Die Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte hält einen mehrtägigen präventiven Gewahrsam - wie in ihrem Fall beim Castor 2008 - für unzulässig und sieht darin eine Ersatzbestrafung. Sie reichte deswegen jetzt Verfassungsbeschwerde beim Bundesgericht in Karlsruhe ein.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Kletteraktivistin die Verletzung ihrer Freiheitsgrundrechte, sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Nach einer Kletteraktion über der Schiene war die in Lüneburg lebende gebürtige Französin festgenommen worden. Amts- und Landgericht folgten dem Antrag der Polizeidirektion auf Anordnung einer 4-tägigen präventiven Ingewahrsamnahme. Der Demonstrantin wurde strafrechtlich nichts vorgeworfen, vielmehr ging es der Polizei darum, eventuelle kommende spektakuläre Kletteraktionen gegen den Castortransport - die unter Umständen als Ordnungswidrigkeit hätten bewertet werden können - zu verhindern. Die Aktivistin ist der Behörde schon lange ein Dorn im Auge, da sie mit ihren Kletterfähigkeiten (Cecile Lecomte war französische Meisterin im Sportklettern) gern mit spektakulären Aktionen auf ihre politischen Anliegen aufmerksam macht.
Geklärt werden soll mit der Verfassungsbeschwerde, ob bei der Anordnung des Präventivgewahrsams Art und Schwere der zu verhindernden Tat - zumindest bei der Dauer des Gewahrsams - berücksichtigt werden muss. "Ich halte einen mehrtägigen Gewahrsam zur Verhinderung geringfügiger Ordnungswidrigkeiten für gänzlich unverhältnismäßig und sehe darin eine unzulässige 'Ersatzbestrafung' durch die Polizei," erklärte Lecomte. Weiter prangert sie die Verfassungsmäßigkeit von §§ 18, 21 NdsSOG (Regelung zur Anordnung und Dauer von polizeilichem Gewahrsam) an. Das im Grundrecht verankerte Bestimmtheitsprinzip besagt, dass der Bürger erkennen können muss, welche Rechtsfolgen sich aus seinem Verhalten ergeben können.
"Häufig reichen schon Prognoseindizien vom Hörensagen oder Vermutungen von Staatsschutzbeamten, um protestierende BürgerInnen in die Gewahrsamszelle zu verfrachten," erläutert die 28-jährige hierzu "Das ist sehr bedenklich. In meinem Fall basierte die der Ingewahrsamnahme zu Grunde liegende polizeiliche Gefahrenprognose auf einer ganzen Reihe von (Kletter)Aktionen, die entweder legalem Verhalten entsprachen oder in Ausnahmefällen als geringfügige Ordnungswidrigkeiten bestraft worden sind - wie das harmlose Beklettern von Bäumen in Lüneburg-. Vorbestraft bin ich nicht". Die Betroffene sieht solche ungeprüften staatsschutzpolizeilichen Angaben als Türöffner für staatliche Willkürakte. "Die besagte Gefahrenprognose ist dauerhaft in polizeilichen Dateien gespeichert und wirkt wie ein Damoklesschwert auf meine Freiheitsrechte."
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind ebenfalls die Haftbedingungen, denen sie damals ausgesetzt wurde. Tagelang wurde sie in eine weiß gekachelte Zelle ohne Tageslicht und Beschäftigungsmöglichkeit eingesperrt. In die frische Luft durfte sie nur eine halbe Stunde in Handfesseln.
Hintergrund
Am 6.11.2008 hatte die Kletteraktivistin mit drei anderen DemonstrantInnen an einer Eisenbahnbrücke über dem Elbe-Seitenkanal bei Lüneburg ein Transparent entrollt, um gegen den bevorstehenden Transport von Castorbehältern aus Frankreich mit hochradioaktivem Atommüll in das Zwischenlager Gorleben zu protestieren. Die Robin-Wood AktivistInnen wurden nach mehreren Stunden Protest durch die Polizei von der Brücke geräumt. Im Anschluss wurde Cécile Lecomte in präventiven Langzeitgewahrsam genommen und nach Braunschweig in den polizeilichen Zentralgewahrsam verlegt. Die anderen KletterInnen wurden noch vor Ort nach einer Personalienfeststellung freigelassen.
