Thema: kunstkammer

Wein, Weib und Entrüstung - Tomi Ungerers Zeichnungen in Gartow

Ein Mann giesst Wein in den rückwärtigen tief gelegten Rückenausschnitt einer Frau, die ihn umarmt. Eine Frau beugt sich mit nackten Brüsten, langen schwarzen Strümpfen und High Heels mit ausgestreckter Zunge zu einer Weinflasche nieder, auf der ein Glas Wein abgestellt ist. Beides Zeichnungen von Tomi Ungerer, die er für einen befreundeten Mosel-Winzer gezeichnet hat - und die ab Freitag in der Kunstkammer Gartow ausgestellt werden. Andere Etiketten zeigen nackte Frauen von hinten, gebeugt, oder auf einen Tisch kletternd. ... Für die Vinothek Wendland, eigentlich mit den Kunstkammer-Betreibern befreundeter Weinladen, Grund genug, diese "anstössigen" Flaschen nicht haben zu wollen. "Auf gar keinen Fall werden wir die Weine mit diesen pornographischen Etiketten hier im Laden verkaufen", die Entscheidung der Vinothek ist endgültig und unwiderruflich - zumal der Inhaber des Weinladens neben der Kunstkammer in Gartow sich im Urlaub befindet und seine Entscheidung weder begründen noch zurücknehmen kann. Andere Reaktionen waren weitaus drastischer. Geradezu eklig seien diese Etiketten, "Phantasien von alten Männern" - mit einem derartigen Abscheu vorgetragen, dass man meinen könnte, die Kunstkammer hätte einem Zuhälter die Möglichkeit gegeben, aus seinem Arbeitsalltag zu berichten.

Tomi Ungerer kennt diese Reaktionen auf seine Arbeit schon - vor allem in der Provinz begegnet er immer wieder moralischer Entrüstung. Ihn amüsiert es. "Warum soll man seine erotischen Fantasien nicht ausleben dürfen, wenn man niemandem damit wehtut?" fragte er in anderem Zusammenhang bereits vor Jahren. Und auf die Frage eines STERN-Reporters: »Sie haben sich stets als Erotomanen bezeichnet, gilt das heute noch?« antwortete Ungerer: »Klar. Ein neues Buch zum Thema Sex hab ich in der Schublade.« Auch im "Fall" Gartow hat er nur gelacht, als er von der vehementen Ablehnung hörte - und es abgelehnt, der Dame auf dem Plakat einen Pullover anzuziehen. Denn auch der finnischen Post, die seit Jahren für den Westwendischen Kunstverein Sonderbriefmarken druckt, war das diesjährige Motiv für den Versand zu "nackt" - sie verweigerte sich, aus dem Plakat eine Briefmarke zu machen.

Dabei hat Ungerer klare künstlerische Vorstellungen. »Die weiße Linie muss technisch clar und sauber sein. Hintergrund eine andere Farbe, Lila oder Flieder. Zu dunkel vorher und ohne Kontrast mit dem Schwarzen«. Mit derart präzisen Korrekturwünschen steuert der über 70jährige Tomi Ungerer noch immer die Auflagendrucke seines künstlerischen Werks - über 150 Bücher und dreißig- oder vierzigtausend Zeichnungen. Darunter die unzähligen erotischen Blätter - von Moralaposteln als pornographischer Schweinkram verunglimpft und mit Druckverboten belegt. Wie beispielsweise das »Kamasutra der Frösche«, das selbst das Ungerer-Museum in Straßburg vorsichtshalber etwas abseits vom Besucherstrom im Untergeschoss mehr versteckt als zeigt. Von der ZEIT wurde Ungerer als "Denkmal provokativ-erotischer Kunst" gefeiert.

Dass es kaum ein Thema gibt, dessen meist verborgene erotische Dimensionen Tomi Ungerer nicht mit dem Zeichenstift enthüllt, zeigt die in der Kunstkammer
ausgestellte Edition »Wein und Weib«, sechs Weine von den Weinbergen des Hamburger Grafikers und Werbedesigners Udo Burk, zu denen sein Freund
Tomi Ungerer sechs provozierend erotische Etiketten entworfen und gezeichnet hat: Sechs x Sex lautet denn auch der Titel der Ausstellung. Wobei nicht der
Riesling oder der Spätburgunder aus Dittelsheim, Rheinhessen im Mittelpunkt stehen, sondern der künstlerische Aufwand und Ernst, mit dem Tomi Ungerer
auch ein so frivoles Projekt wie erotische Etiketten erarbeitet.

Von der ersten schriftlich fixierten Idee über die tastende, skizzenhafte Andeutung bis zu den aus- und immer wieder überarbeiteten Reinzeichnungen - von
den unzähligen Farbtests bis schließlich zu den fertigen, vignettenhaften Bildern ist der ganze Entstehungsprozess der Etiketten dokumentiert. Eine Ausstellung
also, die nicht nur die ebenso faszinierend einfach wie künstlerisch verblüffend gestalteten Symbole der Lust zeigt, sondern zugleich Einblick in den typisch
Ungerer'schen Arbeitprozess gewährt. Ein streng kontrollierter Prozess, der der überbordenden Fantasie Tomi Ungerers ihre zeitlose künstlerische Form - selbst in der kleinen Zeichnung - gibt.

Hintergrund:

Tomi Ungerer, geboren 1931, stammt aus einer Straßburger Uhrmacherfamilie. Er verpatzte die Reifeprüfung, trampte dafür durch ganz Europa und veröffentlichte
erste Zeichnungen im ›Simplizissimus‹. Mitte der 50er Jahre ging er nach New York, wo sein unaufhaltsamer Aufstieg als Zeichner, Maler, Illustrator, Kinderbuchautor und Werbegraphiker begann. Nach einigen Jahren auf einer Farm in Nova Scotia, Kanada, lebt er heute mit seiner Familie im Südwesten Irlands und in Straßburg. Tomi Ungerer wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit der Légion d'honneur, dem Bundesverdienstkreuz für seinen Beitrag zum kulturellen Austausch und mit dem ›Hans Christian Andersen Award 1998 for Illustration‹. 2000 wurde er vom Europarat zum Botschafter für Kinder und Erziehung in Europa ernannt. Tomi Ungerer ist der erste lebende Künstler, dem Frankreich ein Museum widmete: das im Herbst 2007 eröffnete ›Musée Tomi Ungerer - Centre International de l'Illustration‹ in Straßburg.

Am Freitag, dem 01. August, wird die kleine Ausstellung im 19.00 Uhr in der Kunstkammer Gartow (Hauptstrasse) eröffnet. Der Hamburger Neurochirurg und enge Ungerer-Freund Dr. Alvaro Godoy wird dann in die bizarre Zeichenwelt Tomi Ungerers einführen.


Vorankündigung: Tischgespräch + Weinverkostung der Ungerer-Weine mit Musik am 23. August, 19:30 Uhr – ebenfalls in der „Kunstkammer“.

Foto: Ausschnitt aus dem Plakat zur Ausstellung




2008-07-28 ; von asb (autor),

kunstkammer   westwendischer kunstverein  

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