Pünktlich um 18.30 Uhr endete das erste von mehreren angekündigten "Fachgesprächen" im Rahmen des "Gorlebendialogs" des Bundesumweltministeriums. Einziges Thema des heutigen Gesprächs: Gas- und Kohlenwasserstoffvorkommen im Salzstock Gorleben.
Wie angekündigt, waren die Gorlebengegner geschlossen dem Fachgespräch fern geblieben. Auch der Geologe Ulrich Schneider hatte vor einigen Wochen seine Podiumsteilnahme zurückgezogen. Für ihn macht eine weitere Erkundung des Gorlebener Salzstocks keinen Sinn mehr. Aus fachgeologischer Sicht hält er Salz für ein ungeeignetes Medium.
Aber auch von den acht eingeladenen Fragestellern aus der Internetdiskussion waren nur vier zur Diskussion nach Hitzacker gekommen. Von den restlichen rund 40 Anwesenden waren die Hälfte Pressevertreter. Die anderen Teilnehmer setzten sich zusammen aus drei Bürgermeistern aus Hitzacker und Gartow begleitet von zwei CDU-Abgeordneten, ihrem Kollegen aus dem Bundestag, Eckhard Pols sowie diversen Mitarbeitern aus verschiedenen Behörden und Unternehmen wie dem Bundesamt für Strahlenschutz, der DBE sowie dem Bundesumweltministerium.
Die Moderation des Nachmittags hatte das BMU einer externen Firma (Zebralog GmbH + Co KG) überlassen, deren geschäftsführender Gesellschafter, der Diplom-Psychologe für Organisationspsychologie und politische Psychologie Mathias Trénel, persönlich die Diskussion leitete. Bereits 2010 hatte Zebralog für das Bundesumweltministerium die Umsetzung des Umweltdialogs „mitreden-u“ übernommen.
Als Experten gaben Auskunft:
- Dr. Roland Wyss Schweiz / Selbständiger Geologe
Sein Arbeitsschwerpunkt waren immer wieder erdgasgeologische Untersuchungen und Beratungen, insbesondere unter dem Aspekt der Gassicherheit. Seit 2004 arbeitet Roland Wyss als selbständiger Geologe in den Bereichen Ingenieurgeologie, Hydrogeologie und Geothermie. (Dr.Wyss ist als Ersatz für Ulrich Schneider eingesprungen.
- Dr. Guido Bracke, Chemiker / GRS - Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit
Dr. Bracke koordiniert im Projekt „Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben“ die Arbeiten der Arbeitskreise Kohlenwasserstoffe, Quellterm und Kritikalität.
- Dr. Jan Richard Weber, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).
Er koordiniert die Arbeiten der BGR zur Vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben
Für das Bundesumweltministerium nahm Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser am Gespräch teil.
Einziges Thema: Umfang und Bedeutung von Gas- und Kohlenwasserstoffen im Salzstock Gorleben
Nach der Einführung von Dr. Weber befinden sich Gas- und Kohlenwasserstoffvorkommen zwar in der Nähe des Erkundungsbereichs aber nicht in direkter Umgebung. Dabei arbeitete er allerdings mit Karten, die lediglich Kohlenwasserstoffvorkommen „in wirtschaftlich nutzbarer“ Größenordnung darstellten.
In seinem weiteren Vortrag bestätigte Dr. Weber allerdings Funde von Gas- und Kohlenwasserstoffen im westlichen und östlichen Bereich des Erkundungsbereichs.
Michael Mehnert, früherer Mitarbeiter des Bundesamts für Strahlenschutz und als Fragesteller mit am Podiumstisch, stellte sich als einer der eifrigsten Mitdiskutanten heraus. Seine erste Frage: Warum die deutlich sichtbaren Kohlenwasseraustritte in Gorleben gerade dort auftreten und woanders nicht. Das müsse doch Ursachen haben.
