Giora Feidman war in Hitzacker. Es wurde nicht nur ein grandioses Konzert, sondern ein eindringliches Plädoyer für Brüderlichkeit und Frieden. Ein musikalischer Trost in finsteren Zeiten.
Giora Feidman ist kein Politiker. Er ist Musiker aus ganzem Herzen. Für ihn ist Musik die "Sprache der Seele", mit der seine Gefühle ausdrückt. Und doch wurde das Konzert in Hitzacker jenseits aller Tagespolitik zu einem höchst politischen Bekenntnis für Brüderlichkeit und Toleranz.
"Das Königreich der Musik überwindet
die Sorgen des Alltags, überbrückt Religionen oder Alter," sagte Feidman einmal in einem Interview mit der jazzeitung. Was er damit meint, war in Hitzacker zu erleben: die Nationalhymnen von Deutschland, Israel und Palästina verband der in Argentinien geborene überzeugte Jude zu einem einzigen Musikstück. Harmonisch die Übergänge, spielerisch miteinander verbunden die musikalischen Einflüsse Europas und des Nahen Ostens, kaum spürbar die Unterschiede zwischen israelischer und palästinensicher Musikkultur.
Für Feidman sind die Palästinenser "seine Brüder". "Palästinenser sind keine Terroristen. Palästinenser sind Menschen, unter denen ein paar Idioten leben, die meinen mit Terrorismus die Verhältnisse ändern zu können," so Feidmans sehr authentisches Plädoyer für die Überwindung von nationalen und religiösen Schranken.
Ein seltsames Erlebnis war es auch, vom bessarabischen Juden, dessen Eltern wegen der Judenprogrome nach Argentinien auswanderten, zum Mitsingen von "Donna, Donna" aufgefordert zu werden. Ausgerechnet dieses Lied, welches die Situation der Juden im Dritten Reich thematisiert, gemeinsam mit einem Israeli zu singen, hatte etwas Beklemmendes. Dürfen wir das? Gemeinsam mit einem verfolgten Juden fröhlich dieses altbekannte Lied singen, welches wir xmal auf katholischen (oder evangelischen) Jugendfreizeiten unbedacht am Lagerfeuer gesungen haben?
Feidman spielt dieses Spiel wohl bei all seinen Konzerten, wie zu hören ist. Doch er meint es nicht als pädagogische Maßnahme, um Deutsche an ihre Schuld zu erinnern. Nein, für ihn ist das gemeinsame Singen eben genau diese Überbrückung von Religionen und Rassenhass, seine Botschaft an alle Völker, sich zu vertragen. Wie wichtig ihm dieses Zusammenspiel ist, hatte er einmal so geäußert: "Hier in Deutschland sitzen
wir zusammen, Juden und Deutsche, und singen zusammen. Diese Botschaft müsste
doch die ganze Menschheit erreichen können." (Quelle: ebenfalls Interview in der jazzzeitung ) Dieser Versöhnungsgedanke sprang über: ohne Zögern sangen all die über 300 ZuhörerInnen im Verdo den Refrain mit. Inbrünstig - und teilweise mit gefalteten Händen. Irgendwie mutierte dieses Konzerte zeitweise zu einem musikalischen Gottesdienst - zum Beispiel, als einige vom Gorlebenwiderstand bewegte Geister aus eigenem Antrieb "Shalom Alechem" intonierten.
"Mein Mikrofon ist die Klarinette"
Er redete nicht viel, dieser kleine alte Mann, der mit seiner Klarinette verwachsen scheint. Vieles von dem, was er zu sagen hat, teilte sich durch die Musik mit. Immer wieder war es Wehmut, die zu spüren war. Sei es beim unglaublich zart und leise gespielten "Yesterday" von den Beatles oder bei dem alten hebräischen Volkslied "Hawa Nagila". Dieses Lied, welches das Glück des Lebens bejubelt ("Lasst uns singen, lasst uns tanzen. Erwachet Brüder mit einem glücklichen Herzen"), klang in Hitzacker beinahe wie ein Requiem, eine altersweise Reminiszenz an das Leben, an Musik, Gesang und Tanz.
Und Stücke wie "What a beautiful world" oder "Gracias a la Vida" zeugen von einem 80-jährigen, der das Leben liebt - aber auch weiß, dass er es wohl nicht mehr allzu lange wird genießen können.
Feidman spricht immer noch durch seine Klarinette, flüstert, schwärmt, fleht und begeistert sich. Doch ist es nicht mehr der unbeschwerte, kraftvolle Jubel über ein wunderbares Leben, sondern das stille Genießen eines inzwischen alten Mannes, für den Musik das Lebenselixier ist. Doch trotz der Zurückgenommenheit ist Giora Feidman wohl immer noch der genialste Klarinettist der Welt.
War es einer gewissen Schäche geschuldet oder seiner Großzügigkeit - dem Gershwin-Quartett, das ihn in Hitzacker begleitete, ließ er viel Raum. Still saß Feidman abseits auf der großen Bühne des VERDO und genoß ganz offenbar das exzellente Spiel der vier Violinisten (inklusive eines Cellisten). Vor Vergnügen klopfte er sich immer wieder auf die Schenkel, wenn dem Quartett eine grandiose Passage gelungen war.
Das Publikum hätte natürlich noch mehr von Feidman selbst gehört. Doch ihm bei seinem höchstpersönlichen Vergnügen zuzuschauen, war auch schon eine reine Freude. Seinem Ruf als "Botschafter der Versöhnung" wurde er auch in Hitzacker wieder gerecht.
Hier geht es zum vollständigen Interview von Giora Feidman mit der jazzzeitung .
Foto: Sascha Neroslavsky