Lange vor „Apocalypse Now“ und „Platoon“ testete das New Yorker „Living Theatre“ mit seinem Stück „The Brig“ („Der Knast“) die Belastbarkeit des Publikums. Kurz nach der aufsehenerregenden Premiere im Jahr 1963 wurde das Theater unter dem Vorwand von Steuerschulden geschlossen, die Zuschauer kletterten am Abend darauf über die Absperrungen.
Die Aufzeichnung des Stücks von Jonas Mekas wurde 1964 auf dem Filmfestival von Venedig ausgezeichnet. Mit „The Brig“ verarbeitete Kenneth H. Brown seine 30tägige Tortur in einem US-Marineinfanteriegefängnis im Jahr 1957 in Japan. Das Stück hatte bei der Wiederaufführung im Frühjahr 2008 in der Berliner Akademie der Künste nichts von seiner Aktualität verloren.
Zu sehen ist ein großer Käfig mit Stockbetten. Die Soladaten tragen statt Namen Nummern, müssen sich selbst als Maden, Dreck oder Weicheier bezeichnen. Sie sind rund um die Uhr den Launen der Aufseher ausgeliefert, dürfen weiße Linien auf dem Boden nicht übertreten, müssen sich wie Zirkuspferde trabend bewegen und weitere idiotische Rituale absolvieren – eine Tyrannei, die immer wieder auch Realität wurde, von Bautzen bis Guantanamo. Die Schauspieler bewegen sich wie ferngesteuerte Puppen; fast ein Tanztheater. Die Kamera bleibt ihnen dicht auf den Fersen, zeigt Gesichter in Großaufnahmen, verzerrte, brüllende Münder.
Abgefilmtes Theater kann nerven. Hier machen Karin Kaper und Dirk Szuszies, die bereits vor fünf Jahren mit „Resist!“ die Arbeit des „Living Theatre“ beschrieben, durch fließende Überleitungen aus der Bühnenaufführung in die Spielszenen der Truppe auf dem Berliner Oranienplatz am 1. Mai 2008 und durch stimmiges Einflechten von Hintergrundinterviews das The-ater in seiner puren Form spannungsvoll spürbar.
„Wir leben alle in einem Gefängnis, sei es, daß wir in der Struktur der Arbeit oder der des Geldsystems gefangen sind“, sagt die 83jährige Regisseurin Judith Malina, die seit über 60 Jahren das „Living Theatre“ leitet. Mit „Another Glorious Day“ gönnen sich Zuschauer sicherlich keine entspannte Kinounterhaltung, aber die Gewißheit, daß Theater aufrühren und verwandeln kann.
Am Freitag, dem 5. März, um 20.30 Uhr im Kino „Alte Brennerei“ in Lüchow. Der Regisseur wird anwesend sein.