Wie empörte sich doch die Bonner Republik in jenen denkwürdigen Tagen des April 1986, als die Informationen über den GAU in Tschernobyl allzu spärlich flossen. Als die sowjetische Nachrichtenagentur erst drei Tage nach der Katastrophe zurückhaltend vermeldete, es sei ein „Schaden an einem Atomreaktor“ entstanden. Ein Kommentar von Hagen Jung.
„Beschwichtigen, Abwiegeln, Verheimlichen, Unterdrücken - typisch!“, so wurde hierzulande geschimpft. In der Tat: Der Nachrichtenfluss war arg gedrosselt. Und das passte vortrefflich zur seinerzeit immer noch in manch bundesdeutschem Kopf spukenden Denkschablone der muffigen Adenauer-Ära: „Alles Böse kommt aus Russland!“ Nach Lenins Lehren, Orden für Ulbricht und Panzern in Prag waren‘s nun gefährliche Strahlen und äußerst karge, „natürlich“ zensierte Informationen.
Wie unverdächtig sind doch dagegen die Atomkraft- und Informations-Macher in Japan! Klar, denken viele, die werden nicht mauern, sondern mit offenen Karten spielen und sagen, was Sache ist in Fukushima. Immerhin haben die Japaner weder so einen schäbigen Schrott-Reaktor noch so eine schäbige Informationspolitik wie die Russen damals `86! Oder? Mich erinnern die Nachrichten aus Fukushima durchaus an etwas Russisches: an die Witzchen über „Radio Eriwan“, die immer mit der Frage „Stimmt es, dass..?“ beginnen und mit einer (oft dämlichen) Antwort „Im Prinzip ja, aber…usw. usw.“ enden.
So ähnlich könnte man dieser Tage nach Japan fragen: „Stimmt es, dass es in Fukushima eine Kernschmelze gibt oder gegeben hat?!“ Die Antworten lassen sich Eriwan-mäßig komprimieren: „Im Prinzip ja, aber wir haben alles im Griff, es ist alles nicht so schlimm, es wird alles stabilisiert – wir schaffen das schon!“ Es wird herum geeiert von denen, die für Informationen aus dem Katastrophen-Reaktor zuständig sind. Was ist zu lesen und zu hören? Es wimmelt von Konstruktionen wie „möglicherweise kann es…“, „man glaube aber, dass….“, „wir gehen davon aus, dass vielleicht…“, „nach unbestätigten Angaben dürfte….“, „noch keinen konkreten Plan, aber…“. Fehlt nur noch, dass von einer „mutmaßlichen Kernschmelze“ gesprochen wird.
Gewiss, die Schreckensmeldungen aus Fukushima gingen ruck, zuck um die Welt. Aber waren, sind sie in ihrer Aussagekraft, in ihrem Informationsgehalt „besser“ als die Nachrichten aus der UdSSR 1986? Egal, wo auch immer: Die Informations-Bremser und Beschwichtiger gehören offensichtlich zur Atomkraft so dazu wie die tödliche Strahlung. Um das zu erleben, brauchen wir aber weder nach 1986 zurückzublättern noch die „News“ aus Fukushima anzuhören. Wir müssen nur die Ohren und Augen offen halten im eigenen Land – und sollten als Wählerinnen und Wähler unsere Konsequenzen daraus ziehen.
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