Über zehn Jahre dauerte es, bis die Sanierung des historischen Zehntspeichers in Gartow abgeschlossen werden konnte. Am Freitag wurde das Gebäude als "multikultureller Veranstaltungsort" wiedereröffnet.
Nach einer langjährigen Gebäudesanierung heißt es oft
„...erstrahlt in neuem Glanz.“ Oder so ähnlich. Beim Zehntspeicher in Gartow ging es um etwas Anderes. Das denkmalgeschützte Gebäude sollte für weitergehende Nutzungen saniert werden - und dennoch seinen historischen Charakter nicht verlieren.
Von Anfang an war klar, dass jegliche Sanierungsmaßnahmen die Struktur des Gebäudes so wenig wie möglich verändern dürfen. Das sah nicht nur die Denkmalschützerin des Landkreises so, sondern war auch die Grundhaltung von Architekt Ralf Pohlmann, der gemeinsam mit seinem Team beeindruckend sensible Lösungen fand.
Am Freitag war nun das Ergebnis der jahrelangen Planungen und Arbeiten
zu erleben: ein Gebäude, das äußerlich nichts von seiner historischen
Struktur verloren hat - im Inneren aber - kaum sichtbar - diverse
funktionale Verbesserungen erhalten hatte. Von einer erneuerten Stromversorgung über modernisierte sanitäre Anlagen sowie Brandschutzmaßnahmen in den Zwischendecken. Dort, wo der Austausch von Decken- bzw. Bodenbohlen notwendig war, wurde Holz aus den eigenen Bernstorff'schen Wäldern eingesetzt.
An Kleinigkeiten lässt sich erkennen, wie sensibel saniert wurde: an den Holzbalken sind Steckdosen angebracht, von denen aus technische Geräte mit Strom versorgt werden. Doch wo kommt der Strom her? Ein Gespräch mit dem Elektroinstallateur lüftet das Geheimnis: Der Balken wurde diagonal nach unten laufend bis in den Keller durchbohrt, wo die Kabellage für die gesamte Stromversorgung zusammenläuft. Nur an wenigen Stellen sind deswegen Kabel zu sehen.
Ein Kunstraum mit Atmosphäre
Jenseits der technischen Sanierung wurde das Gebäude für Veranstaltungen und Kunstausstellungen umgestaltet. Der untere Bereich steht nun für Seminare und Tagungen zur Verfügung, während die obere Etage weitestgehend Kunstausstellungen vorbehalten bleibt.
Wer die Kunstausstellungen im Zehntspeicher kennt, der weiß, wie improvisiert angesichts fehlender Budgets gearbeitet werden musste. Lampen aus dem Baumarkt, durch Seile oder Ketten in Richtung gezogen, selbst gestrichene Trennwände aus OSB-Platten waren oft genug die einzige Ausstattung für anspruchsvolle Ausstellungen. Diese Zeiten sind jetzt vorbei.
Auch hier zeigt sich, was Architekt Pohlmann meint, wenn er von einem introvertierten Gebäude spricht. Durch die kleinen Fenster ist der Raum recht dunkel, die Welt bleibt draußen. Die massiven, rund 20 x 20 cm dicken Balken und eine recht niedrige Decke schaffen zusätzlich eine geschlossene Atmosphäre.
Diesen Charakter wollte man durch die Umgestaltung nicht verändern, sondern unterstreichen. Das Licht kommt nicht von außen, sondern über zahlreiche an Deckenschienen laufenden Strahlern, die einzeln einstellbar sind. So kann jedes einzelne Werk individuell und punktgenau ausgeleuchtet werden.
Die Entscheidung, die mobilen Ausstellungswände in grau statt in - bisher - galerieüblichem weiß zu halten, ist ein genialer Schachzug. Dadurch bleibt der Raum eine Einheit und wird nicht durch große weiße Flächen zerrissen. So dominiert die Kunst den Raum und nicht der Raum die Kunst.
Welche Wirkung diese Neugestaltung hat, ist eindrücklich bei der ebenfalls am Freitag eröffneten Fotografie- und Videoausstellung "Walking on Water" zu erleben. Licht setzt die Akzente, strukturiert den Raum rhythmisch, lässt ihn beinahe verschwinden. Fotografien und Videoinstallationen wirken auf diese Weise geradezu schwebend.
Tischbeine und Stühle des "Tisches" sind kaum sichtbar. Wahrnehmbar ist einzig die Projektion einer 24-köpfigen Dinnergesellschaft, von der nur die Gedecke sowie Arme und Hände zu sehen sind. Eine Gesellschaft, die an einem Tisch sitzt, der im Ozean zu treiben scheint - unter den Tellern schwimmen Fische oder schwappen kleine Plastikteilchen hin und her, während die Hände ungerührt Meeresfrüchte auf ihre Teller schaufeln. Die Isoliertheit im Raum macht zusätzlich die Entfremdung der Dinnerteilnehmer von ihrer Umwelt deutlich.
"Introvertiert" nennt Architekt Ralf Pohlmann den Zehntspeicher. Zumindest bei dieser Ausstellung wird mensch in den Raum hineingezogen - und mit einer veränderten Wahrnehmung in die "Außenwelt" entlassen. Bleibt zu hoffen, dass die weiteren Ausstellungen in diesem historischen Gebäude sich ebenso sensibel auf den Raum einlassen wie "Walking on Water".
Insgesamt wollen die Eigentümer, Catharena und Fried von Bernstorff, das Gebäude zu einem multikulturellen Veranstaltungsort weiterentwickeln. Ein Ort der "Begegnung und der Transformation" solle es werden, so Fried von Bernstorff. Neben Kunstausstellungen sind auch Seminare und Tagungen geplant.
Fotos | Angelika Blank
Kunstinstallation: Louis von Adelsheim + Karl Anton Koenigs