Dr. Weber musste schon an dieser Stelle einräumen, dass die Wissenschaft über die Wege, wie die Kohlenwasserstoffe (KW) in den Salzstock gelangen, noch nicht sehr viel weiß. Sie sind nicht von der Seite eingewandert, soviel sei klar, so Weber, aber steigen sie auf? „Wir haben noch keine Erklärung für die unterschiedliche Verteilung. Es laufen Untersuchungen, die auch untersuchen, wie die Entstehungsprozesse funktionieren“, so Weber. „Für Januar ist der erste Untersuchungsbericht im Plan, dann wissen wir vielleicht etwas mehr, warum sie überhaupt da sind. Es kommt in Frage, dass während des Salzaufstiges das Salz zerbrochen wurde, da sind zeitlich begrenzt Klüfte und Risse entstanden, im Moment des Aufbruchs könnten die Kohlenwasserstoffe mit dem Salz zusammen in die jetzige Position gekommen sein. Das würde auch erklären, dass es keine Wegsamkeiten zwischen den KW-Funden gibt. Sie liegen isoliert voneinander.“
Auch über die Bedeutsamkeit der Kohlenwasserstoffe für die Langzeitsicherheit waren sich die Wissenschaftler nicht einig. Während Dr. Wyss schon geringe Vorkommen als „nicht schön“ für die Sicherheit ansah, wenn sie in die Nähe wärme produzierender Abfälle kommen, war Dr. Weber eher der Ansicht, dass die KW-Vorkommen im Gorlebener Salzstock nur in geringer Menge vorhanden und daher vermutlich unbedeutend sein würden. Doch er musste auch zugeben, dass es noch zu wenig Erkenntnisse darüber gibt, welche Nähe von Kohlenwasserstoffen und Wärme abgebenden Stoffen ohne Sicherheitsbedenken zugelassen werden kann.
Auch Dr. Wyss konnte keine Mengen- oder Distanzgrenze für die Sicherheit in einem atomaren Endlager nennen, „Im Grunde muss man wissen, wo sind wieviel Gase vorhanden. Aufgrund dieser Erkenntnis muss man dann interpolieren, was die Vorkommen für die Gesamtsicherheit bedeuten," so Wyss.
Interessant auch die Einwürfe der beiden Fragesteller aus der Altmark. Sie hatten in Salzwedel oder Stendal jahrzehntelang als Geologen in der Erdgas- bzw. Erdölförderung gearbeitet. Beide trieb die Frage um, inwieweit die Erkenntnisse aus der geologischen Nutzung in der Altmark in die Erkundung des Salzstocks Gorleben einfließen. Denn immerhin handele es sich hier um ein ineinander übergehendes geologisches System. Die Antworten darauf waren eher schwammig. Dr. Weber sah grundsätzlich keine Notwendigkeit, doch wenn "es notwendig werden solle, dann müsse man sich hiermit auch beschäftigen."
Wie kann zerstörungsfrei untersucht werden?
Es gibt allerdings nach Ansicht der Experten auf dem Podium derzeit keine Methode, wie präzise ohne Zerstörung des Salzstocks geklärt werden kann, in welchen Abständen die Kohlenwasserstoffe wirklich vorkommen. Alle Verfahren zur Untersuchung bedingen Eingriffe in den Salzstock, zerstören also während der Erkundung die Geschlossenheit des geologischen Systems. Probiert wird auch mit tomographischen Verfahren, die allerdings keine Ergebnisse auf größere Entfernungen liefern. „Es ist im Moment noch nicht ausgemacht, ob es notwendig ist, auf 10 – 20 m genau festzustellen, wo es Kohlenwasserstoffe gibt. Wenn dies allerdings notwendig ist und wir haben dafür keine Methodik, dann haben wir ein Problem“, so Dr. Weber.
Doch dass die Frage der Kohlenwasserstoffe geklärt werden muss, da waren sich alle Experten einig. Immerhin entwickeln die radioaktiven Abfälle nach rd. 200 Jahren immer noch eine Temperatur von rund 80 Grad um sich herum. „Das hat Auswirkungen auf den umschließenden Gebirgsbereich“, so Dr. Bracke, der auch für die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben (VSG) zuständig ist.
Doch mit welchen Auswirkungen genau zu rechnen ist, das konnte ebenfalls niemand der Experten beantworten. Grundsätzlich möglich sind chemische Reaktionen, die z.B. zu einer erhöhten Löslichkeit oder einer Verringerung des Einschlusses der radioaktiven Nuklide führen könnten. Letztendlich könnte es sogar zum Erreichen des Zündpunktes der KW kommen.
Unisono betonten alle drei Fachleute, dass diese Fragen zur Zeit nicht geklärt sind. Eines ist jedenfalls nicht nur für Dr. Wyss klar: sollte es sich zeigen, dass sich durch die Einbringung von Wärme entwickelnden Abfällen Auswirkungen auf das umschließende Gebirgssystem ergeben, dann ist das ein Ausschlusskriterium.
