Thema: recht

Grohnde-Proteste: Das Opfer soll zahlen - fordert das Land

Nach der Ansicht des Landgerichts Lüneburg soll ein Demonstrant, der hilflos am Boden lag, für die Verletzung eines Polizisten 15 121 Euro zahlen. Am Mittwoch findet in dieser Sache die Berufungsverhandlung statt.

In beinahe 40 Jahren Widerstand gegen die Atompläne für Gorleben hat es diverse Versuche gegeben, DemonstrantInnen die Kosten für teure Einsatzkosten aufzubürden. Doch der am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Celle zur Verhandlung stehende Fall gehört in die Abteilung "Kurioses".

Beim Protest gegen die Transporte von Plutonium-MOX-Brennelementen ins Atomkraftwerk Grohnde hatte sich der Beklagte als Demonstrant unter einem LKW angekettet. Er wurde von der Polizei vom LKW gelöst, schmerzhaft von der Straße entfernt und unsanft über eine Leitplanke geworfen. Der Betroffene rollte eine Böschung hinunter und blieb dort – die Hände noch immer in dem Rohr gefesselt – benommen liegen. Ohne ihm die Chance zu geben, sich selber aufzurichten, versuchte ein Beamter ihn hoch zu zerren, um die Personalien festzustellen. Dieser Vorgang wird von den beteiligten Polizisten nicht bestritten, wie vom Rechtsanwalt des Betroffenen, Sebastian Nickel, zu erfahren war.

Diese Polizisten hatten nach Auskunft Nickels bei der Erstverhandlung vor dem Landgericht Lüneburg auch eingeräumt, dass der Demonstrant passiv am Boden gelegen hätte. Des weiteren sahen auch zwei Kamerateams, die das Geschehen dokumentierten, keinerlei Widerstand. Beim Hochzerren hatte sich ein Beamter aber eine „Ruptur des Discus des linken Handgelenkes“ zugezogen habe, weswegen das Land Niedersachsen nun von dem Betroffenen 15.121,72 € für Heilkosten u.a. verlangt.

Das Landgericht Hannover gab dem Land am 2.Februar 2016 überraschend recht und verwies darauf, dass auch ein Flüchtender für die Folgen seiner Flucht aufkommen müsse.

BI: Versuch, das Versammlungsrecht auszuhebeln

Absurd sei diese Argumentation, kommentiert nun die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) die Rechtsauslegung des Landgerichts, zumal in diesem Fall sogar ein Nichtflüchtender für das Missgeschick des Beamten zahlen solle. BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: “Hier geht es nicht ums Sosein im Dasein und andere sophistische Verrenkungen und Brechungen, hier hat sich ein Polizist im Dienst ohne das Zutun anderer das Handgelenk verrenkt und gebrochen.”

Rechtsanwalt Nickel ergänzt: „Das allgemeine Einsatzrisiko eines Polizeibeamten darf nicht auf einzelne Teilnehmende einer Demonstration abgewälzt werden“. Sein Mandant sei nicht geflüchtet, sondern habe wehrlos am Boden gelegen. Abseits der Straße habe es auch keine Risikosituation oder besondere Eile gegeben, die Personalien festzustellen. Wenn der Beamte sich verletzt habe, dann doch nicht aufgrund der Protest-Versammlung, sondern weil er sich bei einer normalen dienstlichen Maßnahme übereilt und ungeschickt verhalten habe.

Des weiteren sei das Ermittlungsverfahren wegen "Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte" und "Nötigun" eingestellt worden, da bei dem Betroffenen diese Delikte nicht festgestellt werden konnten. Nickel hat außerdem Kenntnis davon, dass die Klage des Landes mit haushaltsrechtlichen Vorgaben begründet wird. Sprich: der Landesrechnungshof will von der Polizei den Nachweis haben, dass sie womöglich dem Land zustehende Gelder eingefordert hat.




2016-11-08 ; von asb (autor), pm (autor),
in Celle, Deutschland

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