Thema: literatur

Der alte Mann und die Liebe zu den Büchern

"Gemeinsam umstritten" - das war die Überschrift zu einer  Veranstaltung der 'Wendischen Dialoge' am vergangenen Samstag im Trebeler Studio von Ernst von Hopfgarten. Ausgestellt waren Bilder von Künstlern, die durch Genet oder de Sade sich hatten inspirieren lassen: Josi Vennekamp, Uwe Bremer, Horst Janssen, Hans Anschütz u.a.

Die Autorin und Filmemacherin  Sibylle Plogstedt moderierte die Veranstaltung und sprach von Genet als 'Meister des Tabubruches'.

"Was das Wendland mit Genet zu tun hat, wenn man denn unbedingt eine Verbindungslinie herstellen möchte - das wären in dem Falle die Rixdorfer"- so sagte es der 90 jährige Verleger Andreas Meyer vom Merlin Verlag. Der Verlag  residiert seit 1980 in Giskendorf bei Lüneburg, nachdem die Mieten in Hamburg zu hoch wurden, zogen sie mit sämtlichen Büchern um.

Der alte Mann und die Liebe zu den  Büchern

Mit 90 Jahren möchte man auch noch gerne so präsent sein und so überaus sympathisch wie Andreas Meyer, der einen voll besetzten Saal mit seinen Anekdoten der Begegnungen mit  Jean Genet, und der Geschichte der Gründung seines Merlin- Verlages begeisterte. Den hatte er 1957 ursprünglich in Hamburg als Theaterverlag gegründet, auf Drängen seines Vaters, einem Gerichtspräsidenten, hatte er eine Verlagslehre gemacht, obwohl er ursprünglich Architekt hätte werden wollen.

Unterbrochen wurden die spannenden Erinnerungen Andreas Meyers durch Lesungen von Genets Texten. Wolfgang Kaven las aus 'Tagebuch eines Diebes', und 'das Totenfest'. Da las einer, der alle im Saal vergessen lies, dass er  'nur'  las - Kaven wurde durch sein verinnerte Darstellung zu Genet selbst - mit kleinen Gesten, sehr eindringlich, zog er seine Zuhörer in Bann.

Hinein in eine Welt der Grausamkeiten, die wir uns kaum trauen, zu denken. Zurückschrecken, weil wir doch gute Menschen sein wollen. Und der alten Dame auf dem Stuhl neben mir war anzumerken, dass sie es kaum aushalten konnte, von Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Vierteilung einer Katze usw. zu hören, ausgesetzt Genet's radikalen abgründigen Beschreibungen, aus dem Dunkel des Unsagbaren.

Was auch heutzutage sicher nicht in allen Fällen politisch korrekt ist, und dem Merlin Verlag mit 'Notre Dames des Fleurs' den zweiten Prozeß einbrachte, der in Deutschland um Jean Genet geführt wurde.  Einen Literaturprozess wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften - der damals mit einem Freispruch endete.

Die Zähigkeit und Streitlust des Verlegers Andreas Meyer in puncto "Notre-Dame-des-Fleurs" sollte sich lohnen, denn dank des liberalen Staatsanwaltes wurde nicht mehr das Anstandsgefühl des Normalbürgers als Maßstab einer strafrechtlichen Beurteilung der zeitgenössischen Kunst zugrunde gelegt, sondern die zeitgenössische Kunst selbst.

Und dies brachte Andreas Meyer den Spitznamen: Schweinemeyer ein, in die Welt gesetzt von seinem Konkurrenten, dem Verleger  Ledig-Rowohlt, was über all die Jahre die Verlagsszene überschattete, auch Reich Ranicki spottete gern über 'Schweinemeyer'.

"Genet wollte das Böse ausbeuten, das Böse im Schönen finden - er schrieb: Nur der Irrtum lehrt die Wahrheit"

Andreas Meyer erzählte mit einem Lächeln über Genet's Theaterstück "Die Neger".

Das herauszugeben hätte er schon damals schwierig gefunden, weil  "es gab ja keine schwarzen Schauspieler an deutschen Theatern . Und das Stück  - nun ja, das müsste ja heute umbenannt werden, weil man das Wort Neger  heute gar nicht mehr sagen darf.  Das ist politisch nicht mehr korrekt" . (Was müsste dann alles umbenannt werden... Zigeunerschnitzel, Schwarzfahren in Weissfahren, Schneewittchen und die sieben Kleinwüchsigen usw.)

Genet schilderte er als unerbittlich, " er konnte in bestimmten Situationen nicht nachgeben, er war unerbittlich und gleichzeitig ein großartiger Mensch. War immer auf der Seite der Verlierer, der Unterdrückten".

Das Credo Andreas Meyers ist ein Zitat aus 'Notre  dame des fleures' von Jeant Genet: "Dichtung ist eine Vision der Welt, die erreicht wird durch eine manchmal erschöpfende Anstrengung des gespannten Willens. Sie hat nichts mit sich gehen lassen zu tun, oder einem kostenlosen Eintritt
durch die Welt der Sinne."  

Es war eine Freude und ein  Erlebnis, diesem Mann zu begegnen,  und seine Liebe zur Sache zu spüren, die ihn zeitlebens dazu angetrieben hat, Bücher herauszugeben. Und was für Bücher!

 



2017-07-16 ; von Roswitha Ziegler (text),
in Trebel, Deutschland

literatur  

Kommentare

    Sie müssen registriert und angemeldet sein um einen Kommentar schreiben zu können