Klarheit für Gorleben in unabsehbarer Zukunft
Bis zum Ende nächsten Jahres soll die vorläufige Sicherheitsanalyse für Gorleben erstellt sein. Angesichts der vielen offenen Fragen bezüglich der Kohlenwasserstoffe stellt sich die Frage, ob es gelingt, diese in knapp einem Jahr zu klären.
Darauf hatte Dr. Bracke eine interessante Antwort: „Es ist nicht unbedingt die Aufgabe einer vorläufigen Sicherheitsanalyse, offene Fragen zu beantworten, sondern die offenen Fragen zu benennen.“
Und Dr. Weber ergänzte: „Die Erkundung ist ja derzeit noch auf einen kleinen Bereich beschränkt. Ob und ggfls. Unter welchen Bedingungen in Gorleben ein Endlager umgesetzt werden könnte, das muss noch weiter untersucht werden. Dazu muss auch noch geklärt werden, ob die Annahmen stimmen.“
Auch die Tatsache, dass in die zur Zeit in Arbeit befindliche Sicherheitsanalyse lediglich die Ergebnisse aus dem Erkundungsbereich I einfließen können, bedeutet lt. Dr. Weber, dass man weitere vorläufige Sicherheitsanalysen wird machen müssen. „Das ist aber auch das Konzept: dass man eine Vorläufige Sicherheitsanalyse nicht nur einmal macht, sondern mehrfach und immer wieder neue Erkenntnisse einarbeitet. Dann hätte man auch nicht mehr dieses Rumgeeiere, dass man viele Fragen nicht beantworten kann.“ Denn was die Einzelergebnisse wirklich bedeuten, sei letztendlich nur zu klären, wenn man sukzessive hinschaue.
Für Michael Mehnert war nicht nur diese Aussage Anlass genug, festzustellen, dass die Naturwissenschaft mit einer Sicherheitsprognose für 1 Mio. Jahre überfordert ist. „Man kann nur sagen, dass diese Endlagersituation sicherer ist als eine andere. Man muss vergleichend untersuchen wie es die KEWA damals plante.“ (Hinweis: die KEWA (Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-Gesellschaft) hatte 1975 die parallele Untersuchungen von drei Standorten vorgeschlagen. Dieses Konzept wurde aber nicht weiter verfolgt)
Wie schon der Schweizer Geologe Marcos Buser am Sonntag gefordert hatte, wünschte sich auch Mehnert in Deutschland einen anderen Umgang mit offenen Fragen und Problemlagen. Probleme und offene Fragen würden hierzulande nicht kommuniziert, sondern eher vertuscht oder verharmlost anstatt sie öffentlich zur Diskussion zu stellen.
Erste Reaktionen
Vertreter des Bundesamts für Strahlenschutz zeigte sich von Dr. Brackes Erklärung zur Sicherheitsanalyse enttäuscht: „Eine Sicherheitsanalyse muss auf jeden Fall klären, wie sich Kohlenwasserstoffe auswirken bzw. ob es genügend kohlenwasserstofffreie Bereiche im Gebirgsbereich gibt – wenn dies auch nicht zwingend in einer Vorläufigen Analyse geschehen muss.“ Aber die abschließenden Sicherheitsanforderungen für ein Endlager müsse darüber auf jeden Fall Aussagen machen.
Der Bürgermeister der Samtgemeinde Gartow, Wilhelm Schröder, zeigte sich zwar gelassen über die vielen offenen Fragen, war aber merklich unzufrieden über die absehbare Aussicht, dass es für den "Endlagerstandort" Gorleben keine schnelle Klarheit geben wird.
Staatssekretärin Heinen-Esser schloss die Veranstaltung kurz und bündig, aber immerhin mit der Feststellung, dass dieser Fachdialog gezeigt habe, dass „die Kohlenwasserstoffe tatsächlich ein Sicherheitsrisiko für ein Endlager darstellen.“ Sie kündigte weitere öffentliche Fachgespräche an.
Foto: Angelika Blank / Letzte kurze Absprachen zwischen den drei Fachleuten (von links): Dr. Roland Wyss, Dr. Guido Bracke und Dr. Jan Richard Weber