern erarbeiten, wie es bereits seit Jahren versprochen und von Umweltverbänden und Kirche gefordert wird.
Der weitere Text des Forderungskatalogs:
- Die Verlängerung von Buhnen und die Verbreiterung von Deckwerken führen zur weiteren Verengung des Flussquerschnittes und somit zur Beschleunigung des Fließgeschwindigkeit. Die dadurch ausgelöste Vertiefung des Flusses führt dazu, dass der Auenlandschaft zunehmend das Wasser abgegraben wird. Es fehlt vor allem im Sommerhalbjahr den Pflanzen und Tieren, aber auch der Land- Forst- und Fischereiwirtschaft. Außerdem würden die entsprechenden Maßnahmen Flachwasserzonen – Lebensräume für Fische und Vögel – vernichten.
- Eine garantierte Eintauchtiefe von 1,60 Metern ist entlang der gesamten Elbe seit 20 Jahren nicht mehr vorhanden und auch künftig nicht ganzjährig zu garantieren, Durch den Klimawandel wird sich die Wassermenge der Elbe im Sommer weiter reduzieren. Binnenschiffe weichen zwischen Magdeburg und Geesthacht meist auf den durchgängig befahrbaren Elbe-Seitenkanal aus. Für die Passage von 2000-Tonnen-Großmotorgüterschiffen muss das Schiffshebewerk Scharnebeck ertüchtigt werden. Das ist die Forderung aller Parteien.
- Baumaßnahmen in der Elbe dürfen nicht weiter mit schwermetallhaltigen Schlacken, sogenannten künstlichen Wasserbausteinen, durchgeführt werden. Eigentlich wären diese Abfälle als Sondermüll zu entsorgen. Die langfristigen Folgen für Flora und Fauna in Biosphärenreservat und in der Nordsee sind nicht absehbar.
- Statt die Elbdeiche immer weiter zu erhöhen, sollte dem Fluss bei Hochwasser durch weitere Rückdeichungsprojekte wie zum Beispiel in Lenzen, Boizenburg und Amt Neuhaus mehr Überflutungsraum gegeben werden.
- Der Hochwasserschutz ist gemeinsames Anliegen aller Elbanlieger. Ein Abfluss muss gewährleistet sein. Inwiefern Büsche und Bäume am Ufer ihn behindern, muss fachübergreifend diskutiert werden, um einen Weg zu finden, der sowohl dem Hochwasser- wie dem Naturschutz gerecht wird.
- Fahrwasser und Hafeneinfahrten müssen für kleinere Ausflugsschiffe und Motorboote freigehalten werden.
- Flussbaumaßnahmen sollten generell auf Umweltverträglichkeit sowie FFH (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) geprüft werden, um die Arten und Biotopvielfalt nicht zu gefährden. Die Elbe als letzter auf weite Strecken nicht vollständig ausgebauter Fluss Mitteleuropas darf nicht zum Kanal werden.
- Erhaltung und naturverträgliche Nutzung des Grünlandes ist für die Landwirtschaft , den Artenschutz und die Erlebbarkeit der Landschaft gleichermaßen wichtig. Das Problem der Schadstoffaltlasten im Vorland muss deshalb noch sorgfältiger untersucht und gelöst werden.
- In Zeiten ausreichender Wasserstände ist nichts gegen die Lastschifffahrt auf der Elbe einzuwenden. Die Elbe soll aber nicht den Schiffen, sondern die Schifffahrt muss sich der Elbe anpassen. Elbgemäße Fahrgastschiffe und Sportboote erfüllen diese Voraussetzungen zumeist.
Foto: Hagen Jung / (von lins): Prof. Dr. Manfred Stock vom Institut für Klimaforschung, Dr. Hans-Joachim Döring, Beauftragter für Umwelt und Entwicklung der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, BUND-Bundesvorsitzender Prof. Dr. Hubert Weiger und Bundestagsabgeordneter Stephan Kühn.
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