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„Helfen statt zusehen“ - Harald Förster geht für Sea-Watch.org nach Malta

Er sei eigentlich kein Seebär, eher ein Waldmensch. Aber der Politikwissenschaftler Harald Förster aus dem Wendland hat genug davon, Flüchtlinge im Fernsehen ertrinken zu sehen. Er macht etwas dagegen. Er wird Teil der „Sea Watch“-Crew - dem ersten privaten Schiff, was sich ehrenamtlich um die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge kümmert.

„Man muss doch etwas tun! Da muss man halt hin und helfen. Ganz einfach ist das!“ Der Diplom-Soziologe und Politikwissenschaftler Harald Förster aus Hitzacker hat genug von den Bildern ertrinkender Flüchtlinge im Mittelmeer. Er kann das so nicht mehr hinnehmen. Aber: was tun? Da passierte der unerschrockene Auftritt von Harald Höppner in der sonntäglichen ARD-Talkshow von Günter Jauch.

Wir erinnern uns: In der Sendung, aktuelles Thema ist das massenhafte Flüchtlingssterben im Mittelmeer, kommt ein junger Mann zu Wort, der Günter Jauch das Wort abschneidet. Er fordert die Zuschauer zu einer kollektiven Schweigeminute auf. Jauch versucht noch, das abzubiegen, aber da steht der um einen Kopf größere Höppner schon neben Jauch und zeigt demonstrativ auf seine Uhr. Da das Publikum sich ebenfalls spontan erhoben hat, wagt Jauch nicht mehr, zu intervenieren - Höppner hat gewonnen. Förster berichtet: „Zuvor hatte er schon ein halbes Dutzend Talkshow-Einladungen abgelehnt. „Ich warte auf Günter Jauch“, hat er gesagt“. Denn der bringt die größte Publicity.

Ein Plan, der aufgeht: Jauch lädt ihn tatsächlich ein, und danach kennt jeder Seawatch.org. Selbst die Washington Post hat schon über das gewagte, aber durchdachte ehrenamtliche Rettungsprojekt zweier Privatpersonen berichtet. Harald Förster ist fasziniert von der Geradlinigkeit und Entschlossenheit des 40-jährigen Unternehmers aus Brandenburg, der mit der „Sea Watch“ das erste private Flüchtlingsrettungsschiff in das Mittelmeer entsendet.

Das Schiff ist bereits in See gestochen. Harald Förster hat sich beworben, bei der Aktion Seawatch.org aktiv helfen zu dürfen - und ist unter 500 Bewerbern ausgewählt worden. Er wird jetzt seine Koffer packen und nach Malta gehen, um als Koordinator die Teams, bestehend aus Ärzten, Nautikern und Journalisten, einzuweisen, auf ihren schweren Einsatz vorbereiten.

Förster, gerade 55 Jahre alt geworden, hat das Team mit seiner Bewerbung überzeugt. „Ich bin kein Seebär. Ich bin eigentlich ein Waldmensch und mag den Norden“. Nach Malta will er trotzdem. Er ist ein Macher, er packt gerne zu, will sein Know-how als Trainer sinnvoll einsetzen. Und Harald Förster ist Profi, was die politische Arbeit angeht. Seine Diplomarbeit schrieb Förster über Konfliktlösungen. Danach arbeitete Förster zehn Jahre in der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion „Kurve“ in Wustrow mit, als Geschäftsführer und später als Vorstand.

Er war auch lange für die Robert-Bosch-Stiftung tätig, arbeitete dort mit Ute Vogt, Marianne Birtler und Norbert Röttgen zusammen. Und gab das Standardwerk zu Freiwilligendiensten in Deutschland und Europa heraus.

Nach TV-Auftritt: Bundesmarine schickt zwei Schiffe

„Ich habe auf vielen theoretischen und praktischen Ebenen gearbeitet“, bekennt der Vater dreier Kinder, zwei davon sind schon erwachsen. „Und jetzt mache ich die Dinge, die wirklich wichtig sind“. Zum Beispiel Ertrinkende aus dem Mittelmeer retten. Auf das Boot, einen 21 Meter langen hochseetüchtigen Kutter aus den Niederlanden, kann Förster nicht gehen. „Seekrankheit kann ein wirklich großes Problem werden“. Deshalb werden die Schiffscrews danach ausgewählt, wie seetauglich sie sind. Alle 14 Tage gibt es einen Wechsel der Crew an Bord der „Sea Watch“.

„Schon vorher müssen sie zum Team zusammenwachsen, auf Malta, damit sie beim Ablegen funktionsfähig sind“, berichtet Förster, dessen Aufgabe genau dies sein wird: der 55-jährige wird die Crews an Land auf ihren Einsatz („Briefing“) vorbereiten. „Und nachbereiten! Es ist ganz wichtig, dass auch ein sogenanntes De-Briefing stattfindet. Um das unter Umständen sehr belastende Erlebte verarbeiten zu können. Denn man muss als Helfer an Bord davon ausgehen, dass man Menschen ertrinken sieht. Und das man da nichts tun kann.“

„Aber es ist immer noch besser, etwas zu tun, als hier zu sitzen und zuzusehen“, schiebt Förster hinterher. Die Crews werden jeweils für einen 14-tägigen Einsatz vorbereitet. Darunter sind erfahrene Mediziner, Kapitäne. Den medizinischen Bereich leitet Prof. Dr. Gerhard Trabert, Träger der Paracelsus-Medaille. auch die Kapitäne und Nautiker, die ihre Hilfe zugesgat haben, sind alte, erfahrene Fahrensleute. „Das sind hochkarätige Leute, die ihr Know-how dort einbringen. Das wird eine hochkarätige Sache“, zeigt sich Förster überzeugt.

