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Stadtkids: Kreativcamp in Nienwalde

Was tun mit Jugendlichen, die mit dem Frontalunterricht an den Schulen nicht zurecht kommen? Oder mit Migrantenkindern, denen die Integration schwer fällt? Das Berliner Projekt "Eisenhart" setzt Kunst, Handwerk und Design ein, um Jugendlichen zu helfen, Perspektiven zu finden. 18 von ihnen waren nun zu einem "Workcamp" bei dem Künstler Werner Götz in Nienwalde.

Sie sind Schulverweigerer, aus fernen Ländern nach Deutschland geflüchtet oder suchen berufliche Perspektiven, die ihnen einen guten Start ins Leben ermöglichen: 18 Jugendliche aus Kreuzberg übten sich vergangene Woche mitten in der Natur-Idylle des „roten Hauses“ in Nienwalde in verschiedenen künstlerischen Techniken, beschäftigten sich mit Wald und Natur, mit unterschiedlichen Materialien und dem Umgang damit.

Die Arbeitswoche bei dem Künstler Werner Götz war Teil des Projektes „Eisenhart“ des Berliner Vereins „zur Förderung der Interkulturellen Jugendarbeit e.V. (Schlesische 27 e.V.), der mit seinen Angeboten vor allem benachteiligten Jugendlichen aus dem Berliner Stadtteil neue Perspektiven aufzeigen möchte, wobei Handwerk, Kunst und Design im Vordergrund des berufsvorbereitenden Bildungsprojekts stehen.

Zum Beispiel Sarah: die heute 19-jährige flüchtete mit 17 Jahren alleine aus Somalia, Eltern und Großeltern hatte sie im Bürgerkrieg verloren. Traumatisiert von den Erlebnissen, sprach sie bis zu ihrer Teilnahme bei dem Projekt kaum ein Wort Deutsch. Doch das Arbeiten im Team, die Betreuung durch Künstler und Pädagogen ließ sie schnell aufblühen, so dass sie innerhalb von drei Monaten fließend Deutsch lernte. Mit 17 anderen Jugendlichen unterschiedlichster Herkunft ist Sarah ins Wendland gekommen  - alle sind sie stolz auf ihre Werke, die sie auf dem Gelände des Nienwalder Künstlers Werner Götz geschaffen haben.

Die Idee: durch kreative Betätigung Perspektiven finden

Bereits zum zweiten Mal organisiert der Berliner Verein - mit finanzieller Unterstützung der EU sowie der Familienstiftung von Andreas Bödecker - das ganzjährige Angebot, das mit einem Zertifikat der Handwerkskammer endet. In diesem Jahr war der einwöchige Aufenthalt in Nienwalde ein Programmpunkt, den alle beteiligten Jugendlichen mit Begeisterung aufnahmen.

Ganz nach dem Lehrprinzip des Bauhaus-Lehrers Johannes Itten, der von seinen Studenten forderte, sich vor dem Studium mit der Beschaffenheit von Farbe, Form und Material auseinander zu setzen, durchforschten die Jugendlichen mit Werner Götz in den ersten Tagen den Wald auf der Suche nach geeigneten Baumaterialien. Ohne Nägel, Schrauben oder motorisiertem Werkzeug schufen sie dann eine kleine Brücke, ein Tor aus Naturmaterialien sowie eine überdachte Hütte im Wald.

Für Werner Götz, der vor seinem Künstlerdasein Kunstpädagogik studierte, ist die Auseinandersetzung mit und die Wahrnehmung von Natur eine wichtige Voraussetzung, um mit dem Leben klar zu kommen. "Bei den Land-Art-Projekten gibt es nichts Vorgefertigtes, nichts, was man einfach so konsumieren kann. Es gilt, sich die für das Vorhaben richtigen Materialien heraus zu suchen, sie zu bearbeiten und ohne hochtechnische Hilfsmittel zusammen zu fügen," erklärt Götz das Arbeitsprinzip. Auf diese Weise entstanden in Nienwalde eine kleine Holzbrücke über den angrenzenden Bach, ein großes Tor sowie eine Hütte für den abendlichen Umtrunk.

Andreas Bödecker, der das gesamte zur Verfügung stehende Kapitel aus seiner Familienstiftung in das Projekt steckt, ist davon überzeugt, dass Jugendliche gerne lernen, wenn sie einen ihnen gemäßen Zugang erhalten. "Schon bei der ersten Runde des Projektes im vergangenen Jahr hat sich gezeigt, wie begierig die Jugendlichen die Möglichkeit aufnehmen, mit eigenen Händen etwas zu schaffen, ihre Kreativität auszuprobieren," so Andreas Bödecker. "Um die praktische Erfahrung zu befördern, setzen wir deshalb in den Projekten nur Künstler und Handwerker ein." Für die psycho-soziale Betreuung steht allerdings auch eine ehemalige Lehrerin zur Verfügung, die den Jugendlichen hilft, Bewerbungen zu schreiben oder Praktikumsplätze zu finden. Manchmal geht es auch schlicht darum, das wenige zur Verfügung stehende Einkommen zu organisieren. Denn viele der Jugendlichen leben von HartzIV oder Kindergeld.

Neue Erfahrungen für Stadtkids: Landleben kann aufregend sein

Einige Tage im Wendland reichten, um bei den meisten der Stadtkids Euphorie fürs Landleben zu entzünden. Zwar vermissen sie ein wenig den Trubel der Stadt, genießen aber auch die Ruhe und die familiäre Einbindung in das Dorfleben. Gastgeber Werner Götz ist es ein Herzensanliegen, ihnen Kunst und Natur nahe zu bringen, Nachbarin Kristiina bringt täglich Kuchen vorbei, abends wird gemeinsam mit den polnischen Betreibern der örtlichen Gaststätte Fußball geschaut - und dass die Zimmerwirtin die vorabendliche, etwas lautstarke Party mit Fassung getragen hat, erfüllt die Jugendlichen ebenfalls mit Respekt. "Uns war nicht klar, dass hier auf dem Dorf jedes Geräusch so stark wahrgenommen wird", so der 21-jährige Nick etwas verschämt ob der Erkenntnis, dass auch die Nachbarn per Geräuschkulisse Anteil an ihrer Party hatten.

Natürlich erleben die Jugendlichen in Nienwalde dörfliche Gemeinschaft im besten Sinne - ihnen ist wohl auch klar, dass der Alltag "auf dem Dörpen" sich nicht immer so idyllisch gestaltet. Doch die meisten können sich nach dem Aufenthalt in Nienwalde ein Leben auf dem Lande vorstellen - zumal die unberührte Natur rings um das "Rote Haus" sie zum Staunen brachte.

Andreas Bödecker kann sich eine Fortsetzung im nächsten Jahr gut vorstellen – dann womöglich mit einheimischen Handwerkern, die alte Bautechniken noch beherrschen.

Fotos: Angelika Blank




2012-06-13 ; von Angelika Blank (autor),
in Nienwalde, 29471, Deutschland

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