Er ist der Sohn des Königs. Aber nicht wirklich ein Prinz, jedenfalls keiner, wie man ihn sich landläufig vorstellt oder gar wie die im Märchen. Er ist eher der Frosch....
Er bewundert den Vater. Aber dessen Erziehung ist streng und eng, eng wie die Zeremonien, eng wie die Erwartungen und Verpflichtungen, eng wie die Etikette. Von „Enge“ kommt „Angst“. Und die Enge ergreift auch von seiner Kehle Besitz. Albert wird ein Stotterer. Und was gibt es – speziell für einen älteren Bruder, in diesem Fall auch noch der Kronprinz – Erbaulicheres, als seinen kleinen Bruder zu veräppeln, der, besonders, wenn er erregt ist, Ewigkeiten braucht, bis er einen Satz zuende geäußert hat? Prinz Albert, Herzog von York, wird zu „Be-Be-Bertie“.
Dann kommt, es ist das Jahr 1925, der Tag – und so beginnt der Film –, an dem Albert (Colin Firth) in Vertretung des Vaters, George V. (Michael Gambon), der ein begeisternder Redner ist, ans öffentliche Pult muß: Die Abschlußrede der „British Empire Exhibition“. Der Hörfunk ist neu und sensationell, und alle Welt wartet gespannt auf die Rede. Ein Mikrophon, dazu ein Stadion voller Menschen, und alle schauen und lauschen auf Be-Be-Bertie. Ein Schweigen, das jedes Stocken der Rede des Herzogs füllt, ein Schweigen, das brüllt. Ein Desaster.
Doch Albert, später George VI., Vater und Vorgänger der ewigen Lisbeth II., hat zwei Menschen, die ihn weder bemitleiden, noch verachten, weil sie ihn beide lieben: seine Frau, die spätere, auch fast ewige, „Queen Mum“, (hinreißend gespielt von Helena Bonham Carter), und der durch sie vermittelte, selbsternannte, ausbildungslose „Sprachtherapeut“ Lionel Logue (Geoffrey Rush), der Seine Königliche Hoheit schon bei der ersten Begegnung einfach Bertie nennt, ohne ihm dadurch jedoch als Person zu nahe zu treten. Überhaupt pfeift Logue auf alles Äußere, auf jede Etikette, verstößt gegen Regeln, wie man sich Majestäten gegenüber gefälligst zu benehmen hat – ist aber im selben Moment voller Respekt und Achtung vor der Person des Albert, einer Person, für die sich sonst (ausgenommen seine Frau) niemand interessiert.
Diese Mischung aus frecher Form und sehr leise und dezent im Hintergrund auftretenden Gefühlen macht den Zauber dieses Films aus. Ein Film, der nicht nur großartig ausgestattet, sondern vor allem atemberaubend englisch ist, sehr lapidar, aufs Nötige beschränkt, nie – auch an den bisweilen richtig, weil inhaltlich wichtig, lauten, ja vulgären Stellen – reißerisch oder plakativ wird und eben deshalb berührt (selbst Lisbeth II. fand den Film „bewegend“ – eine Bewertung, die bei ihr einem unkontrollierten Gefühlsausbruch nahekommt). Von dem feinen, ebenso kühlen wie gerade dadurch herzerwärmenden Humor ganz zu schweigen.
Auch Hitler taucht im Film kurz auf. Denn er ist – im Gegensatz zu Be-Be-Bertie ein großer, ein begnadeter Redner, der nie – wie Be-Be-Bertie – auf den Gedanken käme, eine Kriegserklärung teilweise im Walzertakt auszusprechen. Es geht in diesem Film um den Mut, anders zu sein, um Courage, um Freundschaft und um Liebe. Vor allem darum, seine Schwächen anzunehmen, sich ihnen aber nicht kampflos zu unterwerfen.
Und dieser Film hat mindestens ein Dutzend Stellen, die ein Roland Emmerich in einen mit Bratschen, Pauken und Trompeten umlärmten Kitsch getaucht hätte. Aber Tom Hooper (der wohl nie so bekannt wie Emmerich werden wird) widersteht dieser Versuchung, es bleibt britisch dezent, man darf als Zuschauer seine eigenen Gefühle fühlen. Dank dafür! Schön auch ganz zum Schluß, als Be-Be-Bertie Lionel Logue zum ersten Mal mit „Mein Freund!“ anspricht, da erwidert Logue zum ersten Mal mit: „Eure Majestät“.
Es gibt Kritiker (etwa von der „taz“), die „The King’s Speech“ für „historisch fragwürdig“, „reaktionär“ und für „mediokres Historienfilmkasperletheater“ halten. Wenn solche Leute neben mir im Kino sitzen, wechsle ich sogleich die Sitzreihe, weil solche Leute keine Filme sehen oder gar erleben, sondern sie nur mit ihrer ideologisch im Gleichschritt marschierenden Hirnrinde mitdenken. Dies ist kein Dokumentarfilm, dies ist ein Spielfilm. Und als dieser ist er einfach nur klasse. Am Mittwoch, dem 22. Februar, um 20 Uhr im Clenzer „Culturladen“.