Große Fernsehsender wie etwa die ARD entsenden Reporter, die mitfahren werden. Das Schiff wird übrigens nicht direkt schiffbrüchige Flüchtlinge aufnehmen, „nur in absoluten Notfällen“, berichtet Förster. Vielmehr bleibt das Schiff in sicherem Abstand in etwa einer Seemeile Entfernung, damit keine Panik auf den kleinen und zumeist völlig überfüllten Booten ausbricht, und wird per Radar und Fernglas Seenotretter informieren. „Wir werden für die erste Hilfe ein Zodiac mit einem Arzt an Bord, Trinkwasser und Schwimmwesten entsenden. Denn Trinkwasser haben die Schlepperboote nie dabei“, berichtet Förster: „Und dann per Satellitentelefon die Rettungskette in Gang setzen. Und dann kommen die großen Schiffe, die retten können“.

Selbst die Bundesmarine habe unmittelbar nach dem Auftritt Harald Höppners bei Günter Jauch spontan reagiert und zwei große Schiffe zum Helfen ins Mittelmeer entsandt. „Plötzlich realisieren die: Wir können da hinfahren und helfen. Dafür brauchen wir kein UN-Mandat und kein Bundestagsmandat. Warum eigentlich erst jetzt? Wo waren die eigentlich vorher? Und wo sind die anderen Schiffe?“, fragt Förster.

Für absolute Notfälle sind neben Schwimmwesten auch acht große Rettungsinseln an Bord der „Sea Watch“, die jeweils 50 Personen aufnehmen können. Aber auch Förster braucht etwas Unterstützung: „Ich suche leihweise einen funktionierenden Wohnanhänger, den mir jemand für den Sommer überlässt. TÜV und Reifen machen wir, kein Problem. Wir wollen nämlich die Gesamtkosten so gering wie möglich halten“.

Reeder fordern: Fähren statt Frontex

Trotz der gut laufenden Spendenkampagne für die Sea Watch - ein Sponsor hat bereits schon sämtliche Treibstoffkosten übernommen. Förster verweist auf die zivile Seefahrt, die sich ebenfalls massiv für eine verbesserte Seenotrettung im Mittelmeer stark macht und das Projekt Sea Watch unterstützt. „Die internationale Reedergemeinschaft etwa fordert inzwischen „Fähren statt Frontex“. Viele zivile Seeleute seien bereits traumatisiert von den vielen Rettungsaktionen und den unvermeidlich vielen Toten. „Da ist eindeutig die Politik gefragt, die das Problem auf die Handelsschiffe abwälzt“.

Auf der Internetseite von Seawatch.org heißt es dazu unmißverständlich: „Die Lage ist eindeutig. 46 Millionen Menschen befinden sich weltweit auf der Flucht. Die meisten von ihnen haben in ihrer Heimat keine Chance zu überleben oder ein würdiges Leben zu führen. Der Landweg nach Mitteleuropa wird von milliardenschweren Grenzsicherungsanlagen versperrt. Hunderttausende versuchen den sicheren Hafen eines EU-Staates in extrem unsicheren Schiffen über das Mittelmeer zu erreichen. Jährlich lassen tausende Menschen, Frauen, Männer, zahlreiche Kinder ihr Leben bei diesem Versuch und ertrinken oft in Sichtweite zum rettenden Ufer.

Die Operation „Mare Nostrum”, die mehr als 130.000 Menschen das Leben rettete, wurde von der EU ausgesetzt, um die Abschreckung auf See zu maximieren. Als „Ersatz“ wurde die Operation „Triton“ ins Leben gerufen, um den Grenzübertritt für diejenigen, die es dennoch wagen, zu erschweren. Die Bundesregierung spricht viel über Hilfe, die CSU möchte wenigstens denen helfen, die nicht „wegen unseres Geldes“ (sog. Wirtschaftsflüchtlinge) kommen. Vorschläge, wie die Hilfebedürftigen Deutschland erreichen sollen, gibt es jedoch keine.

"Es wird „Willkommenskultur“ gepredigt, während sich Europa hermetisch abschottet," so Förster. "Die deutsche Kanzlerin spricht über die Kälte in den Herzen der Menschen, nimmt jedoch billigend in Kauf, dass Kinder, Frauen und Männer bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, im Mittelmeer ertrinken. Wir haben beschlossen, für die Humanisierung der Politik zu kämpfen. Gastfreundschaft soll wieder zu unserem Alltag gehören. Es muss dringend eine zivile Seenotrettung aufgebaut werden. Die EU ist nicht willens dazu. Deshalb ergreifen wir die Initiative.“ Und Harald Förster aus dem Wendland auch.

Wer ihn mit einem Wohnwagen helfen will oder die Organsiation unterstützen möchte, erreicht beide unter info(ät)sea-watch.org. Alle weiteren Infos: www.Sea-Watch.org

Foto / sea-watch.org / Björn Vogt: Das 21 Meter lange Schiff „Sea Watch“, das erste private Schiff zur Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge im Mittelmeer,  wird alle 14 Tage mit einer neuen Crew besetzt. Auf deren Einsatz werden sie auf Malta demnächst von Harald Förster aus dem Wendland vorbereitet.



2015-05-15 ; von Björn Vogt (autor),

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