Sperrwerk oder umfassender Deichbau? Der Hochwasserschutz an der Seegeniederung hatte Streit ausgelöst. Vertreter vom Umweltministerium machten nun klar: beide Varianten sind in der jetzigen Planungsversion nicht genehmigungsfähig.
Am Freitag gab es lange Gesichter - nicht nur beim Deichverband Gartow und SamtgemeindevertreterInnen. Um den Hochwasserschutz für den Ort Gartow und vor allem Laasche schnell zu verbessern, hatten sich beide Gremien für den Bau eines Sperrwerks mitten in der Seegeniederung entschieden.
Vor allem NaturschützerInnen aber auch Gewässerkundige kritisieren dieses Vorhaben scharf: ein Sperrwerk würde massive Auswirkungen auf den hochsensiblen Bereich des unter Naturschutz stehenden Biotops haben. Außerdem wurde eine fehlende überregionale Betrachtung des Flussgeschehens kritisiert.
So geht es nicht - Genehmigungsfähigkeit nicht gegeben
Dem Niedersächsischen Umweltministerium (NMU) ist der Hochwasserschutz in dieser Region anscheinend so wichtig, dass es einen Dialogprozess zur Lösung des Konfliktes startete - Hintergrund ist wohl auch die Befürchtung, dass Einwendungen und Klagen das Planungsverfahren unendlich in die Länge ziehen könnten.
Am Freitag vergangener Woche fand die Auftaktveranstaltung dazu nun im Haus des Gastes in Gartow statt. Eingeladen waren die Deichverbände, Landkreis- und Samtgemeindeabgeordnete sowie für die Region zuständige Landtagsabgeordnete. Des Weiteren waren VertreterInnen von BUND, NABU sowie der Biosphärenreservatsverwaltung eingeladen.
Angekündigt war die Teilnahme von Umweltminister Olaf Lies, der sich jedoch wegen des am Morgen durch Wirtschaftsminister Habeck ausgerufenen Gas-Notstandes entschuldigen ließ. Als Vertreterin des Ministers leitete Ingeborg Hering, Abteilungsleiterin für den Wasserwirtschaft im NMU, die Sitzung.
Eigentlich hätte die Veranstaltung schnell zu Ende sein können: Hering machte recht bald deutlich, dass beide Vorhaben-Varianten, so wie sie in einer Studie des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) skizziert worden waren, in der Form nicht genehmigungsfähig sind - womit sie die Ergebnisse einer zweiten Studie bestätigte, die Mitte Mai in Gartow vorgestellt worden war.
Eine Lösung muss gefunden werden
Angesichts des hochgeschützten Lebensraums in der Seegeniederung stehe man vor großen Problemen, so Hering. "Wir bewegen wir uns in einem enormen Spannungsfeld zwischen Hochwasserschutz und enorm wertvollem Naturraum," läutete Hering die Debatte ein. "Dieses Spannungsfeld muss gelöst werden. Das setzt die Lösungsorientierung aller Beteiligten voraus. "
Einerseits geht es um den Naturraum, der in der Seegeniederung unbestritten höchsten Schutzstatus genießt. Es gelten hier die Schutzregeln eines Flora-Fauna-Habitat-Gebietes (FFH) sowie des Gebietsteils C im Biosphärenreservat. "Dieser Naturraum muss erhalten bleiben und ihm die Möglichkeit zur Entwicklung gegeben werden," so Hering. "Aber es muss auch der dringend notwendige Hochwasserschutz hergestellt werden."
Allein die Bereitstellung der notwendigen Ausgleichsflächen für den Verlust von Überschwemmungsraum werde dabei zu einem fast unlösbarem Problem werden. In anderen Gegenden habe diese Problematik mehrfach zum Stopp von Projekten geführt, weil keine Lösung gefunden werden konnte. Die Gemeinde Vietze machte vor einigen Jahren diese Erfahrung, als die wegen des dortigen Deichbaus vorgeschriebenen Ausgleichsflächen erst nach langwieriger Suche und zähen Verhandlungen durch einen Flächentausch nachgewiesen werden konnten.
Andere Regeln für Ausgleichsflächen
Von mehreren Seiten kam an dieser Stelle die Forderung an Land, Bund und EU, die strengen Regeln für Ausgleichsmaßnahmen zu lockern. Vor allem die Auflage, dass Ausgleichsflächen vom gleichen Lebensraumtyp sein sowie in der Nähe des Bauprojektes liegen müssen, stelle sich immer mehr als unlösbar heraus.
Trotz aller Probleme, so das Fazit von Heinrich König, Vertreter des NLWKN, müsse eine Lösung gefunden werden. "Im Raum des Deichverbands Gartow ist eine Anpassung des Hochwasserschutzes notwendig. Es gibt aber große Vorbehalte was die Genehmigungsfähigkeit angeht," so König. "Schwerpunkt der Probleme wird das Finden von Ausgleichsflächen sein. Wir stehen vor einem komplexen und langwierigen Planungsprozess."
Das waren Worte, die VertreterInnen von Deichverband, Samtgemeinde und Gemeinde nicht hören wollten. "Wir brauchen eine schnelle Lösung," forderte nicht nur Gartows Samtgemeindebürgermeister Christian Järnecke (CDU).
Jetzt schnell und günstig bauen - später teuer bezahlen?
Schnelle Sprünge sind wiederum nicht das, was NaturschützerInnen gutheißen. Dirk Janzen, Chef der Biosphärenreservatsverwaltung, sieht große Spielräume im Spannungsfeld Naturschutz versus Menschenschutz - zum Beispiel könnten Ökoflächen bevorratet oder auf Deichen Lebensräume geschaffen werden. "Derartiges wird in anderen Bundesländern schon umgesetzt. Das
verkürzt die Flächensuche, so Janzen. Und an den CDU-Landtagsabgeordneten Uwe Dorendorf gerichtet, für den Hochwasserschutz - also Menschenschutz - eindeutig vor Naturschutz steht: "Der Mensch ist nicht wichtiger als der Natur, Natur ist nicht wichtiger als der Mensch," so Janzens Sicht.
Miriam Staudte, grüne Landtagsabgeordnete, verwies darauf, dass vorgeblich günstige Lösungen auf lange Sicht gesehen nicht unbedingt wirtschaftlich sind. "Die Finanzierung einer Notaktion kann ungleich teurer sein" Staudte plädierte dafür, unstrittige Maßnahmen vorzuziehen und einen guten Moderationsprozess zu starten.
Das ist auch das Vorhaben des Umweltministeriums. Unter Federführung des Landes startet nun unter einer neutralen Moderation ein breiter Dialogprozess, in dem alle Sichtweisen beleuchtet werden sollen. Er soll zügig durchgeführt würden, um unnötig lange Planungszeiten zu vermeiden. Hering sagte zu, bei der Landesregierung die Finanzierung hierfür zu organisieren.
Foto/Montage: Angelika Blank: die rote Linie zeigt, wie hoch ein Sperrwerk in der Seegeniederung (mindestens) sein müsste, um einen wirksamen Hochwasserschutz zu gewährleisten.