Anlässlich seiner Lesung am Samstag, dem 25. Juni unterhielt sich Angelika Blank mit Juri Andruchowytsch über Tschernobyl, die Ukraine und seine besondere Art, zu schreiben.
wnet: Juri Andruchowytsch, in Deutschland wird der Atomausstieg heftig diskutiert. Selbst einheimische Grüne wie Rebecca Harms müssen sich harten Auseinandersetzungen stellen und ihre Zustimmung begründen. Wird der deutsche Atomausstieg in der Ukraine überhaupt wahrgenommen?
Juri Andruchowytsch: In der Ukraine wird das eigentlich gar nicht diskutiert, leider. Ein bißchen mehr öffentliche Diskussion gab es zum Tschernobyl-Jahrestag, aber danach war das Thema sehr schnell wieder verschwiegen, vergessen und nicht berührt. Es gibt einen Komplex von Gründen für diese Tatsache. Vor allem ist es wohl der allgemeine Zustand des gesellschaftlich-politischen Lebens in der Ukraine, der von einem großen Pessimismus geprägt ist.
wnet: Ist denn wenigstens Tschernobyl bei den Intellektuellen, in der Kulturszene noch ein Thema?
Juri Andruchowytsch: : Nein, zumindest kenne ich kein neues Werk zu Tschernobyl in unserer Litarutur. Unmittelbar nach der Katastrophe gab es eine Menge von neuen Texten. In den letzten Jahren der Sowjetunion war das das lauteste Thema. Dann gab es in den 90er Jaren noch ein wenig Auseinandersetzung in der Bildenden Kunst. Aber seit Langem habe ich da nichts Neues mehr gehört oder gelesen.
wnet: Alain de Halleux hat ja in seinem neuesten Film „Chernobyl 4ever“ festgestellt, dass die Jugend in der Ukraine den GAU und seine Folgen über die virtuelle Realität , über Egoshooterspiele verarbeitet. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?
Juri Andruchowytsch: : Ich bin nicht sicher, ob das Verb „Verarbeiten“ hier gut passt. Ich kenne den Film nicht, aber ich habe natürlich von den Egoshooterspielen wie die „Tote Stadt Pripjat“ oder verschiedenste Spielabenteuer in diesen Ruinen gehört … Aber ob das Verarbeiten ist, das denke ich nicht.
Der Fukushima-Fall hat allerdings diese Jahr die Debatte wieder etwas reaktiviert und natürlich auch der Jahrestag. Da war der GAU für kurze Zeit noch einmal in der öffentlichen Diskussion. Aber die Äußerung von Präsident Janukowytsch, dass es trotz Fukushima eine Alternative zu Atomkraftwerken gibt, zeigt anschaulich, wie weit entfernt unsere Machthaber von der Realität entfernt sind und wie wenig sie in die allgemeine europäische Debatte involviert sind.
wnet: In Ihrem Werk ist ein großes Thema Europa und das Verhältnis der Ukraine zu Europa. Wo sehen Sie da die größten Schwierigkeiten?
Juri Andruchowytsch: : Im Moment sehe ich die Schwierigkeiten nur in der Ukraine: ganz starke Tendenzen zum Autoritarismus, Symptome dafür, dass der Sowjetismus zurückkehrt mit den altsowjetischen Strukturen. Deswegen ist das Wichtigste in den Beziehungen zur EU, dass diese Kontrolle ausübt.
Die Hoffnung liegt darin, dass irgendwie aus irgendeinem Grund die heutigen Machthaber in der Ukraine an europäischer Integration interessiert sind. Da stehen zwar nur ihre finanziell-kommerziellen Interessen im Vordergrund. Aber es ist schon wichtig, dass sie abhängig von europäischen Strukturen sind. Das hilft uns in der Ukraine ein bißchen mehr Freiheit zu haben.
wnet: Sie haben einmal geschrieben, dass „jenseits der Donau, also westlich, die Zukunft liegt ...“ gilt das heute noch?
Juri Andruchowytsch: : Im Moment ist es so, dass eine europäische Perspektive im Land als völlig unrealistisch angesehen wird. Gespräche über die Freihandelszone betreffen die normalen Ukrainer nicht. Interessant ist die eventuelle Möglichkeit, frei in die EU-Länder reisen zu können. Da gibt es allerdings keine Zeithorizonte, wann das verwirklicht werden kann.
Das Hauptthema für die ukrainische Gesellschaft ist heute vor allem, die Macht zu ändern. Im Herbst 2012 gibt es - hoffentlich – die parlamentarischen Wahlen, dann die Präsidentschaftswahlen. Das ist jetzt die notwendigste Angelegenheit, irgendwie positiv durch diese Wahlen zu gehen. Europa kann hier nur mit seiner Kontrolle helfen. Das ist natürliche eine wirklich schwierige Sache, nicht die Brücken zur Ukraine zu verbrennen und gleichzeitig dieses heutige Regime unter ständigem Druck zu halten. Das wird wohl nur mit außerordentlicher Aufmerksamkeit und Diplomatie funktionieren.
wnet: Ein FAZ-Redakteur hat über eines Ihrer Bücher einmal geschrieben, es müsse „in die Liste bewusstseinsverändernder Drogen“ aufgenommen werden. Andere vergleichen Sie mit dem poetisch-magischen Realismus eines Gabriel Garcia Marquez. Wie würden Sie selbst denn Ihren Schreibstil beschreiben?
Juri Andruchowytsch: : Ich bemühe mich immer, kein Etikett für meinen Stil zu suchen. Für mich ist die einzige wirkliche Aufgabe, gut zu schreiben – aber auch immer anders. Es gibt immer wiederkehrende Themen, zu denen ich immer wieder zurückkehre. Aber jede Wiederkehr zum alten Thema muss auch immer neue Qualität bringen.
Aber am schwierigsten ist es für mich, meine eigene Schreibweise zu theoretisieren. Das würde ich lieber mit einem neuen Text beantworten.
wnet: Was sind denn Ihre immer wiederkehrenden Themen?
Juri Andruchowytsch: Das wird jetzt ganz anschaulich in meinem neuen Buch zu lesen sein, das im Herbst auf ukrainisch erscheinen wird. Darin werden Städte das Thema sein, unter anderem auch Pripjat. Es geht um 111 Städte, eine Art Lexikon, in alphabetischer Ordnung. Das dahinter liegende Thema: der Mensch, der vor allem reist.
wnet: Man hat den Eindruck, dass alle Ihre Bücher stark autobiographisch geprägt sind, stimmt das?
Juri Andruchowytsch: : Eigentlich nicht, wissen Sie, ich bin ein Lügner. Ich imitiere Autobiographisches. Aber in Wirklichkeit weiß ich nicht, wo z. B . in meinem neuen Buch die Grenze zwischen Realität und Fiktion gezogen wird. Es wird ein sehr vieldeutiges Buch. Man kann es als verirrten Roman betrachten oder als Sammlung von Reiseberichten oder Essays oder Poesie. … das bleibt dem Leser überlassen.
Und das ist immer wieder mein Ziel: das kein Kritiker oder kein einfacher Leser meine Texte in eine vorgefertigte Schublade stecken kann.
Foto: Gerhard Ziegler