Helmut Koch über einen ebenso guten wie wichtigen Film, der nie in die Kinos kam...
Mögen Sie Götz George? Ich nicht. Ich habe ihm, unter anderem, noch immer nicht verziehen, wie er den „Schimansky“ durch egomanisches Überziehen zur Karikatur hat verkommen lassen. Aber er ist ein guter Schauspieler – vorausgesetzt, ein Regisseur ist in der Lage, ihn zum Spielen zu bringen anstatt eine weitere unendliche Götz-Variante abzuliefern.
Dies trifft für den Film „Zivilcourage“ zu. Ein Film, der nicht in den Kinos gelaufen ist und der im Fernsehen, wenn überhaupt, erst nach 23 Uhr läuft. Ein Film, der Gegenwart zeigt, der differenziert, der gut gespielt ist, der weder die einen zu unschuldigen Opfern noch die anderen zu monströsen Tätern macht.
„Zivilcourage“ spielt in Berlin-Kreuzberg. Götz George ist der Antiquar Jordan, der als ei-ner der letzten alten Einwohner noch immer dort wohnt und – hinter vergitterten Fenstern und Türen – sein Geschäft hat. Jeden Morgen geht er pünktlich von der Wohnung zum Laden, hindurch durch die Gleichgültigkeit, durch die Angst, durch die Gier, um dann, hinter seinen Gittern, als alter Mann zwischen alten Dingen zu hocken. Direkt gegenüber ist der Treffpunkt einer Straßenbande, die ihn ebenso mißtrauisch betrachtet wie er sie.
Die aus dieser Grundkonstellation heraus zu erwartende Geschichte könnte Klischees bedienen, und moralisch und langweilig daherkommen. Tut sie aber nicht. Zur gleichen Zeit wie „Zivilcourage“ enstand in den USA „Gran Torino“ mit Clint Eastwood, der einen alten Automobilarbeiter, Walt Kowalski, gibt, der noch immer in seinem Haus wohnt, in einem Viertel, das inzwischen von Ausländern, vorwiegend Asiaten, bewohnt und von ihren Sitten und Banden regiert wird.
Soweit die Paralellen. Und auch „Gran Torino“ war (und ist noch immer) ein guter Film, den wir in zero 154 besprochen haben. Aber „Zivilcourage“ ist... nun, vielleicht nicht besser, aber europäisch, nicht amerikanisch. Wo Walt Kowalski am Anfang – typisch US-amerikanisch – rassistisch daherkommt, von seinen Nachbarn nur als „Bambusratten“ redet und jeden, der ihm zu nahe zu kommen droht, mal eben in die Mündung seines M1-Gewehrs blicken läßt, ist Jordan – typisch deutsch – tolerant ignorant.
Dann sitzt ein junges Mädchen (Carolyn Genzkow) mit Knopf im Ohr, auf den Stufen seines Ladens, um ein Praktikum zu absolvieren, ohne das sie von der Schule fliegen würde. Warum gerade bei ihm? Weil der Laden so nah an ihrer Wohnung ist. Bei Walt in Amerika ist es ein Hmong-Jugendlicher, der wegen eines Diebstahlversuchs bei ihm arbeiten soll.
Und in beiden Filmen bricht die Gewalt von außen, in Form der Ghetto-Gang, in die sich anbahnende Beziehung zwischen Alt und Jung und dem Verständigungsversuch zweier Welten. Jordan, der Altrebell, der jetzt für die bürgerlichen Werte dieses Staates einsteht, kommt zufällig dazu, als der Freund seiner Praktikantin einen Rentner brutal zusammenschlägt.
Jordan versorgt den Rentner und zeigt den Jungen an. Die einen feiern ihn dafür als Helden, andere halten ihn für einen Idioten – und die Gang sinnt auf Rache. Zudem hat der Freund der Praktikantin, ein junger Exilkroate, einen älteren Bruder, der einzige Überlebende seiner Familie, der keineswegs will, daß sein kleiner Bruder ins Gefängnis kommt.
Das Opfer, der Rentner, ist allerdings keineswegs ein Sympathieträger, sondern ein wahrhaftiger biertrinkender und sabbernder Kotzbrocken, dessen (Schäfer-)Hund in den Sandkasten des Kinderspielplatzes kackt. Als der später aus seinem Koma erwacht und Jordan ihn im Krankenhaus besucht, beschimpft er ihn, weil er sich nicht um den Hund gekümmert habe...
In „Gran Torino“ mündet der Film in eine Gewaltorgie, in der sich der todkranke Walt Kowalski für seine mittlerweile zum Freund gewordene „Bambusratte“ und dessen Familie opfert. In Kreuzberg ist Jordan keineswegs todkrank, und die Geschichte entwickelt sich anders – ohne dabei unrealistisch oder pathetisch zu werden.
Ein aus meiner Sicht für jung und alt unbedingt sehenswerter Film, der am Mittwoch, dem 7. März, um 20 Uhr im „Culturladen“ in Clenze läuft.