"Meine Ingewahrsamnahme zeigt, wie effektiv fantasievolle Kletteraktionen sind, die Staatsmacht hat Angst davor. Atomkraft und Grundrechte sind nicht kompatibel", so das damalige Fazit der Aktivistin. Weil sie aber durch die Maßnahme und die Haftbedingungen sehr "mitgenommen wurde", weil sie das Ganze als Willkür empfand, entschied sie sich - unter anderem mit juristischen Mitteln - dagegen zu kämpfen und in die Öffentlichkeit zu gehen.
Zahlreiche Gruppen unterstützen Cécile Lecomte - so auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg - und gehen davon aus, dass das Gericht die Beschwerde zulässt und dazu beiträgt, die Bürgerrechte zu stärken. "Dieses Verfahren ist beispielhaft, phantasievoller Protest darf nicht kriminalisiert werden", betont die BI.
Schmerzensgeld bei unrechtmässigem Freiheitsentzug
Erst vor wenigen Tagen hatte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil vom 11. November veröffentlicht, in dem es um Schmerzensgeldansprüche wegen stundenlangen Gewahrsams am Rande des Castortransports 2001 ging. Das Bundesverfassungsgericht hob die voraus gegangenen Urteile des Landgerichts Lüneburg und des Oberlandesgerichts Celle auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Beide Gerichte hatten den im Jahre 2001 mehrere Stunden in einem Bus festgehaltenen DemonstrantInnen Schmerzensgeld verweigert, obwohl das Amtsgericht Uelzen bereits im März 2007 die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festgestellt hatte. Das Bundesverfassungsgericht zur Begründung: Sie (das Landgericht Lüneburg sowie das Oberlandesgericht Celle) verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, weil sie bei der Versagung eines Amtshaftungsanspruchs nicht berücksichtigt haben, dass schon die Voraussetzungen für die freiheitsentziehende Maßnahme selbst nicht gegeben waren. Außerdem haben die Gerichte die Umstände des Gewahrsamvollzugs bei der Versagung des Schmerzensgeldes in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise außer Acht gelassen.
Aber das Bundesverfassungsgericht stellte auch klar, dass ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung immaterieller Grundrechtspositionen nicht zwingend die Zubilligung eines Zahlungsanspruchs zur Folge haben muss. Eine hinreichende Schwere des Schadens sowie ein Fehlen anderweitiger Genugtuungsmöglichkeiten sind für das Verfassungsgericht bei der Zugestehung eines Schmerzensgeld-Anspruchs zu prüfen.
Die Gerichte in Celle und Lüneburg hatten allerdings ihre Auffassung, dass die von den Beschwerdeführern erlittene Rechtseinbuße durch die vom Amtsgericht festgestellte Rechtswidrigkeit des Gewahrsams hinreichend ausgeglichen sei, allein auf eine Würdigung der Umstände der Durchführung des Gewahrsams gestützt. Auch dies wurde vom Verfassungsgericht kritisiert.
Darüber hinaus genügten auch die Erwägungen der Gerichte zur rechtlichen Würdigung der Umstände des Gewahrsamsvollzugs ihrerseits nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. So beanstandete das Verfassungsgericht insbesondere, dass das Oberlandesgericht in der mindestens zehnstündigen Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann.
Das vollständige Urteil zum Schmerzensgeld bei rechtswidriger Freiheitsentziehung ist hier nachzulesen.
Foto: Robin Wood Kletteraktion während des Castortransports 2008, Fotograf: Simon Avenia / publixviewing
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