Vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht – bundesweit sind im Jahre 2007 rund 28 000 Kinder oder Jugendliche von Jugendämtern landauf, landab in vorläufige Obhut genommen worden. Allein in Niedersachsen waren es 2007 nach dem jüngst veröffentlichten Sozialbericht 2 235 Kinder und Jugendliche , die zu ihrem Schutz aus ihren Familien genommen wurden. Die Zahl der Fälle nahm damit gegenüber dem Vorjahr um 7 % zu.
Bundesweit lag die Steigerung sogar bei +8,4 %. Mit 15 sogenannten „Inobhutnahmen“ kommt der Landkreis Lüchow-Dannenberg dabei noch gut weg. Im Vergleich: im Landkreis Uelzen wurden im gleichen Zeitraum 20 und im Landkreis Lüneburg gar 67 Kinder in Obhut genommen. Dabei liegen die Zahlen der dauerhaft vom Jugendamt betreuten Familien deutlich höher: in Lüchow-Dannenberg waren es 2007 96, in Uelzen 168 und in der Stadt Lüneburg 119 Kinder und Jugendliche, die zusätzlich vom Jugendamt betreut wurden.
Lüchow-Dannenbergs Jugendamtsleiter Wolfgang Müller: „Wir haben hier sehr wohl auch mit dem Thema Kindeswohl zu tun, doch Gott sei Dank müssen wir das Mittel 'Inobhutnahme' nicht allzu häufig anwenden. Ich bin froh, dass wir hier in der guten Lage sind, frühzeitig durch Nachbarn, Schule oder Kindergarten über Probleme informiert zu sein, so dass wir schnell reagieren können.“ In einer ländlichen Region mit relativ guten sozialen Strukturen fällt es eben doch früher auf, wenn ein Kind unter seinen Familienverhältnissen leidet oder zu verwahrlosen droht.
Doch Jugendamtsleiter Müller muss wahrnehmen, dass der Hilfebedarf auch hierzulande in den letzten Jahren angestiegen ist. Nur: „Durch die guten Strukturen sind die Eltern hier allerdings eher bereit, notwendige Hilfen rechtzeitig anzunehmen“, so Wolfgang Müller. So werden die Kinder oft nur kurzzeitig aus der Familie genommen, meist im Einverständnis mit Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. In dieser Zeit haben diese dann Gelegenheit, in Ruhe bestimmte Problemlagen zu lösen – und sei es nur, eine völlig verdreckte Wohnung zu renovieren oder einen Umzug zu organisieren.
Bevor es zur Herausnahme aus der Familie kommt, versuchen die Jugendamtsmitarbeiter allerdings zunächst, die Probleme anders zu lösen. Betreuungshelfer und Erziehungsbeistände sollen den Familien helfen, mit den Alltagsproblemen besser klar zu kommen. Für die Kinder gibt es auch die Möglichkeit, an einer sogenannten „sozialen Gruppenarbeit“ teilzunehmen. In den ein- bis zweimal pro Woche statt findenden Gruppenterminen können die Kids sich über ihre Probleme austauschen, innerhalb der Gruppe lernen, was es heißt, sich sozial zu verhalten oder mit Trennungen der Eltern umzugehen. Doch dies Gruppenarbeit wird im Landkreis Lüchow-Dannenberg derzeit nur sporadisch angeboten. Lediglich ein Privatmensch bietet derzeit Gruppen für Jungen an.
Wolfgang Müller will das Angebot der „sozialen Gruppenarbeit“ im nächsten Jahr auch in Lüchow-Dannenberg umsetzen. „Da werde ich Druck machen, dass das möglich wird,“ so der Jugendamtsleiter. Denn nach seiner Ansicht können sich Kinder mit sozialen Problemen unter fachkundiger Hilfe am besten gegenseitig helfen. „Was nützt es, ein Kind mit sozialen Defiziten in eine Einzeltherapie zu geben? Da kann es soziales Verhalten nicht lernen“, so Müller.
Auch für die Landesgrünen ist der jüngste Sozialbericht zum Thema geworden. „"Wenn Kinder aus ihren Familien genommen werden müssen ist das zuallererst ein Zeichen für die Verschlechterung von Lebensbedingungen für Familien und Kinder", sagte Grünen-Politikerin Miriam Staudte am Dienstag in Hannover.
Unterstützung dürfte Wolfgang Müller somit auch bei den Landesgrünen finden. Denn auch Staudte fordert bessere Rahmenbedingungen für die Allgemeinen sozialen Dienste der Jugendämter, die Hilfen für Familien bieten. "Es ist wichtig, dass Familien das Jugendamt als Hilfseinrichtung verstehen und früh aufsuchen, damit früher unterstützt werden kann", sagte Staudte. Die Grünen-Politikerin forderte die Weiterentwicklung des Jugendhilfesystems, um durch Prävention und frühe Hilfen zum Beispiel von Familienhebammen Krisensituationen vermeiden zu können.
Grafik: Angelika Blank
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